Zusammenfassung
Die Frage nach der Existenz moralisch eigengesetzlicher Bereiche in einer Gesellschaft hat nicht erst seit dem neu erwachten Interesse der sozialwissenschaftlichen Moralforschung an der Umwelt1Aktualität erlangt, sondern hat für Militärorganisationen wie die Bundeswehr von je her zeitlose Aktualität. Angetreten mit dem Anspruch, den Soldaten als einen Staatsbürger in Uniform zu begreifen, der im Rahmen einer demokratischen Wehrverfassung seine staatsbürgerlichen Rechte nicht am Kasernentor zurückzulassen braucht, wird die Bundeswehr mit hohen Erwartungen konfrontiert: Der militärische Alltag soll weder in seinen objektiv faßbaren Strukturen noch in der subjektiven Wahrnehmung der Soldaten zu einem moralisch eigengesetzlichen Bereich geraten, der freiheitlich-demokratischen Prinzipien zuwiderläuft. Ein segmentiertesmoralisches Bewußtsein der Soldaten, in dem das Leben innerhalb und außerhalb der Kaserne nach je unterschiedlichen moralischen Maßstäben bewertet würde, stellte diesen Anspruch zentral in Frage.
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Anmerkungen
Vgl. Lind, G., Hartmann, H.A. und Wakenhut, R. (Hrsg.): Moralisches Urteilen und soziale Umwelt, Weinheim 1983
Für eine Zusammenfassung siehe: Wakenhut, R.: Militär und Moral, in: Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden (S+F) 2/1984, S. 31–38
Vogt, W.R.: Zivil-militärische Konflikte in der demokratischen Industriegesellschaft. Eine soziologische Konzeptualisierung des ‚Theorems der Inkompatibilität‘, in: Schulz, K.-E. (Hrsg.): Streitkräfte im gesellschaftlichen Wandel, Bonn 1980, S. 37–74
So z. B.: Vogt, W.R.: Das Theorem der Inkompatibilität. Zur Unvereinbarkeit von atomarer Militärgewalt und fortgeschrittener Gesellschaft, in: Vogt, W.R. (Hrsg.): Sicherheitspolitik und Streitkräfte in der Legitimitätskrise. Analysen zum Problem der Delegitimierung des Militärischen im Kernwaffenzeitalter, Baden-Baden 1983, S. 21–57
Vogt, W.R., Das Theorem der Inkompatibilität. Zur Unvereinbarkeit von atomarer Militärgewalt und fortgeschrittener Gesellschaft, in: Vogt, W.R. (Hrsg.): ,a.a.O., 1980, S. 51ff
Siehe hierzu: Wachtier, G.: Struktur- und Funktionswandel der Streitkräfte, in: Vogt, W.R., a.a.O., 1983, S. 59–77
Für einen neueren Überblick siehe: Lind, G.: Entwicklung des moralischen Urteilens — Leistungen und Problemzonen der Theorien von Piaget und Kohlberg, in: Lind et al., a.a.O., 1983, S. 25–42
Habermas, J.: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Frankfurt 1983, S. 127–200
Insofern nehmen wir uns die Freiheit, von eigenen früheren Darstellungen abzuweichen, die sich — nicht zuletzt bedingt durch die Verwendung elaborierter Erhebungsmethoden, die eine gewisse theoretische Schwerfälligkeit mit sich bringen — enger an das ursprüngliche Modell von Kohlberg anlehnten.
Damit ist gemeint, daß sich die Universalisierbarkeit nicht auf formaleSituationscharakteristika, sondern eher auf strukturelleMerkmale bezieht. Vgl. dazu z. B.: Rawls, J.: A Theory of Justice, Cambridge, Mass. 1971 oder Habermas, J.: Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz, in: Habermas, J. und Luhmann, N.: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, Frankfurt 1971, S. 101–142; siehe auch Fußnote 25
Hoffe, E., Lappe, L. und Lempert, W.: Sozialisationstheoretische Überlegungen zur Analyse von Arbeit, Betrieb und Beruf, in: Soziale Welt, 33, S. 508–536
Hegner, K., Lippert, E. und Wakenhut, R.: Selektion oder Sozialisation, Opladen 1983, S. 65f
Senger, R.: Segmentierung des moralischen Bewußtseins bei Soldaten, in: Lind et al., a.a.O., 1983, S. 193–210.
