Zusammenfassung
Obwohl agrammatische Symptome mittlerweile differenziert beschrieben werden, ist über einen Mechanismus, der die Regelhaftigkeit dieser Fehlbildungen bestimmt, wenig bekannt. Die Frage nach einem übergreifenden Prinzip für aphasische Störungen nimmt derzeit eher einen exotischen Status ein. Einen Ansatz, der sich dieser Forschungslücke zuwendet, stellt die Markiertheits- und Natürlichkeitstheorie dar, die in ihren Wurzeln bis in die strukturalistische Arbeit der Prager Schule in den dreißiger Jahren zurückreicht. In der vorliegenden Arbeit sollte die Anwendbarkeit dieser Theorie auf aphasische Störungen im Bereich der Verbalkategorien überprüft werden. Markiertheitstheoretiker in der Tradition von Trubetzkoy (1958) und Jakobson (1932/1971, 1944/1982) gehen davon aus, daß Sprache ein System ist, dessen Elemente in binären Oppositionen organisiert sind. Diese Oppositionen zeichnen sich dadurch aus, daß die beiden Pole hinsichtlich des auszudrückenden Inhalts oder Merkmals nicht gleichrangig, sondern hierarchisch strukturiert sind. Der merkmalsneutrale Pol gilt als das unmarkierte, der merkmalstragende Pol als das markierte Element der Opposition. Diese Grundstruktur findet sich auch bei grammatischen Kategorien wieder. Eine grammatische Kategorie ist laut Jakobson (1957/1971) dann — und nur dann — vorhanden, wenn zwei grammatische Elemente in Opposition zueinander stehen. Diese Opposition muß zudem eine hierarchische Struktur aufweisen. So konstituiert sich die grammatische Kategorie Tempus aus der Opposition präsentischer und nicht-präsentischer Formen. Präsens wird als das unmarkierte Element betrachtet, das sich bezüglich möglicher Tempusshiftings neutral verhält und der Präsupposition JETZT entspricht. Die nicht-präsentischen Formen gelten gegenüber den präsentischen Formen als die markierten Elemente der Kategorie Tempus. Sie dienen dazu, eine Abweichung von der Präsupposition JETZT anzuzeigen. Dementsprechend dient die Kategorie Modus dazu, die Abweichung von der Präsupposition REAL auszudrücken und anzuzeigen, daß ein Sachverhalt auf die irreale Ebene verlagert wird. In der Markiertheits- und Natürlichkeitstheorie wird davon ausgegangen, daß derartige Präsuppositionen aus den Eigenschaften des prototypischen Sprechers entstehen. Man nimmt an, daß die egozentrische Wahrnehmung des Menschen immer von ICH/ HIER/ JETZT ausgeht, solange keine Abweichung von diesem Standpunkt signalisiert wird. Es wird davon ausgegangen, daß die Präsuppositionen bzw. die Abweichungen von diesen Präsuppositionen die unterschiedlich markierten Pole grammatischer Kategorien konstituieren (Vgl. Leiss 1992).
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Seewald, B. (1998). Zusammenfassung. In: Aphasie und Natürlichkeit. Psycholinguistische Studien. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93551-9_7
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-93551-9_7
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