Skip to main content

Zwischen Transzendenzerwartungen und radikaler Verdiesseitigung: Die Katechetin Katja Weber und die Rationalität relativ geschlossener Sinnwelten

  • Chapter
An den Rändern der deutschen Hauptstadt
  • 222 Accesses

Zusammenfassung

Der Frage nach Kontinuität und Wandel von Milieus im engeren Verflechtungsraum von Berlin und Brandenburg nachgehend, spürt die nachfolgende Analyse1 der Lebensgeschichte und den Weltbildern einer Frau aus dem kirchlichen Umfeld der Umlandgemeinde Otterstedt nach. Dabei ist der engere Verflechtungsraum von Berlin mit Brandenburg von besonderem Interesse, weil wir Verflechtungsprozesse stattfinden, die „zwischen bloßem Nachholen von typischen Suburbanisierungsverläufen und eigenständigen Suburbanisierungspfaden changieren“ (Matthiesen 1997b). Gemäß dem Ziel des Forschungsprojektes, die kulturellen Kodierungen von Suburbanisierungsmustern aufzudecken, erweist sich die Biographieforschung mit ihrem deutenden Zugang als ein gutes Instrument, um zu verstehen, wie Individuen bei der Selbstaneignung ihrer Lebensgeschichte über lebensweltliche alltägliche Diskurse in ihren Sozialräumen und Milieus Kontinuitäten bilden und wie sie zugleich Veränderungen anstoßen. Um den Fallstricken der ’biographischen Illusion’ (Pierre Bourdieu) zu entgehen, werden zugleich aber Methoden der Strukturgeneralisierung an Einzellfällen einbezogen (vgl. zu den dabei einschlägigen Generalisierungsdimensionen U. Matthiesen 2001b).

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 49.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 59.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Literatur

  1. Sie lehnt sich stark an Prinzipien und Techniken der Fallanalyse nach Gabriele Rosenthal (Rosenthal 1995) und der strukturalen Hermeneutik an. Die einzelnen Analyseschritte können an dieser Stelle nicht in aller Ausführlichkeit dargestellt werden; genannt seien hier die Interpretation der biographischen Daten, die Sequenzanalyse des Interviews in Anlehnung an die Textsortenbestimmung nach Fritz Schütze, die thematische Feldanalyse sowie die Feinanalyse einzelner Textsegmente nach Ulrich Oevermann.

    Google Scholar 

  2. Zur theoriestrategischen Rolle von implizitem Milieuwissen siehe Matthiesen 1997a.

    Google Scholar 

  3. Genauer zum praxeologischen Zugang vgl. Bohnsack 1998.

    Google Scholar 

  4. vgl. zur Strukturierungsspur eines Typus genauer Matthiesen 1997c.

    Google Scholar 

  5. Biographin ist im Sinne der Biographieforschung die Interviewte, welche ihre Lebensgeschichte präsentiert. Alle Namen und Ortsangaben wurden anonymisiert.

    Google Scholar 

  6. Das thematische Feld ergibt sich aus der textanalytisch sequentiell durchgeführten „thematischen Feldanalyse“ zur analytischen Gewinnung der Basisstruktur der Selbstpräsentation.

    Google Scholar 

  7. Durch eine spezielle Interviewtechnik wurde der Biographin viel Raum zur Präsentation einer umfassenden Lebenserzählung entlang ihres Relevanzsystems gegeben. So entstand zu Beginn des Interviews eine längere Textpassage, die sogenannte Eingangserzählung. Diese Eingangserzählung ist bei der Analyse eines biographischen Interviews von herausragender Bedeutung, oftmals werden bereits hier entscheidende Topoi der Lebenserzählung in verdichteter Form präsentiert. Mittels einer Sequenzanalyse werden diese Topoi dann der Auswertung zugänglich gemacht. Interview-und Auswertungstechnik knüpfen dabei an die alltägliche Kompetenz des Erzählens an und entwickeln aus diesen Kompetenzen methodisch kontrollierte und kontrollierbare Erhebungs-und Analysetechniken. Insbesondere die lebensgeschichtlichen Rahmenbedingungen wurden hypothetisch ausgelegt und gedeutet; in diesem Portrait präsentiere ich einen Extrakt dieser Interpretationen.

