Zusammenfassung
‘Natürlich’ ist lange nicht mehr, was als ‘von Natur aus so’ galt. So galt als ausgemacht, dass ‘von Natur aus’ die Eltern ihre Kinder erziehen, die Mutter für die liebende Fürsorge ihrer Kinder zuständig ist, der Vater für die schützende Fürsorge und beide zusammen ganz selbstverständlich, eben ‘von Natur aus’, die ‘natürliche Pflicht’ haben, in einem umfassenden Sinne ihre Kinder zu erziehen. Die Fürsorge ist auf das Wohl des Kindes bezogen. Von Erziehung sprechen wir, wenn die Fürsorge auf eine bestimmte Persönlichkeitsvorstellung gerichtet ist, wenn nicht einfach nur das Wohl des Kindes besorgt wird, sondern eine bestimmte Konzeption, wie es sein soll, dabei angestrebt wird. Die Fürsorge ist also ein Moment von Erziehung. Ich werde mich im Folgenden vornehmlich mit diesem Moment befassen, da es einerseits eine basale Rolle zu spielen scheint, und andererseits eine umfassende Diskussion des Verhältnisses von Fürsorge und Erziehung den Rahmen dieses Vortrages sprengen würden.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
References
Zu dieser Konzeption einer differenzierten Achtungsmoral habe ich in meiner Antrittsvorlesung gesprochen. siehe G. Lohmann, Von Pflichten und von Rechten, Antrittsvorlesung an der Universität Magdeburg, 1998 (G. Lohmann 1998)
Eine erhellende Diskussion bei Axel Honneth, Zwischen Gerechtigkeit und affektiver Bindung. Die Familie im Brennpunkt moralischer Kontroversen, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophic, 43, 1995, Heft 6 (A. Honneth 1995)
I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, in: Kants Gesammelte Schriften, hrsg. von der PreuBischen Akademie der Wissenschaften, Walter de Gruyter Verlag, Berlin, ab 1902 (im folgenden: Akademie Ausgabe), Band VI, S. 280.
Zum Unterschied von Rechts- und von Tugendpflichten siehe Kant, a.a.O., S. 239
Siehe zu Nähe und Feme des Wohlwollens, a.a.O., S. 451. Eine ausführliche Überlegung stellt Kant in einer Nachschrift der Anthropologievorlesung vom Winter 1781/82 an, die freilich mehr oder weniger die hier vorgebrachten Uberlegungen stützt:“Eltern haben zu ihren Kindern unmittelbar eine Liebe, ohne zu wissen, ob etwas Liebenswürdiges an ihnen sey. Dieser Naturtrieb der Eltem zu ihren Kindern heilßt storyè (im Original griechisch, G.L.). Thiere haben schon diesen Naturtrieb, und wenn sie sonst feig sind, so werden sie herzhafl, und setzen sich, urn ihre Jungen zu vertheidigen, den größten Gefahren aus. Dies dauert aber nur so lange, als sie sie füttem miissen, und so möchte es wohl bei dem Menschen auch seyn, wenn die Eltem sich nicht noch gerade eine Ehre daraus machen, ihre Kinder zu versorgen; der Naturtrieb hört mit der Hülflosigkeit der Kinder auf. Es werden unbillige Ansprtiche an die Eltemliebe gemacht; aber sobald die Kinder der Eltern nicht mehr bediirfen, kann wohl Dankbarkeit ubrig bleiben, und die Eltern werden eine allgemeine Menschenliebe gegen die Kinder haben, fair sie zu sorgen, aber die Schuldigkeit dazu hOrt ganz auf. Dies liegt im Gesetze der Natur, daher sind sie zum Hinterlassen von Erbschaften gar nicht verpflichtet. Manche Eltern sind affenmäßig in ihre Kinder verliebt, und verziehen sie, gerade so wie die Thiere, ohne Grundbegriffe von Pflichten zu haben. Je roher die Menschen sind, desto mehr lieben sie die Kinder.” Akademie-Ausgabe Band XXV, S. 1113–1114.
Bernhard Williams, Persons, Character, and Morality, in: ders., Moral Luck, Cambridge: Cambridge University Press 1981 (B. Williams 1981), hat sich daraus die These der Unvereinbarkeit einer Kantianischen Moral der Unparteilichkeit mit einer Moral intimer Beziehungen entwickelt; siehe hierzu auch Scott Kim, Kantische Moral und das gute Leben, in: Was ist ein gutes Leben?, hg. v. H. Steinfath, Suhrkamp Frankfurt/M. 1998 (S. Kim 1998)
G.W. Hegel, Grundlinien der Philosophic des Rechts, G.W. Hegels Werke in 20 Bãnden, Suhrkamp Frankfurt/M. 1969–1971, Band 7, § 158
A.a.0., § 161, Zusatz
Hegel spricht von der Liebe der Eltern zu den Kindern als „nattirliches Band — natilrliche Einheit“, a.a.O, § 175, Zusatz
„Hier mull man nicht meinen, bloB mit Gtite auszukommen“, § 174
Ich mull an dieser Stelle die interessante Frage offen lassen, ob aus diesen Motiven auch eine „irgendwie“geartete „Verpflichtung“erwächst oder erwachsen kann. Auf diese MOglichkeit verweist Axel Honneth, „Philosophie. Eine Kolumne. Liebe und Moral“, in: Merkur Heft 12, 52. Jg., 1998, S. 1161 (A. Honneth 1998: 1161). Anregend in diesem Zusammenhang ist immer noch das Konzept „moralischer nichteinklagbarer und nichtsanktionierbarer Verpflichtungen“, das Andreas Wildt, Autonomie und Anerkennung, Klett Cotta Stuttgart 1982, S. 134 ff., entwickelt hat (A. Wildt 1982: 134). Siehe Lohmann 1998 und auch die Argumentation bei Scott Kim, op.cit., S. 262
So Axel Honneth, 1998, S. 1160f., mit Bezug auf Barbara Herman, The Practice of Moral Judgement, Cambridge: Harvard University Press 1993 (B. Herman 1993), die im Anschlulß an Kant eine ahnliche Position vertritt.
Zu diesen „Übergangen“ siehe auch Georg Lohmann, Menschenrechte zwischen Moral und Recht, in: St. Gosepath, G. Lohmann (Hrsg.), Philosophic der Menschenrechte, Frankfurt/M. 1998, S. 83 if (G. Lohmann 1998: 83)
So im § 6 und 7, a.a.O., 113. Siehe auch die Beiträge und die Diskussion im angegebenen Band von Onora O’Neill and William Ruddick, zu Caring for Children, S. 107 ff. und Growing up and Apart, S. 247 ff.
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 1999 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen/Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Lohmann, G. (1999). Wie begründen wir, was ‘natürlich’ ist: Fürsorge für Kinder?. In: Vetter, K. (eds) Kinder — zu welchem Preis?. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90320-4_15
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-90320-4_15
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-13343-0
Online ISBN: 978-3-322-90320-4
eBook Packages: Springer Book Archive