Wakenhut, R.: Lebensweltliche Moral und moralische Segmentierung bei Unteroffizieren der Bundeswehr, in: Klein, P. (Hrsg.): Das strapazierte Rückgrat. Unteroffiziere der Bundeswehr, Baden-Baden 1983, S. 309–327
Schütz, A.: Gesammelte Aufsätze, Bd. 1: Das Problem der sozialen Wirklichkeit, Den Haag 1971, S. 8
Berger, P. und Luckmann, T.: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt 1980
Thomas, W.I.: On social organization and social personality. Selected Papers editet by M. Janowitz, Chicago 1966
Thomas, W.I., a.a.O., 1966, S. 13
Habermas, J.: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, Frankfurt 1981, S. 223
Habermas, J., a.a.O., 1981, S. 171–293
Schütz, A. und Luckmann, T.: Strukturen der Lebenswelt, Bd. 1, Frankfurt 1979, S.26
Gurwitsch, A.: Problems of the Life-World, in: Natanson, M. (ed.): Phenomenology and Social Reality, Den Haag 1970, S. 35
Schütz, A. und Luckmann, T., Problems of the Life-World, in: Natanson, M. (ed.): a.a.O., 1979, S. 29
Schütz, A. und Luckmann, T., Problems of the Life-World, in: Natanson, M. (ed.): a.a.O., 1979,Ebenda, S. 33
Vgl. z. B. Neisser, U.: Kognitive Psychologie, Stuttgart 1974. So betont Neisser, daß die Wahrnehmung von Objekten dergestalt verläuft, daß subjektiv selegierte Objektmerkmale „synthetisiert“werden und dadurch in einem konstruktiven Prozeß zu einer Klassifikation der Objekte führen.
Vgl. dazu Schütz, A.: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, Frankfurt 1974, S. 109f. Typisierungsschema bedeutet hier eine weitere Akzentuierung: „Unter Typisierung versteht man den abstrahierenden Akt, durch den das besondere Hier und Jetzt eines Gegenstandes oder Ereignisses von seiner Besonderheit losgelöst und mit Bückrichtung auf seine charakteristischen Eigenschaften bzw. seine Qualität betrachtet wird. Dieser Vorgang impliziert eine Idealisierung, durch welche die Gegenstände in Begriffen ihrer Möglichkeiten gesehen werden, und als solche keine existierenden Objekte mehr sind. Typisierungsvorgänge können vor und unabhängig von der aktuellen Situation, in der sie von dem wahrnehmenden Subjekt eingesetzt werden, ablaufen. Damit eine Situation überhaupt wahrgenommen werden kann, müssen Alltagsstrukturen und das ethnomethodologische Paradigma, in: Sprondel, W. und Grathoff, R. (Hrsg.): Alfred Schütz und die Idee des Alltags in den Sozialwissenschaften, Stuttgart 1979, S. 183
Vgl. Schütz, A. und Luckmann, T., a.a.O., 1979, S. 172–223
Schütz, A. und Luckmann, T., a.a.O., 1979Ebenda, S. 300 und 312f
Schütz, A. und Luckmann, T., a.a.O., 1979Ebenda, S. 301
Schütz, A. und Luckmann, T., Schütz, A. und Luckmann, T., a.a.O., 1979, S. 301
Bildlich gesprochen: Ist das Phänomen einer bestimmten moralischen Segmentierung Bestandteil des allgemeinen Grundrauschens oder ist es ein klar hervorgetretender Ton?
Als pathogene Formen werden von uns solche Segmentationen betrachtet, in denen sich die Aufhebung der synthetisierenden Funktion des lebensweltlichen Bewußt-seins ausdrückt.
Habermas, J., a.a.O., 1981, S. 179–181
Habermas, J.: Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Frankfurt 1976, S.231f.
Vgl. Habermas, J., a.a.O., 1976, S. 9–48 sowie Habermas, J., a.a.O., 1981
Habermas, J., a.a.O., 1981, S. 232
Habermas, J., a.a.O., 1981, S. 259
Habermas, J., a.a.O., 1981Ders., S. 175
Statische Begründungen von Normen wären im skizzierten Stufenmodell die präkonventionellen Orientierungen an Strafe und an einem instrumentellen Relativismus, sowie die konventionellen Orientierungen innerhalb der Primärgruppe und innerhalb des Rahmens vorgefundener Gesetze.
Habermas, J., a.a.O., 1981, S. 218
Ders., S. 464
Militärische Strukturen sind hochrangig durch solche Steuerungsmedien geprägt, die sprachliche Verständigung substituieren. Das hat auch N. Luhmann beobachtet, wenn er feststellt, daß Militärs politisch nicht konfliktfähig seien, weil sie an eine variablenarme Umgebung gewohnt sind.