    Google Scholar 

  8. „Vor dem Hintergrund des Arbeitskräfte-und vor allem Fachkräftemangels entwickelte sich die Qualifikation der Berufstätigen zu einer bedeutenden ökonomischen Ressource. Ab dem Beginn der 60er Jahre wurde nicht nur der über das Anlernen hinausgehenden beruflichen Qualifizierung von Männern eine größere Bedeutung beigemessen. Auch die bislang vernachlässigte Qualifizierung von Frauen rückte in den Mittelpunkt des staatlichen Interesses.“ (Mayer 1995: S. 99)

    Google Scholar 

  9. „Verberuflichung meint hier das Festschreiben von bestimmten Zugangsbedingungen … Für viele ehemals un-und angelernte Tätigkeiten wurden nun Berufsbilder definiert und eine berufliche Ausbildung gefordert.“ (Solga 1995: S. 62) Gleichzeitig erfolgte die Aufhebung der traditionellen Spezialisierung der Facharbeiterberufe in Grundberufe. Von diesem Prozess konnten die Eltern der Biographin profitieren und ihren ungelernten Status umwandeln.

    Google Scholar 

  10. Vgl. im Transkript Seite 4, Zeile 4. Interviewsequenzen werden im Originalton zitiert.

    Google Scholar 

  11. Vgl. zum Thema kontinuierliche Berufsverläufe in Ostdeutschland (Bertram u. a. 1996)

    Google Scholar 

  12. Mit dem Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem von 1965 erachtete die SED die politische Aufgabe der Brechung des bürgerlichen Bildungsprivilegs als erfüllt und den Anspruch der gleichen Bildungschancen als weitgehend eingelöst. Das Ergebnis war eine z.T. drastische Beschränkung der Zulassungszahlen zu den Erweiterten Oberschulen und Hochschulen (Mayer 1995). Vgl. zur Differenz zwischen den Versprechen gleicher Bildungs-und Aufstiegschancen und den immer schärferen Schließungstendenzen des Systems Woderich 1997.

    Google Scholar 

  13. Nachdem die Studentenzahlen in den 60er Jahren deutlich gestiegen waren, wurde in dem Bemühen, die Struktur der Qualifikationsabschlüsse der voraussichtlichen Berufsstruktur bedarfs-und nicht nachfrageorientiert anzupassen, auf dem VIII. Parteitag der SED (1971 ) beschlossen, den Zugang zur Abiturstufe und zum Studium an die Planung des gesellschaftlichen Bedarfs von Hochschulabsolventen zu koppeln. Dies hatte die restriktive Bewirtschaftung des Ü bergangs in zum Abitur führende Bildungsgänge zur Folge: „…danach wurde die Abiturientenquote bei etwa 12 Prozent eingefroren.…“ (Solga 1995: S. 100)

    Google Scholar 

  14. Die Biographin bemerkt dazu, dass sie später in ihrer Lehrausbildung gefragt wurde, warum sie kein Abitur gemacht habe; dass habe sie sehr verwundert, erklärt sie; sie hatte daran vorher überhaupt noch nicht gedacht.

    Google Scholar 

  15. Freundschaften beispielsweise konnte die Biographin nur schwer aufbauen.

    Google Scholar 

  16. So erhielt sie „ohne ihr Zutun“ einen FDJ-Ausweis. Fraglich wird diese Tatsachenbehauptung allerdings angesichts ihrer Tätigkeit als Kulturfunktionärin ihrer Schulklasse.

    Google Scholar 

  17. Die Erinnerung an die Jugendweihe ist verbunden mit der bitteren Gewissheit, dem System nicht entgegengetreten zu sein. Dieses Ereignis steht für den Aspekt der Anpassung, den sie längst überwunden glaubte. Plausibel wird ihr dieses Verhalten erst dadurch, dass sie eine Schuldverlagerung bilanziert und sich freispricht von einer Verantwortung, da über ihren Kopf hinweg entschieden wurde.

