Frankreich und Europa: die Kluft zwischen Politik und Gesellschaft

Zusammenfassung

Die Zukunft wird zeigen, ob die bei der Tagung des Europäischen Rats in Nizza verabschiedeten Reformen — darunter das neue, komplexere Entscheidungsverfahren, das Mehrheitsbeschlüssen wenig Raum lässt — ausreichen, um die Erweiterung der Europäischen Union vorzubereiten. Es besteht Anlass zur Skepsis. Wie dem auch sei, was bei diesem Gipfel besonders auffiel, ist eine gewisse Schwächung des Gemeinschaftsgeistes. Die Mitgliedsländer versuchten, engstirnig ihre nationalen Interessen zu verteidigen, auf Kosten der gemeinsamen Interessen. Wenn man verschiedenen französischen und ausländischen Zeitungen sowie einigen Teilnehmern des Gipfeltreffens Glauben schenken darf, ist dies in erster Linie auf die Ratspräsidentschaft Frankreichs zurückzuführen. Die „arroganten“ Franzosen sollen alle ihre Partner herablassend behandelt haben. Dieser Vorwurf stimmt nachdenklich, selbst wenn man gewisse Stereotypen berücksichtigt und bedenkt, dass europäische Tugenden überall auf dem Kontinent zur Seltenheit werden. Versuchten die Franzosen, vorab festgelegte Ideen durchzusetzen? Schockierten sie ihre Partner, indem sie einen übersteigerten Nationalismus an den Tag legten, der Ausdruck einer als „gaullistisch“ zu bezeichnenden Haltung der französischen Bevölkerung war?

Übersetzung: Karin Albert