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Selbstbehauptungsmuster vor und nach der Wende

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Part of the book series: Biographie und Gesellschaft ((BUG,volume 21))

Zusammenfassung

Michaela wurde 1964 in Eisenach in der ehemaligen DDR geboren. Ihre Eltern sind beide Lehrer. Michaelas Familie gehörte zu einem engeren Kreis von Oppositionellen in der DDR. Nichtsdestoweniger wird das Mädchen, wie fast alle Kinder der DDR, mit Beginn der Schule auch Mitglied bei den Jung-Pionieren, später auch Mitglied in der FDJ. Michaela wächst in einer gleichsam gespaltenen lebensweltlichen Normalität auf: eine familiär definierte Normalität zum einen sowie eine durch die staatlichen Institutionen und Autoritäten repräsentierte und reproduzierte Normalität zum anderen. Das Mädchen kann die Aktivitäten und Verwicklungen der Eltern innerhalb der oppositionellen Szene zunächst nicht recht deuten. Sie registriert die vielen Freunde und Besucher der Eltern, die in rascher Folge an- und abreisen und die daheim stets zu lebhaften Diskussionen unter den Erwachsenen führen, eher als permanente “latente Unruhe” innerhalb des Familienlebens. (“Ich wußte zwar, daß der Robert Havemann, das is son älterer Mann, da kannste auch mal hinfahren im Urlaub und eh im Sommer. Und das is ganz nett und die freun sich, wenn mer mal hinkommen. Aber ich hab das nie so richtig politisch begriffen.”) Zu einer ersten Zuspitzung innerhalb dieser Kindheit “in zwei Welten” kommt es, als ihr Onkel, ein enger Vertrauter der Familie, 1977 im Gefolge der Biermann-Affäre ebenfalls ausgebürgert wird.

’Als die Stasi bei uns var der Tar stand, da bin ich erwachsen geworden, also mit 10 Jahren.’

Biographische Kontingenz zwischen Selbstbehauptung und Stasi-Uberwachung — Michaela Cardinier

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Literatur

  1. Abstrahiert man von der biographischen Dimension des Einzelfalls, so fällt dabei auch für die politische Dimension des Zusammenhangs von Bürgerbewegungen und gesellschaftlichem Umbruch auf: An der Stelle, wo das politische Engagement in der Bürgerbewegung nicht mehr als gestaltendes Engagement an der Gegenwart und Zukunft möglich war, tritt offenbar die Aufarbeitung der Vergangenheit zunehmend in den Fokus. Die Frage stellt sich allerdings angesichts der inzwischen absehbaren Entwicklung, ob dabei der notwendige und redliche Versuch einer politisch konzipierten Aufarbeitung der Vergangenheit der DDR-Gesellschaft insbesondere für ehemalige Oppositionelle nicht zunehmend in der Sackgasse einer biographischen Selbstverstümmelung endete, die den Opfern von gestern eine weitere Phase der Verletzung, der Verluste und schmerzhafter Desillusionierung zumutete, ohne darüber hinaus aber auch in der makrosoziologischen Dimension eines gesellschaftlichen Täter-Opfer-Ausgleichs kathartisch wirken zu können.

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  2. die bis zum Zeitpunkt des Interviews nur unzureichend aufgeklärt werden konnten.

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  3. Die Ehescheidung spielt im gesamten Interview eine untergeordnete Rolle. Auf eine entsprechende Nachfrage betont Max einmal, daß diese Scheidung für ihn keine große Rolle gespielt habe. “Das war für mich ne logische Folge von Zwischenfallen.” Zum einen sei er ohnehin stets auf Abgrenzung und Loslösung von der Familie bedacht gewesen (“Nicht weil ichs da schlecht hatte oder so, ich habs ja eigentlich wirklich gut gehabt, bloß es war eben phh (..) nicht mein Ding. Ich bin nicht son Mensch.”), zum anderen sei er eben zum Zeitpunkt der Scheidung auch schon aus dem Haus gewesen.

