Zusammenfassung
Die Lyrik gilt neben dem Drama schon immer als Zentrum der expressionistischen Literatur. Sie kann deren Subjektivismus adäquaten Ausdruck verleihen, der sich inhaltlich als Vitalismus zeigt, und korrespondiert mit dem Individualismus der klassisch-romantischen Periode, der trotz aller Aufrufe zur Brüderlichkeit dominiert.1 Auch das moderne Verhältnis zur Wirklichkeit, einerseits die Schaffung eines eigenen Reiches der Kunst und andererseits der Versuch, durch Literatur politisch zu wirken, erlaubt sie mit Hilfe einer sich verselbständigenden Bildlichkeit bzw. eines appellativen Pathos. Zudem kann die Zerstörung der konventionellen Sprache in der Lyrik besonders radikal vonstatten gehen, da diese keine Fabel und Informationen transportieren muß, sondern das Experiment bis in die lautliche Schicht der Sprache hinein und bis zum Einzelwort fortführen kann (vgl. die Wortkunsttheorie des Sturmkreises und die Experimente des Dadaismus).
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Anmerkungen
Vgl. Wolfgang Paulsen: Deutsche Literatur des Expressionismus, Bern, Frankfurt/M., New York 1983, S. 69: Die Lyrik „kam dem primär subjektivistisch-kreativistischen Charakter des Expressionismus, diesem neuen Siegeszug des Ich durch die Literatur, am unmittelbarsten entgegen/’
Paul Raabe: Der Expressionismus als historisches Phänomen, in: DU 17 (1965), S. 5–20, hier S. 17 bzw. S. 14.
Maßgeblich für diese Auffassung war Karl Ludwig Schneider: Der bildhafte Ausdruck in den Dichtungen Ernst Stadlers, Georg Heyms und Georg Trakls, Heidelberg 1954.
Silvio Vietta und Hans-Georg Kemper (Expressionismus, München 1975, S. 30ff.) sehen darin eine Analogie zu den modernen Massenmedien.
Vgl. Christoph Eykman: Die Funktion des Häßlichen in der Lyrik G. Heyms, G. Trakls und G. Benns. Zur Krise der Wirklichkeitserfahrung im Expressionismus, 2. erw. Aufl., Bonn 1969. Zu den damit verbundenen, zentralen Themen der Großstadt und der Technik vgl. Karlheinz Daniels: Expressionismus und Technik, in: Technik in der Literatur, hrsg. von Harro Segeberg, Frankfurt/M. 1987, S. 351–386.
Vgl. Vietta und Kemper: Expressionismus, S. 190: „Der Autor des messianischen Expressionismus sieht sich gerne in der Rolle des prophetischen Führers, der ‘sein Volk’ anredet. Das Hohle und Verblasene des religiösen Pathos entspringt auch der irrealen Einschätzung des eigenen Ich.“Die Enttäuschung über das Scheitern der idealistischen Wünsche scheint hier das literaturgeschichtliche Urteil zu bestimmen.
Adolf D. Klarmann: Franz Werfel, in: Expressionismus als Literatur. Gesammelte Studien, hrsg. von Wolfgang Rothe, Bern 1969, S. 410–425, hier S. 414.
Paulsen: Deutsche Literatur, S. 125.
Vgl. Eva Kolinsky: Engagierter Expressionismus. Politik und Literatur zwischen Weltkrieg und Weimarer Republik. Eine Analyse expressionistischer Zeitschriften, Stuttgart 1970.
Gottfried Benn: Sämtliche Werke, hrsg. von Gerhard Schuster, Bd. IV, Stuttgart 1989, S. 79.
Vgl. „Nur das Wort, jedes Wort ist Material der Dichtung, nicht der Begriff, der das Wort verstellt“und „Das Leben des Sichtbaren oder des Unsichtbaren ist der Rhythmus. Nur Bewegung ist Leben.“, in: Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1910–1920. Expressionismus. Mit Einleitungen und Kommentaren, hrsg. von Theodor Anz und Michael Stark, Stuttgart 1982, S. 620.
Siehe Richard Brinkmann: Zur Wortkunst des Sturm-Kreises, in: Unterscheidung und Bewahrung. Fs. Kunisch, hrsg. von K. Lazarowicz und W. Kron, Berlin 1961, S. 63–78, hier S. 71. Stramm ist „auf dem Wege zu einem absoluten Wortkunstwerk“, S. 72.
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Esselborn, H. (1994). Die expressionistische Lyrik. In: Piechotta, H.J., Wuthenow, RR., Rothemann, S. (eds) Die literarische Moderne in Europa. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93605-9_12
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