Zusammenfassung
Im Marxismus hat der Geist der Moderne seine konsequenteste Verkörperung erhalten. Marxistische Theorien haben die Säkularisierung und ökonomische Dynamisierung sozialer Beziehungen so ernst genommen, daß sie die Aufgabe der Ordnungsstiftung mit einem analytischen Instrumentarium auszuführen trachteten, das geformt wurde auf der Grundlage der Anerkennung gesellschaftlicher Konflikte und Kämpfe, Antagonismen und widersprüchlicher sozialer Positionalität als prägende Elemente gesellschaftlichen Seins. Statt die moderne Kontingenz- und Konflikterfahrung mit Hilfe einer Individualisierungsideologie zu unterdrücken oder in einem Vertragssystem mit ungleich verteilten Kosten zu binden und zu harmonisieren, rationalisiert der Marxismus sie offensiv unter emanzipatorischer Zielsetzung, so daß sie Grundlage — und nicht Hindernis — für die Ordnungsfunktion eines Begriffssystems wird, das sich nach erfolgreicher gesellschaftlicher Manifestation — der Gestaltung des Kommunismus — selbst aufheben kann. Das moderne Projekt der rationalen Sinnstiftung, der emanzipatorischen Bewältigung der Kontingenzerfahrung markiert alle sogenannten großen Erzählungen seit der Aufklärung, wird jedoch von marxistischer Theorie am konsequentesten verfolgt, weil der Gehalt dieser Erfahrung sich mit der emanzipatorischen Zielsetzung verbindet und direkt in die Theorie- und Begriffsbildung eingeht. So hat der Marxismus seine Existenzberechtigung nicht zuletzt daraus gewonnen, daß die liberalkapitalistische Moderne letztendlich kein adäquates Ordnungsmodell anzubieten hat angesichts der „Unordnung“, die sie selbst vorantreibt:
Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. Alle festen, eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.1
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Literatur
Karl Manx/Friedrich Engels, Manifest der kommunistischen Partei, Werke Bd. 4 (Berlin 1959), 465.
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© 1996 Leske + Budrich, Opladen
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Rüdiger, A. (1996). Schluß: Reartikulation des Demokratiebegriffes. In: Dekonstruktion und Demokratisierung. Kieler Beiträge zur Politik und Sozialwissenschaft, vol 15. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93689-9_11
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-93689-9_11
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-8100-1710-9
Online ISBN: 978-3-322-93689-9
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