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  4. In einer späteren Sequenz korrigiert Max diesen Punkt. Zu Beginn seiner Lehre nötigt man ihn doch, in die FDJ einzutreten. Widerstrebend gibt er nach, tritt aber später wieder aus. An dem Versuch, diesen Punkt in der Erzählung zu negieren, läßt sich implizit einiges von den Legitimationszwängen ablesen, denen sich der Interviewpartner offenbar hinsichtlich der biographischen Vereinbarkeit seiner gleichermaßen protestantisch-nonkonformen und sozialistisch-kollektiven Sozialisation ausgesetzt fühlt.

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  5. Die Zerbrechlichkeit dieser Konstruktion wird indes bereits im nächsten Satz sichtbar. Wird der Akt des Eintritts in die Pionierorganisation zugleich als freiwilliger und willentlicher Entschluß des Individuums gekennzeichnet, der sich hier nicht aus der Gemeinschaft der Gleichaltrigen herausheben oder auch isolieren möchte, so signalisiert der weitere Kommentar aus dem heute heraus (“könnt ich wahrscheinlich och noch nich so drüber nachdenken”) zugleich Zweifel über die Richtigkeit dieses Schrittes: Der retrospektive Blick des Erzählers zweifelt dann doch an der Reichweite dieses kindlichen Reflexions-und Urteilsvermögens, mithin an der Richtigkeit der Entscheidung.

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  6. Die erste Berührung mit einer solchen Subkultur als Schlüsselerlebnis beschreibt verblüffend ähnlich auch eine westdeutsche Studie: “Ich geh so die Kampstraße lang und da war so ‘ne Wäscherei mit schwarzen Marmorplatten und da stand ganz groß in Weiß: ‘Es gibt Punks in Hagen!’ und ich bin so abgefahren … das war das Schlüsselerlebnis, um mit den Leuten in Kontakt zu kommen.” (Kuhnert 1987, 250f.)

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  7. Trau keinem über dreißig!

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  8. Der Avantgarde-Filmemacher Herbert Achternbusch, in seiner bayerischen Heimat in den 80er Jahren mit ähnlichen Problemen konfrontiert, formulierte diese Drohung einmal wie folgt: “Ich werde solange hierbleiben, bis man es der Landschaft ansieht.”

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  9. Diese Entwertungsprozesse im Protestgehalt jugendlicher Stilbildungen sind dabei keineswegs ein Spezifikum der ostdeutschen Subkulturen im Gefolge des deutschen Einigungsprozesses. Vielmehr hatten die britischen Subkulturforscher des CCCS bereits Ende der 70er Jahre auf diesen permanenten Transformati-onsprozeß in der Entstehung, Verallgemeinerung, Kommerzialisierung und Auflösung des sich ästhetisch und subkulturell äußernden politischen Jugendprotestes hingewiesen. Das CCCS (vgl. Clarke u.a. 1979, Willis 1981, Brake 1981) hatte sich in diesem Zusammenhang vor allem für die kultursoziologische Dimension eines sich soziokulturell vollziehenden gesellschaftlichen Wandels interessiert, an dem die subkulturellen Jugendlichen als kreative Akteure und Trendsetter beteiligt waren. Galten die Verallgemeinerungs-und Verein-nahmungstendenzen bei den einzelnen Stilen dabei als zwangsläufiges Resultat der unauflösbaren Wechselbeziehung zwischen ‘authentischem Jugendprotest’ und Kulturindustrie (“Kaufhof macht den Punk zum Prunk”), denen damit zugleich der Keim für eine stetige Weiterentwicklung der Stile eingepflanzt war, so kam in dieser Perspektive doch stets die biographische Dimension der Subkulturzugehörigkeiten und damit auch der möglichen sozialen Verlusterfahrungen und Desorientierungen im Gefolge der Auflösungen von Stilen und Gruppenstrukturen zu kurz (vgl. auch Kuhnert 1987, 255ff.).

