Zusammenfassung
Zwar fanden in fünf der 16 westafrikanischen Länder — zum Teil zum zweiten Mal — Parlaments-oder Präsidentschaftswahlen statt (Benin, Côte d’Ivoire, Guinea, Kapverden, Niger; s. Länderartikel), aber in den meisten Ländern stagnierte der Demokratisierungsprozeß. Obwohl sich in Liberia und Sierra Leone deutlich realistischere Ansätze für eine Lösung der Bürgerkriegskonflikte ergaben als in den Vorjahren, hielt in der Zunft der Afrika-Experten eine eher pessimistische Sicht der Entwicklungschancen der Region an. Das von dem renomierten amerikanischen Politologen Robert Kaplan gezeichnete Horrorszenario des heutigen Westafrika als Inkarnation aller Plagen dieses Kontinents (s. Westafrika-Artikel im Jahrbuch 1994) wurde durch weitere politologische Analysen untermauert. Ein international beachteter vertraulicher Bericht des französischen Politologen Jean-Francois Bayart für das französische Außenministerium über die “Kriminalisierung im Subsaharischen Afrika”, der im August in Auszügen an die Öffentlichkeit drang, stimmte in den Chor der Auguren ein: Gemäß diesem Bericht ist die Entwicklung in Ländern wie Liberia, Sierra Leone oder Nigeria immer weniger mit der Logik politischer, ethnischer oder regionaler Interessen zu erklären. In diesen vom Staatszerfall bedrohten Gesellschaften herrscht gemäß Bayart die Logik einer “Raubwirtschaft” (économie de prédation). Die “Raubritter”, die sich unter dem Deckmantel politischer Ziele daran bereichern, haben weniger Interesse an einer politischen Lösung der Konflikte als viel mehr an Raubzügen und Alimentierung kriegerischer Auseinandersetzungen. Ethische Grundsätze oder moralische Gesetze zählen nicht mehr; selbst zum Morden gedrillte Kindersoldaten, Sklaverei und Zwangsarbeit werden je nach Bedarf praktiziert. Die Plünderung der natürlichen und menschlichen Ressourcen lieferte trotz der bereits weitgehend zerstörten Infrastruktur durchaus noch ansehnliche Gewinne. In Liberia zum Beispiel hatte das Niveau des Latex-Exports wieder Vorkriegsstand erreicht; drei Bürgerkriegsparteien machten sich die Kontrolle der Firestone-Plantagen, der weltweit größten Gummibaumplantagen, streitig. In Sierra Leone könnten die Einnahmen aus dem Schmuggel von Diamanten, die unter Kontrolle der Warlords auf privaten Schnellbooten oder von einem der zahlreichen über das Land verstreuten kleinen Flugplätze das Land verlassen, leicht den nächsten Militärputsch finanzieren. Es gilt als offenes Geheimnis, daß selbst die nigerianischen Truppen der ECOMOG, die Liberia befrieden sollen, selbst parteilich in den Konflikt eingriffen (s. Liberia) und - vom einfachen Soldaten bis hin zum Kommandeur — in großem Ausmaß, z.B. mit illegalem Waffen-, Drogen- und Erdölhandel, private Geschäfte machten.
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© 1996 Leske + Budrich, Opladen
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Kohnert, D. (1996). Westafrika. In: Hofmeier, R. (eds) Afrika Jahrbuch 1995. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-91407-1_10
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