Zusammenfassung
Im folgenden sollen anhand ausgewählter Bereiche die Ergebnisse der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission und die Inhalte der später tatsächlich verabschiedeten Grundgesetzänderungen untersucht werden. Angesichts des hierfür zur Verfügung stehenden Raumes können nicht alle Bereiche diskutiert werden, die in der Verfassungskommission thematisiert worden sind. Wir wollen uns daher auf die Europapolitik, die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern, das Staatsziel Umweltschutz, die Debatte über die Verankerung sozialer Staatsziele im Grundgesetz, das Parlamentsrecht und den Streit über plebiszitäre Elemente auf Bundesebene beschränken.
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Literatur
Vgl. Stenographischer Bericht der 2. Sitzung der GVK vom 13.2.1992, S. 36f. und der 8. Sitzung vom 26.6.1992, S. 4.
Vgl. Stenographischer Bericht der 2. Sitzung der GVK vom 13.2.1992, S. 37; ähnlich auch der Bundestagsabgeordnete Möller von der CDU/ CSU in der 8. Sitzung der Verfassungskommission (siehe Stenographischer Bericht der 8. Sitzung der GVK vom 26.6.1992, S. 4).
So das Bundesverfassungsgericht in seinem „Maastricht-Urteil“; vgl. 2 BvR 2134/92 und 2 BvR 2159/92, S.50.
Entscheidend für diese Auffassung ist der Satz 3, der alle Änderungen, durch die das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird, der Notwendigkeit verfassungsändernder Mehrheiten und der inhaltlichen Änderungsgrenze in Art. 79 III GG unterwirft, in Verbindung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Das BVerfG hat festgestellt, daß jede Übertragung von Hoheitsrechten eine materielle Änderung des Grundgesetzes auslöst, da sie in die im Grundgesetz festgelegte Zuständigkeitsverteilung eingreift (vgl. BVerGE 58, 1 (36) sowie Fischer 1993: 40). Vgl. auch Stenographischer Bericht der 8. Sitzung der GVK vom 26.6.1992, S. 4 und 6.
Das Grundgesetz unterscheidet zwischen zustimmungsbedürftigen und nicht-zustimmungsbedürftigen Gesetzen. Während zustimmungsbedürftige Gesetze ohne die Zustimmung des Bundesrates nicht zustandekommen, hat der Bundesrat bei nicht-zustimmungsbedürftigen Gesetzen lediglich ein Einspruchsrecht, das vom Bundestag überstimmt werden kann (Art. 77 IV GG und Art. 78 GG; vgl. Bülow 19942: 1470 sowie Schneider 1982: 85f.).
Mit dieser Formulierung sind diejenigen Bereiche der konkurrierenden und der rahmensetzenden Gesetzgebung des Bundes gemeint, in denen der Bund mit Hilfe der Bedürfnisklausel in Art. 72 II GG ein Bedrüfnis nach bundesgesetzlicher Regelung reklamieren kann und von seinem Recht zur Gesetzgebung in dem jeweiligen Bereich auch tatsächlich Gebrauch gemacht hat (so auch Scholz 1992: 2600 und Fischer 1993: 42f.).
Gesetzgebungsbefugnisse der Länder liegen vor, wenn für die entsprechende Regelungsmaterie dem Bund im Grundgesetz keine Kompetenz zugeschrieben wird oder wenn im Bereich der konkurrierenden oder der rahmensetzenden Gesetzgebung kein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung nach Art. 72 II GG vorliegt (Fischer 1993: 43).
Geradezu charakteristisch für diese Position ist die Äußerung des Berichterstatters der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für das Themenfeld „Europa/Internationale Beziehungen“, Franz Möller: „Wir sollten aber verhindern, daß trotz der von deutscher Seite immer wieder unterstrichenen Bereitschaft zur weitergehenden europäischen Integration durch verstärkte Zustimmungs- und Mitwirkungsrechte der Länder unüberwindbare Hürden aufgebaut werden, die die integrationspolitische Handlungsfähigkeit des Bundes schwächen und weitere Integrationsschritte erschweren“ (Stenographischer Bericht der 2. Sitzung der GVK vom 13.2. 1992, S. 29).
So auch die Einschätzung des Sachverständigen Scharpf in der betreffenden Anhörung der GVK; vgl. Stenographischer Bericht der 1. Öffentlichen Anhörung der GVK „Grundgesetz und Europa“ vom 22.5.1992, S. 17f. und 35.
