Zusammenfassung
Armin Pongs hat vor einiger Zeit fast allen bekannteren Sozialwissenschaftler(inne)n von der Pädagogik über die Politikwissenschaft bis hin zur Soziologie die Frage gestellt, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben (vgl. Pongs, 1999 und 2000). Es ging ihm darum zu klären, was eine Gesellschaft heute eigentlich ausmacht. Die Antworten sind irritierend und zum Teil sogar paradox. So einig man sich darin ist, dass es sich bei der Gesellschaft um ein zentrales Zurechnungsmuster für das handelt. was wir tagtäglich beobachten, so unterschiedlich und oft genug wenig überzeugend sind die inhaltlichen Auskünfte. Angesichts eines geradezu inflationären Gebrauchs des Begriffs Gesellschaft muss das irritieren. Ist das, was eine Gesellschaft ausmacht, heute einfach nur schwer — vielleicht schwerer als einst — zu beobachten und zu formulieren, was dann zur Folge hätte, dass jeder etwas anderes sieht sich kaum noch etwas zusammenfügt? Oder liegt es gar daran, dass die Zurechnungsform „Gesellschaft“ insgesamt hinter der Moderne zurückgeblieben ist, also schlicht nicht mehr geeignet ist, das zu erfassen, was uns heute wichtig ist und damit den Blick eher verstellt als eröffnet? Vieles spricht dafür, dass die Zurechnungsform „Gesellschaft“ mit der allgemeinen Entwicklung zumindest nicht mit den alltäglichen Erfordernissen Schritt gehalten hat — und zwar nicht nur, weil die Beobachtung und Beschreibung von dem was im Alltag relevant ist schwieriger geworden ist, sondern weil der Gesellschaftsbegriff, wie auch immer er variiert wird, grundsätzlich nicht mehr greift.1 Zwei exemplarische Überlegungen dazu:
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a)
Man hat die Gesellschaft lange Zeit auf eine Ebene mit dem Nationalstaat ausgelegt. Gesellschaft und Staat wurden wie selbstverständlich als die beiden Seiten einer Medaille betrachtet. Als Untergliederung hat man dann oft zusätzlich die Familie und andere Institutionen eingebaut und das ganze gegebenenfalls über eine entsprechende Sozialstruktur miteinander vernetzt. Heute sieht man, dass einem im Rahmen der fortschreitenden Industrialisierung und der Glokalisierung des Alltags so „natürliche“ Einheiten wie der Nationalstaat einerseits und Institutionen wie die Familie irgendwie abhanden kommen. Genauer besehen hat der Nationalstaat allerdings nur seine Orientierungs- und Limitierungsfunktionen an größere Einheiten wie die Europäische Union einerseits und an regionale Einheiten andererseits abgetreten. Die in den traditionellen Theorien als verbindendes Element so wichtige Sozialstruktur hat ihre zurechnende Kraft ebenfalls weitgehend abgetreten, schon weil sich die Menschen längst nicht mehr an klassen- und schichtenspezifische Zuordnungen halten, sondern sich vermehrt biographischen Mustern zuwenden, die sie dezu einsetzen, sich direkt im Alltag zu platzieren
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b)
Und man hat diese Auslegung von Gesellschaft kulturell gerahmt. Die parallel zum Nationalstaat konzipierte Gesellschaft wurde unter das Dach einer alles bestimmenden Basiskultur, Religiösität oder — moderner formuliert — „Ethnizität“ gerückt. Wie die interne Ausstattung von Gesellschaft hat sich auch diese externe Einbindung als problematisch und in diesem Fall als kulturalistische Überzeichnung erwiesen (vgl. Bukow 2000, S. 18–38). Man magdaran zweifeln, ob tatsächlich jemals eine Gesellschaft über eine mehr oder weniger homogene Kultur, Religion oder Ethnizität bzw.ein Wertedach zusammengehalten wurde, weil bereits in traditionalen Gesellschaften solche Dächer in der Regel im nachhinein gezimmert wurden, wie bereits die feinsinnige Unterscheidung von Ethnogenese und Ethnogonie deutlich machen könnten. Aber spätestens ein Blick auf den modernen Alltag lehrt, dass der Zusammenhalt einer Gesellschaft nicht durch eine religiöse oder nationale Glaubensgemeinschaft gesichert wird, sondern — trotz aller restaurativen Beschwörungs-versuche2 — durch die formale Mitgliedschaft in einem Staat und durch weitere rechtliche, soziale und wirtschaftliche Maßnahmen (vgl. Bauman 1995, S. 279ff.). Dementsprechend sorgen nicht religiöse oder säkulare Charismatiker(innen), Kirchen oder Gemeinschaften und die in ihrer Nachfolge etablierten Traditionsbestände und Verwandtschaftssysteme für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Selbst wenn es also einst entsprechende Gesellschaften gegeben haben mag, spätestens seit der Einführung der Bürgerlichen Gesellschaft mit ihrer Vorstellung vom Menschen als einem Citoyen, die auf die Gesellschaft einen geborenen Mitgliedschaftstitel besitzt, sieht alles anders aus.
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Literaturverzeichnis
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Bukow, WD. (2001). Die gesellschaftliche Konstruktion der Postmoderne als metropolitane Gesellschaft. In: Bukow, WD., Nikodem, C., Schulze, E., Yildiz, E. (eds) Auf dem Weg zur Stadtgesellschaft. Interkulturelle Studien, vol 9. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-91372-2_2
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