Zusammenfassung
Obwohl das Wort ”Risiko” seit mehreren Jahrhunderten bekannt und geläufig ist, ist der Begriff unklar geblieben. Man trifft auf sehr verschiedene, häufig unzureichende Bestimmungen wie etwa: Wahrscheinlichkeit von adverse effects, Maß für zufallsabhängige Ergebnisse, objektive Grundlage subjektiver Unsicherheit usw. 1) Aber warum hat man im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit ein neues Wort gesucht und in unbekannten, vermutlich arabischen Quellen gefunden? Worte für Gefahr standen selbstverständlich zur Verfügung. Neu — aber zumindest für Seefahrer und Pilzsammler nicht ganz neu! — war nur die Anforderung, Gefahr als Gegenstand und als Folge einer eigenen Entscheidung zu sehen.
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Anmerkungen und Literatur
Vgl. etwa James F. Short, Jr., The Social Fabric at Risk: Toward the Social Transformation of Risk Analysis, American Sociological Review 49 (1984), S. 711–725.
Ebenso üblich wie unzureichend Robert W. Kates/Jeanne X. Kasperson, Comparative Risk Analysis of Technological Hazards (a Review), Proceedings of the National Academy of Sciences 80 (1983), S. 7027–7038 (7029): “A Hazard… is a threat to people and to what they value… and a risk is a measure of hazard”.
Die alltägliche Wiederkehr des Einhorns in der “Unendlichen Geschichte”, in: Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses Göttingen 1985, Tübingen 1986, Bd. 10, S. 234–240. Hörisch zitiert aus den Aufzeichnungen Rilkes “Die Gefahr ist sicherer geworden als die Sicherheit” und unterscheidet ebenso wenig wie Rilke zwischen Gefahr und Risiko.
Üblicher ist eine andere Erklärung: Die Rationalitätskrisen dieses Jahrhunderts seien der Anlaß. Siehe zuletzt: Agnes Heller, Everyday Life, London 1984, und dies., The Power of Shame: A Rational Perspective, London 1985, S. 71 ff. Aber vielleicht ist die Ausbreitung von Riskanz ihrerseits der Grund dieser Rationalitätskrisen.
Dieses Beispiel entnehme ich einem Gespräch mit einem süditalienischen Weinbauern, der die Faktoren genau angeben konnte, die zum Mißlingen des Weins führen können, dem aber jede Vorstellung eines Risikos (oder auch die Vorstellung, daß Mißlingen häufig ist) fremd und unzugänglich war, da er ohnehin alle Zutaten bei der Weinzubereitung prinzipiell ablehnte. Dies Beispiel weckt auch Zweifel, ob man subsistenzwirtschaftliches Verhalten durch “risk aversion” oder “safety first” charakterisieren kann. (Vgl. James C. Scott, The Moral Economy of the Peasant: Rebellion and Subsistence in Southeast Asia, New Haven 1976; James A. Roumasset, Rice and Risk: Decision Making Among Low Income Farmers, Amsterdam 1976.) Es fehlt möglicherweise die ganze Erfahrungsdimension des Risikos, und nur ein Beobachter vermag hier Risiken zu sehen.
Vgl. hierzu Marschall W. Meyer/Kenneth A. Solomon, Risk Management in Local Communities, Policy Sciences 16 (1984), S. 245–265. Offensichtlich kollidiert hier im übrigen die Notwendigkeit, zu einer Entscheidung zu kommen und Motive für ihre Durchführung warm zu halten, mit dem Gebot eines umfassenden Vergleichs von Alternativen. Siehe hierzu Nils Brunsson, The Irrational Organization: Irrationality as a Basis for Organizational Action and Change, Chichester 1985. Bedrückend auch ein Bericht aus der Ukraine vor der Katastrophe von Tschernobyl (dt. Übersetzung in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Mai 1986, S. 10).
Siehe speziell hierzu Mary Douglas/Aaron Wildaysky, Risk and Culture: An Essay on the Selection of Technical and Environmental Dangers, Berkeley 1982..
Der Überblick von Kates und Kasperson, a.a.O. (Anm. 1), bringt dazu eindrucksvolle Zahlen.
Das zeigen nicht zuletzt die regional sehr unterschiedlichen Reaktionen auf den Harrisburg-Unfall. Für Tschernobyl liegen im Moment noch keine entsprechenden Untersuchungen vor (wenn man nicht die Berichte über sehr unterschiedliche Auffassungen bei der Festlegung von Vorsichtsmaßnahmen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft als Indikator nehmen will). Zum Problem allgemein: Ortwin Renn, Wahrnehmung und Akzeptanz technischer Risiken, 6 Bde., Jülich 1981.
Das sog. Prinzip der “availability”. Vgl. Daniel Kahneman/Amos Tversky, On the Psychology of Prediction, Psychological Review 80 (1973), S. 237–251;
Amos Tversky/Daniel Kahneman, Availability: A Heuristic for Judging Frequency and Probability, Cognitive Psychology 4 (1973), S. 207–232.