Habermas, J., a.a.O., 1981, S. 273
Ders., S. 215 u. S. 520ff sowie S. 548–593
Ders., S.521f
Ders., S. 232f
Zum Stichwort „evolutionäres Lernen“siehe ders., S. 464
Habermas, J., a.a.O., 1976, S. 74
Haan, N.: Coping and Defending, New York 1977
Vgl. Wakenhut, R., a.a.O., 1984, S. 37
Senger, R. und Wakenhut, R.: Moralische Segmentierung und der Anspruch der Inneren Führung, in: Zoll, R. (Hrsg.): Sicherheit und Miütär, Opladen 1982, S. 170–181. Sowie: Wakenhut, R., a.a.O., 1983
Van der Meulen, J.S.: Einige Eigentümlichkeiten der Kriegserzählung, in: Zoll, R. (Hrsg.): Sicherheit und Militär, Opladen 1982, S. 159
Die letzten beiden Moralwelten sind insofern auch ein psychodynamisches Problem im Nuklearzeitalter. Vgl. dazu Broughton, J.: The Psychological Origins of Nuclear War, in: Kohr, H.-U. und Räder, G. (Eds.): New Social Movements and the Perception of Military Threat in Western Democracies, München, Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr, Forum 3, 1983, S. 73–106
So z. B. in der Figur des „heiligen Krieges zur Vernichtung des Bösen“als selbsternannter Erzengel des Armaggedon.
Vgl. Schütz, A.: Gesammelte Aufsätze, Bd. 2, Studien zur soziologischen Theorie: Der gut informierte Bürger, Den Haag 1972, S. 85–101
Bis 1979 zeigen die empirischen Daten der Einstellung der Bevölkerung zu sicherheitspolitischen Fragen, daß „äußere Sicherheit“kein gravierendes Problem darstellte, daß „Bundeswehr“zwar keine beliebte, aber akzeptierte Institution darstellte und daß die Meinungen zur Sicherheitspolitik eng mit der Parteipräferenz verbunden waren. Inzwischen ist die Selbstverständlichkeit der Sicherheitspolitik in Frage gestellt worden, speziell im Hinblick auf die Doktrin der „flexible response“. Andererseits ist empirisch festzustellen, daß die Implikationen der „flexible response“von 1977 bis heute gleichermaßen abgelehnt wurden. Zur Legitimitätsproblematik der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte vgl. Vogt, W.R., a.a.O., 1983, insbes. S. 9–19, S. 99–139, S. 141–166
Habermas, J., a.a.O., 1981, S. 580
Diese Trennung wurde schon in der Goebbelschen Proklamation des „totalen Krieges“propagandistisch aufgehoben. Andererseits ist bemerkenswert, daß ein beträchtlicher Anteil der Forschungsaufträge für psychologische Kriegsführung gerade in ethnomethodologischen Studien vorliegt (vgl. Watson, P.: War on the Mind, London 1978)
Siehe: Braun, M., Fricke, W. und Klein, P.: Erziehungin der Bundeswehr, München, Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr (unveröffentlichtes Manuskript, nur für den Dienstgebrauch); jenseits des Dienstgebrauchs sind einige Ergebnisse berichtet in: MEDIATUS 2/85, S. 4. Wenn die politischen und militärischen Funktionen des Militärs lebensweltlich problematisch werden, dann schlägt das natürlich auf die Integration der militärischen Situation in die Lebenswelt der Soldaten (seien es nun Berufs- oder Zeitsoldaten oder Wehrpflichtige) durch. An dieser Stelle wäre nun mit der Analyse der lebensweltlichen Verarbeitung des Daseins als Angehöriger einer militärischen Organisation fortzufahren. Im Hinblick auf den Umfang und auch darauf, daß dieser Aspekt mithin aus der Perspektive einer „verstehenden Soziologie“oft beschrieben wird, haben wir auf dieses Kapitel verzichtet.
Vgl. Räder, G. und Wakenhut, R.: Morality and Military Organziation. Paper presented to the Seventh Annual Scientific Meeting of the International Society of Political Psychology, June 24–27, 1984, Toronto
Vgl. Kohr, H.-U. und Räder, G.: Socio-political Orientations and the Perception of Military Threat in West Germany Youth, in: Kohr, H.-U. und Räder, G. (Eds.): New Social Movements and the Perception of Military in Western Democracies, München 1983, S. 1–33
Zimmerli, W.: Gesellschaftliches System und Wandel ethischer Normbegründung, in: Kruedener, J. und v. Schubert, K.: Technikfolgen und sozialer Wandel, Köln 1981, S.197
Siehe Cadwallader, L.: Die kybernetische Analyse des Wandels, in: Zapf, W. (Hrsg.): Theorien des sozialen Wandels, Köln/Berlin 1970, S. 141–146
Vgl. Habermas, J., Die kybernetische Analyse des Wandels, in: Zapf, W. (Hrsg.): a.a.O., 1981, S. 464
Siehe hierzu Lippert, E.: a.a.O., 1982, S. 168
Ganser, H.W. und Senger, R.: Diskurs statt Abschottung, in: Vogt, W.R. (Hrsg.): Streitfall Frieden, Heidelberg 1984, S. 311–322
Vgl. die diesbezügliche Kritik von Freitag, B.: Theorie des kommunikativen Handelns und genetische Psychologie, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 3/1983, S. 555–576
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Räder, G., Wakenhut, R. (1986). Militär und der Eigensinn der Lebenswelt. In: Vogt, W.R. (eds) Militär als Gegenkultur. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93768-1_3
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