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  10. DT 64 war der einzige jugendspezifische Radiosender aus DDR-Zeiten (“Jugendradio”). Die Abkürzung ‘DT 64’ steht für das Deutschlandtreffen der FDJ 1964, auf dem die Einrichtung dieser Welle beschlossen worden war. War der Sender zu DDR-Zeiten, wie auch kaum anders möglich, weitgehend systemkonform, so entwickelte er sich nach der Wende rasch zu einem kritischen Sprachrohr der ‘DDR-Jugend’. Der Sender half dabei nicht nur, den gesellschaftlichen Transformationsprozeß im Bereich der jugendlichen Lebenswelten durch entsprechende Informationen und Beratungsservice über die ‘neue Gesellschaft’ zu synchronisieren, sondern verstand sich auch stets als parteilicher Anwalt der jugendlichen ostdeutschen Interessen. Das Ergebnis war eine offenbar hochgradige Identifikation der ostdeutschen Jugendlichen mit “ihrem” Sender, was bei der sukzessiven Auflösung dieses letzten ‘DDR-Relikts’ im Bereich der Medien zu den einzigen größeren Jugendprotesten (neben einigen studentischen Protesten im Gefolge der Abwicklung der DDR-Hochschulen) im Verlauf der Wende und des Umbruchs führte.

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  11. Ein alter Punkspruch der 70er und 80er Jahre lautete: “Kill your ideals”.

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  12. vgl. Kap. ‘Mythologie der staatlichen DDR-Jugendkultur’

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  13. Parteisekretäre waren in den Betrieben die höchsten Funktionäre der SED.

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  14. Als Indiz für die Richtigkeit der These kann vielleicht noch die symptomatische Ausblendung und damit die partielle (erzählerische) Verdrängung des Erfahrungszusammenhangs der Scheidung sowie der Person des Stiefvaters angeführt werden.

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  15. Frankfurt/Oder

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  16. Helsper u.a. (1991, 280ff.) stoßen in ihrer Untersuchung jugendlicher Übersiedler ebenfalls auf diese unterschiedliche soziale Bedeutung jugendkultureller Stile in der DDR und in der Bundesrepublik. Vor dem Hintergrund des’ systemwechsels’ deuten die Autoren diesen Aspekt allerdings nicht als Entwertungserfahrung sondern als Integrationsproblem der jungen ostdeutschen Übersiedler in den alten Bundesländern.

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  17. Christian zeigt dem Interviewer während des Interviews diese Buchausgabe.

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  18. Arbeit

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  19. Nur auf diesem Hintergrund ist vielleicht die hartnäckige Überzeugung vieler DDR-Bürger (auch Christian’s) zu verstehen, durch den auf 4000,-Mark begrenzten 1:1 Umtauschkurs der Währungsunion enteignet worden zu sein.

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  20. Dieses Haus, das im Jahr 1991/92 bundesweit einen erheblichen Medienwirbel verursachte, wurde einige Tage vor dem Interview bei einem Brandanschlag völlig zerstört. Die Täter waren unbekannt, wurden aber im Kreise der autonomen Szene von Christian’s Heimatstadt vermutet. Sowohl die autonomen Unken Gruppierungen wie auch die etablierten Parteien des Stadtrates hatten lange Zeit vergeblich gegen die Existenz einer solchen “rechten Bastion” gewettert, die in allen bundesdeutschen Talkshows, Gazetten und Fernsehsendern vorgeführt wurde. Streetworker des Jugendamtes, die einen dauerhaften Kontakt zu den rechten Jugendlichen herstellen konnten, hatten demgegenüber stets auf die integrative soziale Punktion eines solchen Hauses hingewiesen, über das zudem erst ein kontinuierlicher und konstruktiver Zugang der Streetworker zur Szene möglich war.

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  21. “Hat sich durch die Wende an Deinen Lebens-und Zukunftsplänen was geändert?”

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© 1994 Leske + Budrich, Opladen

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von Wensierski, HJ. (1994). Selbstbehauptungsmuster vor und nach der Wende. In: Mit uns zieht die alte Zeit. Biographie und Gesellschaft, vol 21. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-92521-3_9

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-92521-3_9

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-322-92522-0

  • Online ISBN: 978-3-322-92521-3

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