Vgl. auch Richard Nisbett/Lee Ross, Human Inference: Strategies and Shortcomings of Social Judgement, Englewood Cliffs, N.J. 1980, S. 18 ff., 122 ff., und passim.
Dazu allerdings noch keine Forschung. Vgl. den Überblick von Vincent T. Costello, The Perception of Technological Risk: A Literature Review, Technological Forecasting and Social Change 23 (1983), S. 285–297 (288).
Siehe Charles Perrow, Normal Accidents: Living with High-Risk Technologies, New York 1984.
Speziell hierzu: Richard G. Mitchell, Jr., Mountain Experience: The Psychology and Sociology of Adventure, Chicago 1983.
Vgl. Chauncey Starr, Social Benefit Versus Technological Risk: What is Our Society Willing to Pay for Safety? Science 165 (1969), S. 1232–1238;
William D. Rowe, An Anatomy of Risk, New York 1977, S. 119 ff., 300 ff.;
Paul Slovic et al., Facts and Fears: Understanding Perceived Risks, in: Richard C. Schwing/Walter J. Albers (Hrsg.), Societal Risk Assessment: How Safe is Safe Enough? New York 1980, S. 181–214.
Vgl. Marshall Shapo, A Nation of Guinea Pigs: The Unknown Risks of Chemical Technology, New York 1979.
Vgl. z.B. Dorothy Nelkin, Some Social and Political Dimensions of Nuclear Power: Examples from Three Miles Island, American Political Science Review 75 (1981), S. 132–142.
Vgl. Slovic et al. in Schwing/Albere a.a.O. (Anm. 13)
Vgl. zu diesem Begriff von Moral Niklas Luhmann, Soziologie der Moral, in: Niklas Luhmann/Stephan H. Pförtner (Hrsg.), Theorietechnik und Moral, Frankfurt 1978, S. 8–116;
I fondamenti sociali della morale, in: Niklas Luhmann et al., Etica e Politica: Reflessioni sulla crisi del rapporto fra società e morale, Milano 1984, S. 9–20.
Vgl. hierzu auch Niklas Luhmann, Ökologische Kommunikation: Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? Opladen 1986, S. 237 ff.
Vgl. etwa die für die geschichtlichen Bedingungen sensible Monographie von Stephen Holmes, Benjamin Constant and the Making of Modern Liberalism, New Haven 1984.
Zu dieser Attributionsdifferenz gibt es Forschung im Anschluß an Edward E. Jones/Richard E. Nisbett, The Actor and the Observer: Divergent Perceptions of the Causes of Behavior, in: Edward E. Jones et al., Attribution: Perceiving the Causes of Behavior Morristown, N.J. 1972, S. 79–94.
Vgl. auch Nisbett /Ross, a.a.O. (Anm. 13), S. 122 ff., 223 ff.
Im übrigen findet man in ganz anderen Abstraktionslagen auch Theorien über “Beobachtungen zweiter Ordnung”, die postulieren, daß eine Realitätskontrolle erst auf der Ebene des Beobachtens von Beobachtungen praktiziert werden kann. Siehe Heinz von Foerster, Observing Systems, Seaside, Cal. 1981, und, in Anwendung auf die Risikoprobleme des marktorientierten wirtschaftlichen Verhaltens
Dirk Baecker, Information und Risiko in der Marktwirtschaft, Diss. Bielefeld 1986.
Vgl. Niklas Luhmann, Trust and Power, Chichester 1979; Bernard Barber, The Logic and Limits of Trust, New Brunswick, N.J. 1983.
Vgl. etwa Helga Nowotny, Kernenergie: Gefahr oder Notwendigkeit: Anatomie eines Konflikts, Frankfurt 1979;
Dorothy Nelkin/Michael Pollack, Problems and Procedures in the Regulation of Technological Risk, in: Schwing/Albers, a.a.O. (Anm. 13), S. 233–248;
Peter Weingart, Verwissenschaftlichung der Gesellschaft - Politisierung der Wissenschaft, Zeitschrift für Soziologie 12 (1983), S. 225–241; und ob Wissenschaft nun eher Vertrauen gewinnt als Technik, wie man vor zehn Jahren in den USA feststellen konnte, wird man heute (jedenfalls für Deutschland) bezweifeln müssen.
Vgl. Todd R. LaPorte/Daniel Metlay, Technology Observed: Attitudes of a Wary Public, Science 188 (1975), S. 122–127.
Wir distanzieren uns hier bewußt von einer älteren Tradition, die unter Ethik die Lehre vom Ethos und unter Ethos die gute Verfaßtheit des Menschen verstand.
Auch ein Modebegriff! Siehe Hermann Lübbe, “Orientierung”: Zur Karriere eines Themas, in: Der Mensch als Orientierungswaise? Ein interdisziplinärer Erkundungsgang, Freiburg 1982, S. 7–29.
Michel de Certeau hat von “temps accidenté” gesprochen in: L’invention du quotidien, Paris 1980, Bd. 1, S. 337 f.
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Luhmann, N. (1993). Die Moral des Risikos und das Risiko der Moral. In: Bechmann, G. (eds) Risiko und Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90741-7_12
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-13029-3
Online ISBN: 978-3-322-90741-7
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