    Google Scholar 

  18. Nach Fischer-Rosenthal sind vor allem die Erfahrungen von Diskontinuitäten biographiegenerierend, d. h. biographische Arbeit wird notwendig, um lebensgeschichtliche Krisen und Brüche umzudeuten, zu verarbeiten und zu bewältigen. Biographische Arbeit meint dabei immer auch den Prozess der Aufrechterhaltung oder auch der Restrukturierung alltäglicher Ordnung, meint also kulturelle Rekodierungs-techniken. Sie spielen in dem gesamten Komplex DDR-Wende-Transformation eine entscheidende Rolle, wie nicht zuletzt die in diesem Band enthaltenen Fallanalysen zeigen.

    Google Scholar 

  19. Fettdruck steht für besonders emphatisch gesprochene Worte.

    Google Scholar 

  20. Vgl. S. 5, Z. 20-22

    Google Scholar 

  21. Dabei ist die Hinwendung gerade zur evangelischen Kirche kein Zufall. Die spezifische Gemeinschaftsform hier „… ist etwas ganz anderes als der rituell und ritualisierte, institutionell durchorganisierte, traditionale Gemeinschaftsverband der katholischen Kirche …“ (Soeffner 1992: S. 45)

    Google Scholar 

  22. Vgl. S. 6, Z. 31-32

    Google Scholar 

  23. Vgl. S. 6, Z. 14-15

    Google Scholar 

  24. Dass die kirchliche Orientierung sich gerade in der Phase der Adoleszenz durchsetzte, ist nicht verwunderlich, da diese Jugendphase häufig geprägt ist durch eine Suche nach gruppenspezifischer Veror-tung. „Der soziale Ort … einer probehaften Suche nach habitueller Ü bereinstimmung, nach milieuspezifischer Zugehörigkeit, ist ganz wesentlich die peer group, also der Zusammenschluss jener Gleichaltrigen, die in ähnlicher Weise von kultur-bzw. milieuspezifischer Desintegration und biographischen Diskontinuitäten betroffen sind.“ (Bohnsack1998: S. 266)

    Google Scholar 

  25. Vgl. S. 1,Z. 45-46

    Google Scholar 

  26. Dies führte zu endgültiger Resignation und Rückzug der Eltern. Der Vater, der sich schon in seinen Hoffnungen getäuscht sah, als die Tochter seinen Berufsplänen (Kunsthandwerk) nicht nachkam, kann die nochmalige Umorientierung nicht nachvollziehen und wendet sich verbittert ab.

    Google Scholar 

  27. Vgl. S. 2, Z. 31-39

    Google Scholar 

  28. Die Biographin flüchtet also mit 18 Jahren aus Verhältnissen, die sie zu erdrücken drohen. Dieses Familienthema „Flucht aus der Enge“ ist im Generationenverlauf nicht neu. Auch die Mutter verließ mit 16 Jahren ihr Elternhaus, da sie es dort nicht mehr aushielt. Die Option „räumliche Mobilität“, um Konfliktsituationen zu verlassen ist ein durchgängiges Handlungsmuster dieser Familie.

    Google Scholar 

  29. Vgl. S. 3, Z. 1-7

    Google Scholar 

  30. Interessant ist dieses Heiratsmuster, die Wahl eines starken Kontrastes auch im Generationenvergleich. Immerhin wählte auch die Mutter einen Kontrast zu ihrem Herkunftsmilieu. Die Eltern wünschten sich einen Bauern als Schwiegersohn, sie wählte aber einen Mann aus dem Arbeitermilieu. Diese genealogischen Zusammenhänge kann ich in diesem Rahmen jeweils nur kurz andeuten.

    Google Scholar 

  31. Die Hochzeit als Abnabelung vom Elternhaus wird in einer dramatischen Erzählung präsentiert: „Naja der hat gelitten (der Vater, Anmerkung d.A.), als ich ausgezogen bin, und am schlimmsten hat der gelitten, als ich geheiratet hab, der hat sich so besoffen, das war so schlimm, der hat uns fast die Hochzeit geschmissen. Also es war richtig, richtig schlimm, und trotzdem durch diesen Wegzug und so hat sich das Verhältnis ja gebessert. es wär sonst auch nicht auszuhalten gewesen, wenn ich da weiter gewohnt hätte … “ (vgl. S. 8, Z. 7-11)

    Google Scholar 

  32. Eine richtige Familie wird für die Biographin darüber fast homonym mit einer Kirchenfamilie. Sie erscheint ihr als Sinnbild all ihrer Erwartungen und Hoffnungen für das eigene Leben. Alle Konflikte scheinen sich im Erreichen dieses Ideals von selbst zu lösen.

