Zusammenfassung
In den Sozialwissenschaften besteht weitgehend Konsens darüber, Eliten als Personen zu definieren, die sich durch ihre gesellschaftliche Macht bzw. ihren Einfluß auf gesellschaftlich bedeutsame Entscheidungen auszeichnen. Diese Begriffsbestimmung schließt bereits eine Vielzahl anderer Elitebegriffe aus, die Eliten über Wissen oder Leistung, über ihren Beitrag zur Realisierung gesellschaftlicher Ziele oder über andere Kriterien definieren (Vgl. dazu Schluchter, 1963; Felber, 1986; Mittelstraß, 1984).
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Ein Stellvertreter, der seinen Chef bei einer wichtigen Sitzung vertritt, würde demnach nur dann zur Elite gehören, wenn der Chef die Angewohnheit hat, sich regelmäßig von ihm vertreten zu lassen, nicht jedoch im Falle einer gelegentlichen Vertretung, z.B. wegen einer Erkrankung.
Letzteres ist übrigens der Hauptgrund, hier den vielfach gebräuchlichen Begriff der “Funktionselite” zu vermeiden, der häufig explizit (z.B. bei Keller, 1963) oder implizit (z.B. Stammer, 1951; Herzog, 1982: 3; Burton, 1984) mit der Annahme verbunden ist, daß Eliten einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Gesellschaftsstruktur leisten.
Endruweit (1986: 30f.) benutzt den “Funktionselitenbegriff” demgegenüber in demselben Sinne wie den hier gewählten Elitebegriff, nämlich über die “Beeinflussung sozialer Prozesse”. Diesen Einfluß charakterisiert er als “Funktion” der Eliten.
Vgl. dazu Dahrendorf, 1967; Bottomore, 1964: 12; Scheuch, 1973: 993f.; Burton und Higley, 1987a: 220ff.
Sartori hat demgegenüber in seinem jüngsten Buch angeregt, die normative Dimension des Pareto’schen Elitebegriffs wieder aufzugreifen, d.h. nicht nur das “altimetrische”, sondern auch das “meritokratische” Kriterium zu berücksichtigen. So unterscheidet er zwischen Eliten und Machthabern und entsprechend zwischen Elitenstruktur und Machtstruktur (1987: Kap. 6, insbesondere Abschnitt 6.4, S. 141–144).
Einer der Betroffenen, Dietrich Sperling, hat dies auf einen kurzen Nenner gebracht: “Das Schlimme ist: die Langfristigkeit der Perspektive geht unter der Kurzfristigkeit der Erwartungen für Problemlösungen verloren.” (1976: 20) Das genannte Beispiel zeigt, daß die subjektiven Einschätzungen der Eliten selbst vermutlich kein verläßlicher Indikator für tatsächliche Handlungsspielräume sind. Sie können eher als Gradmesser für die jeweilige Zufriedenheit mit den eigenen Einflußmöglichkeiten betrachtet werden — was im übrigen eine Variable von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Stabilität eines politischen Systems sein dürfte.
Der Begriff “repräsentativ” wird von ihnen dabei nur lose definiert und auch auf Gesellschaften mit stark eingeschränktem Wahlrecht angewandt. Ihr Hauptaugenmerk gilt mehr dem liberalen Aspekt der Polyarchie — im Sinne von Elitenkonkurrenz — als genuin demokratischen Institutionen.
Das Beispiel der Bundesrepublik paßt nicht besonders gut in diese Kategorie, da das theoretische Argument der Autoren eigentlich in erster Linie Kolonien gilt, in denen sich die Führungsgruppen der besetzten Gebiete im vereinten Kampf gegen die fremde Herrschaft entschieden, ihre gegenseitige Legitimität anzuerkennen und die Macht in Zukunft einvernehmlich zu teilen. Strenggenommen trifft dies von den genannten Beispielen nur auf die USA zu, während man in der Bundesrepublik und auch in den anderen genannten Ländern nur bedingt von einer nationalen Widerstandsbewegung gegen die Fremdherrschaft sprechen kann.
Zudem sind die gewählten Beispiele teilweise problematisch, da die politische Realität nicht in allen der genannten Länder unstrittig dem liberal-repräsentativen Modell entspricht (z.B. in Mexiko, Singapur und dem ehemaligen Rhodesien), während andererseits einige demokratische Länder fehlen. Vgl. hierzu auch die weiteren Arbeiten dieser Autoren (u.a. Field und Higley, 1985; Higley et al., 1990) sowie die Kritik Cammacks (1990).
Die Autoren weisen auf die Ironie hin, die darin liegt, daß der Übergang zur Demokratie mit undemokratischen Mitteln erfolgt. Sie kennzeichnen solche Elitenvereinbarungen folgendermaßen: They are typically negotiated among a small number of participants representing established (and often highly oligarchical) groups or institutions; they tend to reduce competitiveness as well as conflict; they seek to limit accountability to wider publics; they attempt to control the agenda of policy concerns; and they deliberately distort the principle of citizen equality. Nonetheless, they can alter power relations, set loose new political processes, and lead to different (if often unintended) outcomes.” (1986: 38) Burton und Higley (1987b: 297) haben diese Ironie dahingehend aufgelöst, daß sie “elite Settlements” als einen Übergang von dem Typ der ungeeinten Elite zum Typ der konsensuell geeinten Elite bezeichnet haben. Die letztere ist ihrer Meinung nach eine notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung für demokratische Verhältnisse. Dies impliziert einen zweistufigen Prozeß, in dem der Elitenpakt nur die erste Stufe darstellt.
Ein solcher Ansatz ist beispielsweise von Birgitta Nedelmann zur Erklärung der Entwicklung des schwedischen Parteiensystems entwickelt worden, in dem sie die Parteigründer als “Organisationsinnovateure” den etablierten “Sanktionsträgern “ gegenüberstellt (1975).
So sind sich beispielsweise die neo-marxistischen Autoren, Domhoff, Mills, Dahl, Lindblom sowie manche Vertreter der Korporatismusthese einig in der Betonung des Übergewichts von Wirtschaftsinteressen und der relativen Machtlosigkeit unterprivilegierter Gruppen mit geringer Organisationskapazität und geringem Sanktionspotential. Sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der Faktoren, auf die sie diese zurückführen, wie auch in ihrer Bewertung der analysierten Strukturen.
Dabei ist zusätzlich zu betonen, daß Nordlingers Konzept des Staates, im Gegensatz zu vielen marxistischen Theorien, ohne die Annahme einer ontologischen “Einheit” des Staates auskommt (1981: 15). Konflikte zwischen verschiedenen staatlichen Organisationseinheiten werden explizit in sein Modell mit einbezogen.
Auch wenn die Einschätzung Zapfs sicherlich nicht mehr zutrifft, die Spitze der Gesellschaft gehöre zu den gesellschaftlichen Tabuzonen (1965: 204), so bleibt sein Plädoyer für den deskriptiven Nutzen der empirischen Eliteforschung zweifellos gültig.
Author information
Authors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 1992 Leske + Budrich, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Hoffmann-Lange, U. (1992). Eliten, Machtstrukturen und gesellschaftliche Integration. In: Eliten, Macht und Konflikt in der Bundesrepublik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93654-7_1
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-93654-7_1
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-8100-0962-3
Online ISBN: 978-3-322-93654-7
eBook Packages: Springer Book Archive