Zusammenfassung
Für die Formulierung postmetaphysischer ethisch-politischer Konzeptionen kann die dekonstruktive Aufmerksamkeit gegenüber sich universalistisch inszenierenden politischen Ordnungssystemen und moralischen Imperativen nur ein erster Schritt sein. Wenn das notwendige dekonstruktive Moment lediglich als Möglichkeitsbedingung kontingenter gesellschaftlicher Transformationen im Rahmen offener Gestaltungsprozesse verstanden wird, erscheint die daraufhin in den Fokus rückende Kategorie der Praxis ethisch-politisch unterbestimmt und nicht in der Lage, die spezifische konstruktive Dimension einer postmarxistischen politischen Theorie zu unterstützen. Im folgenden soll das Ringen um das konstruktive Moment einer poststrukturalistischen Ethik anhand zweier unterschiedlicher Praxisbegriffe und ihrer korrespondierenden Subjektkonzeptionen skizziert werden, die sich selbst zunächst konträr als ästhetische und als explizit politische bestimmen: zur Diskussion stehen eine ästhetische Ethik und eine Ethik des Widerstandes.
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literatur
Vgl. zu dieser Interpretation des französischen Poststrukturalismus auch Stephen K. White, Political Theory and Postmodernism (Cambridge 1991), der die ästhetische These der sogenannten WelterschlieBungskapazitat der Sprache ins Zentrum postmoderner Philosophie nickt; sowie Allan Megill, Prophets of Extremity: Nietzsche, Heidegger, Foucault, Derrida (Berkeley 1985), 342–352, der einen sogenannten dekonstruktiven Ästhetizismus als Hauptcharakteristik anti-aufklärerischer Denker ausmacht und ihn nur aufgrund seines „therapeutic intent“ (345) würdigen kann. Damit greift er auf die traditionelle Funktionalisierung des Ästhetischen als moralisches Moment zurück. Dieser Tradition und auch der
Vgl. Nietzsche: „Sobald wir die absolute Wahrheit leugnen, müssen wir alles absolute Fordern aufgeben und uns auf ästhetische Urteile zurückziehen. Dies ist die Aufgabe: eine Fülle ästhetischer, gleichberechtigter Wertschätzungen zu kreieren: jede für ein Individuum die letzte Tatsache und das Maß der Dinge, Reduktion der Moral auf die Ästhetik!!!“ Friedrich Nietzsche, Die Unschuld des Werdens. Der Nachlass, Zweiter Teil, Sämtliche Werke Bd. 11 (Stuttgart 1965 ), 156.
Im deutschen Diskurs, der hier nicht weiter berücksichtigt werden kann, hat Foucaults Spätwerk ebenfalls positiven Anklang gefunden. Vgl. bes. Wilhelm Schmid, Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst. Die Frage nach dem Grund und die Neubegründung der Ethik bei Foucault (Frankfurt 1991); Kirsten Hebel, „Dezentrierung des Subjekts in der Selbstsorge. Zum ästhetischen Aspekt einer nicht-normativen Ethik bei Foucault“, in: Gerhard Gamm/Gerd Kimmerle (eds.), Ethik und Ästhetik Nachmetaphysische Perspektiven(Tübingen 1990), 226–241; und Clemens Kammler/Gerhard Plumpe, „Antikes Ethos und postmoderne Lebenskunst. Michel Foucaults Studien zur Geschichte der Sexualität”, Philosophische Rundschau 37 (1987), 186–194.
Wenn im folgenden also die Achse von Nietzsche über Foucault zur amerikanischen poststrukturalistischen Ethikdebatte skizziert werden soll, so handelt es sich nicht um die genealogisch-dekonstruktive Problematik, die diese Studie wie ein roter Faden durchzieht, sondern um das ästhetisch-praktische Motiv, dessen Verbindung zur Genealogie es erst in einem späteren Schritt zu thematisieren gilt. Da außerdem der zweite Teil dieser Arbeit nicht so sehr an den Positionen einzelner Theoretiker, sondem an einer bestimmten Problematik im Kontext einer Debatte interessiert ist, muß darauf hingewiesen werden, daß der Bezug auf Autoren wie Rajchman ein exemplarischer ist, der weniger die Nähe zu den einzelnen Texten sucht als die darin verborgenen Elemente, die sich zu einer neuen Perspektive innerhalb der vorliegenden Problematik konfigurieren lassen.
John Rajchman, Michel Foucault: The Freedom ofPhilosophy (New York 1985), 6.
Dieses Projekt richtet sich auch gegen eine Rezeptionstendenz, die Foucault letztendlich far einen unpolitischen Denker hält. So äußert sich beispielweise Rorty polemisch: Foucault „war für eine demokratische Gemeinschaft nicht von Nutzen.“ Richard Rorty, „Was können wir ändern?”, Information Philosophie 3 (1994), 14–21, 16.
Michel Foucault, „On the Genealogy of Ethics: An Overview of Work in Progress“, in: The Foucault Reader,340–372, 351. Diese ästhetisch-ethische Konsequenz basiert auf der Abkehr von einer humanistischen Ethik: „Was mir am Humanismus nicht behagt, ist, daß er eine bestimmte Fonn unserer Ethik zum Muster und Prinzip der Freiheit erklärt. Ich glaube, daß es mehr Geheimnisse gibt, mehr mögliche Freiheiten und weitere zukünftige Erfindungen, als wir uns dies im Rahmen des Humanismus vorstellen können, wie er dogmatisch
Der vielzitierte Tod des humanistischen Subjekts war Voraussetzung für die Analyse des existenten Subjekts: „I had to reject a certain a priori theory of the subject in order to make this analysis of the relationships which can exist between the constitution of the subject or different forms of the subject and games of truth, practices of power and so forth.“ Michel Foucault, „The Ethic of Care for Self as a Practice of Freedom”, Philosophy and Social Criticism 12, 2–3 (1987), 112–131, 121. Die doppelte Form der Subjektkonstitution kann auch an dem ambigen Begriff der Subjektivierung abgelesen werden.
Michel Foucault, Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit Bd. 2 (Frankfurt 1986), 318.
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Rüdiger, A. (1996). Praxis als Ästhetik. In: Dekonstruktion und Demokratisierung. Kieler Beiträge zur Politik und Sozialwissenschaft, vol 15. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93689-9_7
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