    Google Scholar 

  33. Vgl. S. 8, Z. 33-35

    Google Scholar 

  34. Vgl. S. 3, Z. 18-22

    Google Scholar 

  35. Die politische Wende von 1989 könnte nach Schütze (Schütze 1995) als Verlaufskurvenpotential oder als kreativer Wandlungsprozess gedeutet werden, letzterer trifft u.U. auf Familie Weber zu. Fritz Schütze versucht mit seinem Ansatz das in der interpretativen Soziologie in den letzten drei Jahrzehnten ausgearbeitete Konzept der „Verlaufskurven“ systematisch für die soziologische Theoriebildung zu nutzen, etwa um eine „fragilitätssensible Sicht der sozialen Realität“ zu etablieren. Im Sinne der biographischen Gesamtdarstellung von Katja Weber wäre eine Einbindung in das Verlaufskurvenmodell für weitere Analysen gewinnbringend. Und neben der theoretischen Prämierung von Fragilitiätsstrukturen sind ostdeutsche Transformationsprozesse allerdings gerade auf der Ebene kultureller Muster und Mentalitäten durch erstaunlich wandlungsresistente Grund strukturen geprägt. Das ist eine der Erkenntnisse, die sich durch die Fälle dieses Bandes ziehen, trotz der neuen hybriden Mischungen übrigens.

    Google Scholar 

  36. D. ist ein direkter Nachbarort von Otterstedt und gehört gleichzeitig auch zum Arbeitsfeld des Ehepaares Weber.

    Google Scholar 

  37. Vgl. S. 7, Z. 32-37

    Google Scholar 

  38. Vgl. S. 13, Z. 31-46

    Google Scholar 

  39. Gerade die Jugendweihe als staatstragende Zeremonie in der DDR-Jugendkultur lebt als Ü berbleibsel fort. Darin sieht die Biographin aufgrund ihrer eigenen Erfahrung einen besonderen Affront. „Glanz-stück“ dieses erfolgreichen „sozialistischen Religionsersatzes“ ist … die 1954 eingeführte, bis heute hochattraktive Jugendweihe“ (Büscher 1998)

    Google Scholar 

  40. Vgl. S. 13, Z. 22-25

    Google Scholar 

  41. Vgl. S. 14, Z. 20-21

    Google Scholar 

  42. Vgl. S. 15, Z. 39-42

    Google Scholar 

  43. Vgl. die Re-Analyse dieser Fallproblem-Konstellation in VII.2 unter dem Titel „Transzendental gewendete Hybridisation“

    Google Scholar 

  44. Vgl. S. 1, Z. 8-11. Dörflich ist vor allem die Lage des protestantischen Pfarrhauses zu nennen. Ansonsten hat der Ort D. sich voll dem Bustourismus aus der Hauptstadt und dem Verflechtungsraum überantwortet.

    Google Scholar 

  45. Vgl. Wolfgang Büscher, Kein Gott, nirgends, 1998

    Google Scholar 

  46. … Unterm Strich sind trotz allen Mitgliederschwunds in den alten Bundesländern noch mehr als die Hälfte der Bürger Mitglied einer der beiden großen christlichen Kirchen — in den neuen Bundesländern dagegen ist es kaum mehr als ein Viertel (ebd.).

    Google Scholar 

Download references

Authors

Editor information

Ulf Matthiesen

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2002 Leske + Budrich, Opladen

About this chapter

Cite this chapter

Ohlbrecht, H. (2002). Zwischen Transzendenzerwartungen und radikaler Verdiesseitigung: Die Katechetin Katja Weber und die Rationalität relativ geschlossener Sinnwelten. In: Matthiesen, U. (eds) An den Rändern der deutschen Hauptstadt. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-92261-8_16

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-92261-8_16

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-8100-3105-1

  • Online ISBN: 978-3-322-92261-8

  • eBook Packages: Springer Book Archive

Publish with us

Policies and ethics