Daß dies durchaus nicht so selbstverständlich war, wie man vermuten mag, wird daran deutlich, daß der SPD-Bundesgeschäftsführer Verheugen, der auch Mitglied der Verfassungskommission war, in einem Redebeitrag deutlich auf Bedenken hinwies, das Paket der Kommissionsentwürfe zum Thema „Grundgesetz und Europa“ solle im Bundestag noch einmal durch Neu- und Nachverhandlungen aufgeschnürt werden, und erklärte, daß die SPD-Bundestagsfraktion dieses Ansinnen ablehne (vgl. Stenographischer Bericht der 8. Sitzung der GVK vom 26.6.1992, S. 12). Zu dem „Aufschnüren“ ist es dann nicht gekommen, weil den Kritikern der Kommissionsentwürfe klar war, daß eine Aufweichung der Mitwirkung der Länder weder die Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag — wegen der ablehnenden Haltung der SPD — noch im Bundesrat erreichen würde.
In ihren ursprünglichen Forderungen hatten die Landesregierungen die Mitwirkungsbefugnisse auf sämtliche zwischenstaatliche Einrichtungen bezogen (vgl. Bundesrat 1992: 7), also z.B. auch auf die NATO. Da dieses Ansinnen von der Bundesregierung und den „Außenpolitikern“ auf der Bundesebene abgelehnt wurde, weil auf diese Weise die außenpolitische Kompetenz der Bundesregierung unzulässig eingeschränkt worden wäre, entwickelte der Justiziar der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Möller, die Anregung, die Mitwirkungsrechte der Länder sollten in einem eigenen „Europa-Artikel“ verankert werden (vgl. FAZ vom 16.5. 1992, S. 2). Dieser Hinweis erklärt — neben dem Symbolwert — auch, warum darauf bestanden wurde, die Mitwirkungsrechte in einem zusätzlichen Artikel des Grundgesetzes zu verankern und nicht in den Art. 24 GG einzubinden, der die Übertragung von Hoheitsrechten an zwischenstaatliche Einrichtungen regelt.
So auch die Einschätzung des Sachverständigen Isensee in der betreffenden Anhörung der GVK; vgl. Stenographischer Bericht der 1. Öffentlichen Anhörung der GVK „Grundgesetz und Europa“ vom 22.5.1992, S.41.
Siehe Stenographischer Bericht der 25. Sitzung der GVK vom 1.7.1993, S. 76.
Nach Ansicht informierter Beobachter kam es zum entscheidenden „Durchbruch“ in einem Berichterstattergespräch, an dem unter Leitung von Rupert Scholz die CDU-Abgeordneten Jahn und Möller, der CSU-Abgeordnete Friedrich, der Staatssekretär im bayerischen Innenministerium, Wilhelm, für die SPD-Länder der nordrhein-westfälische Innenminister Schnoor und der SPD-Abgeordnete Verheugen, sowie für die F.D.P. der Abgeordnete Kleinert und die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger teilnahmen (vgl. FAZ vom 12.6.1992, S.6). In diesem Gremium fand sich die schließlich entscheidende Mehrheit für den Art. 23 GG n.F., allerdings wurde der Abgeordnete Kleinert nach der Sitzung für seine Zustimmung im F.D.P.-Präsidium und der Fraktion von den „“Außenpolitikern“ der Partei heftig kritisiert (vgl. FAZ vom 25.6. 1992, S. 5).
Der Änderungsvorschlag der Verfassungskommission ersetzt den bisherigen Begriff der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ durch jenen der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“. Damit wird eine größere Differenzierung der Lebensverhältnisse zwischen den Bundesländern anerkannt, auch um der Gefahr willen, die Entwicklungsrückstände der neuen Länder festzuschreiben (vgl. Stenographischer Bericht der 11. Sitzung der GVK vom 15.10.1992, S.17 und Berlit 1993: 84). Ein Änderungsvorschlag des Landes Brandenburg, die ursprüngliche Formulierung der „Einheitlichkeit“ wieder aufzunehmen, wurde in der Kommission bei vier Ja-Stimmen abgelehnt (vgl. Stenographischer Bericht der 11. Sitzung der GVK vom 15.10.1992, S. 20).
Vgl. hierzu auch die Ausführungen des SPD-Obmanns Vogel in der 4. Sitzung der Verfassungskommission (vgl. Stenographischer Bericht der 4. Sitzung der GVK vom 2.4.1992, S. 24f.).
Vgl. Stenographischer Bericht der 4. Sitzung der GVK vom 2.4.1992, S. 6f. sowie Arbeitsunterlage Nr. 4 (Gesetzgebungskompetenzen; Bericht des Landes Hessen) der Verfassungskommission.
