Zusammenfassung
Im Gegensatz zu den meisten anderen sozialwissenschaftlichen Untersuchungsobjekten vermittelt uns Familie das Gefühl, daß wir quasi automatisch wissen, was wir unter unserem Untersuchungsgegenstand zu verstehen haben. Schließlich verfügen wir ja alle auf dem Gebiet über Expertenwissen, sind wir doch stark mehrheitlich in Familien hineingeboren worden oder haben eine solche mitgegründet. Schon ein flüchtiger Blick auf die einschlägigen Arbeiten der Familienforschung macht uns aber deutlich, daß Familie keineswegs eine anthropologisch bedingte, „quasi von Natur“ aus feststehende, sondern vielmehr eine historisch bedingte Sozialform ist (Weber-Kellermann 1977:11), die sich sowohl im Hinblick auf ihre Zusammensetzung und interne Beziehungs- und Funktionsstruktur als auch in bezug auf ihr Verhältnis zu der sie umgebenden Gesellschaft im Zusammenhang des sozialen Wandels als höchst variable gesellschaftliche Institution erwiesen hat. So umfaßte die Kernfamilie im Verband früher menschlicher Gesellschaften wahrscheinlich nur Mutter, Kinder und ältesten Bruder der Mutter als Schutzinstanz in einem sozialen Entwicklungsstadium, in dem die Frage nach der biologischen Vaterschaft ohne Relevanz war (ebenda: 9). Das „Ganze Haus“ des Mittelalters, das bis weit in die Neuzeit eine verbreitete Familienform war, schloß nicht nur Eltern, Kinder und andere Verwandte ein, sondern auch Hauspersonal. Und ein Blick auf die heutige Situation zeigt uns, daß wir in einem (auch rechtlich) sehr weitgefaßten Familienbegriff nicht nur Ehepaare mit Kindern, sondern auch Alleinerziehende mit Kindern und Lebensgemeinschaften unverheirateter Paare (in Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften) als Familien einordnen (s. dazu z. B. Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.7.1977, VC 62/75, zit. n. Bethusy-Huc 1987: 3).
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Selbst dieses grundlegend erscheinende Definitionsmerkmai ist sowohl in Teilen der sozialwissenschaftlichen Familienforschung als auch im common sense der bundesdeutschen Bevölkerung nicht mehr selbstverständlich. So stuften in einer Befragung immerhin 25% der Befragten über 16 Jahre auch kinderlose Ehepaare als Familien ein (Köcher 1985: 159).
So heißt es z. B. im Kuratoriumsentwurf: „(1) Familien und Lebensgemeinschaften mit Kindern oder Hilfsbedürftigen stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“, in der Verfassung des Freistaates Sachsen: Art. 22 Abs. 2: “Wer in häuslicher Gemeinschaft Kinder erzieht oder für Hilfsbedürftige sorgt, verdient Förderung und Entlastung“ (zit. n. EAF 4/1992 S. 6/7).
Die die Darstellung in diesem Abschnitt verdeutlichenden Grafiken befinden sich im Anhang.
Speziell mit dem Aspekt der Rationalität im generativen Verhalten werden wir uns in einem späteren Teil der Arbeit noch beschäftigen..
Die genauen statistischen Angaben finden sich in den entsprechenden Tabellen des Kap. 8.
Unter Familie werden hier alle Ehepaare mit Kindern, Ehepaare ohne Kinder sowie Alleinerziehende mit ihren Kindern verstanden.
Rights and permissions
Copyright information
© 1996 Leske + Budrich, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Gerlach, I. (1996). Familie: Definitionen. In: Familie und staatliches Handeln. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-92519-0_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-92519-0_2
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-1351-4
Online ISBN: 978-3-322-92519-0
eBook Packages: Springer Book Archive