Siehe zu dieser Einschätzung auch Stenographischer Bericht der 11. Sitzung der GVK vom 15.10.1992, S. 17. Das Land Bayern versuchte mit Hilfe einer Protokollnotiz zum Art. 75 II GG n.F., der sich andere Länder anschlossen, klarzustellen, daß die Anforderungen an die Begründung von detailregelnden Rahmengesetzen verschärft worden und erschöpfende Regelungen für einzelne Teile eines Gesetzesvorhabens oder einer Gesetzesmaterie grundsätzlich nicht mehr zulässig seien (vgl. Arbeitsunterlage Nr. 85 (Gesetzgebungskompetenzen; Protokollerklärung Bayerns) der Verfassungskommission).
So auch die Staatsministerin Hohmann-Dennhardt aus Hessen; vgl. Stenographischer Bericht der 11. Sitzung der GVK vom 15.10.1992, S. 17.
So der Abgeordnete von Stetten (CDU/CSU); Stenographischer Bericht der 4. Sitzung der GVK vom 2.4.1992, S. 13.
Vgl. zum folgenden die Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrates für ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (BT-Drs. 12/7109, S. 14ff.), der die Empfehlungen der Verfassungskommission enthielt; siehe auch FAZ vom 8.2.1994, S. 11.
An dieser Stelle wird das im parlamentarischen Alltag häufig zu beobachtende Spannungsverhältnis deutlich zwischen (1.) der Aufgabe der Fraktionsgeschäftsführung, für die Einheit der Fraktion nach außen zu sorgen und (2.) der grundgesetzlich verankerten Freiheit des einzelnen Abgeordneten (Art. 38 GG)(vgl. u.a. Hesse/Ellwein 19927: 249ff.). Die SPD bewog das Vorgehen der CDU-Fraktionsgeschäftsführung, einen Antrag „Zur Nötigung von Abgeordneten und Blockade der Verfassungsdiskussion“ zu stellen (BT-Drs. 12/4452), mit dem klargestellt werden sollte, daß es dem Selbstverständis des Bundestages widerspricht, wenn der Eindruck erweckt wird, die im Grundgesetz verankerte Abstimmungsfreiheit des Abgeordneten beziehe sich nur auf Abstimmungen im Plenum, nicht aber in Ausschüssen, und es könne daher ein bestimmtes Abstimmungsverhalten von Mitgliedern der Verfassungskommission von den Fraktionen notfalls durch Abwahl erzwungen werden. Allerdings wurde der SPD-Antrag nicht auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt.
Pikant war der Vorfall auch deshalb, weil gerade Jürgen Rüttgers noch kurz vorher den Machtanspruch der politischen Parteien gegenüber Gesellschaft und Politik in einem Buch heftig getadelt hatte; vgl. Rüttgers 1993.
Vgl. zu dieser Sichtweise BVerfGE 4, 1 (17f.); siehe auch Böhret/ Jann/Kronenwett 19883: 17ff.
Daneben hat auch die PDS/LL ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages gefordert. Jedoch kam ein entsprechender Antrag in der Verfassungskommission nicht zur Abstimmung (vgl. Gemeinsame Verfassungskommission 1993: 87)
Daneben hat auch die PDS/LL die grundgesetzliche Verankerung von Oppositions- und Fraktionsrechten gefordert. Jedoch kam ein entsprechender Antrag in der Verfassungskommission nicht zur Abstimmung (vgl. Gemeinsame Verfassungskommission 1993: 89)
Daran ändert auch Art. 20 II Satz 2 GG nichts, der davon spricht, daß die Staatsgewalt „vom Volke in Wahlen und Abstimmungen“ augeübt wird. Damit ist nicht gesagt, daß Volksabstimmungen gleichberechtigt neben Wahlen treten könnten, sondern es wird lediglich auf die entsprechenden Konkretisierungen in Art. 28 I Satz 3 GG, Art. 29 GG und Art. 118 GG verwiesen. Art. 20 II Satz 2 GG ist somit als Generalnorm zu verstehen, die ihre Konkretisierung im Sinne der repräsentativen Demokratie in Art. 28 GG findet (vgl. Scholz in Maunz/Dürig, Komm. z. GG. Art. 146 Rdnr. 21).
In der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates hatte sich eine Mehrheit der Länder für die Einfügung plebiszitärer Elemente in das Grundgesetz ausgesprochen, auf konkrete Vorschläge dagegen hatte sich die Kommission nicht verständigen können (vgl. Bundesrat 1992: 78–85).
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Batt, HL. (1996). Die Ergebnisse: Die inhaltlichen Merkmale der Verfassungsreform. In: Die Grundgesetzreform nach der deutschen Einheit. Analysen, vol 56. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93700-1_4
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