Zusammenfassung
Die folgenden Überlegungen widmen sich den vorherrschenden Topoi, mit denen in Großbritannien Exilierte sich in ein Verhältnis zu ihrem Asylland zu setzen versuchten. Gerade hier gilt es, zwischen Dokumenten aus der Zeit und der großen Anzahl retrospektiver Äußerungen zu unterscheiden: Während in aller Regel nachträgliche Kommentare zum Gastland — möglicherweise auch durch den Vergleich mit den Asylpraxen diverser anderer Staaten motiviert — dazu tendieren, das Exil in England nahezu durchweg positiv zu bewerten, sprechen die eigentlichen ‘Zeugnisse’, d.h. die zwischen 1933 und 1945 niedergeschriebenen Texte, eine durchaus (und zumindest gelegentlich deutlich) andere Sprache. Im Rahmen dieser — zugegebenermaßen nur äußerst knappen — Darstellung von Aussagen über England aus dem Exil werden nachträglich verfaßte Texte vollständig ausgeklammert, da diese nicht als Beiträge zum zeitgenössischen Dialog und zur zeitgenössischen Hervorbringung von England-Konstruktionen aufzufassen sind, sondern vielmehr in den Kontext der Nachkriegsdebatten fallen.
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Literatur
Vgl. Young: 1992, 58: “Die frühen Details — und oft sogar die Art und Weise, in der die Ereignisse darin dargestellt sind — gewinnen im nachhinein eine Signifikanz, die sie für die in die Ereignisse verstrickten Opfer gar nicht haben konnten. […] das ursprüngliche Verständnis der Ereignisse [geht] dadurch, daß sie post factum erzählt werden, verloren […].”
Vgl. Dove: 1996, 159: “In his book of memoirs, Ein leichtes Leben, written some twenty years after the event, Neumann portrays internment […] as an irksome but amusing episode, distancing the events through irony. The diary he kept at the time tells a very different story, revealing that he suffered greatly from the physical and mental pressures of confinement.” Wie sehr Doves Beobachtungen auch zutreffen, bleibt hier hinzuzufügen, daß auch diejenigen Texte, die Neumann während des Exils zur Publikation bestimmt, weitaus distanzierter und ironischer gestaltet sind als die erhaltenen Briefe und Tagebücher. Demnach ist nicht allein die zeitliche Distanz und Retrospektivität für die Differenz zwischen Tagebuch und Memoirentext ausschlaggebend, sondern gleichfalls der unterschiedliche Status der Texte.
Vgl. Brinson/Malet: 1995.
Köpke:1991, 38; vgl. auch Köpke:1985, 13–24; Köpke geht hierbei nur sehr flüchtig auf die England-Konstruktionen von Exilanten ein und konzentriert sich vor allem auf das Exil in Frankreich, Mexiko und den USA.
Priester in Zeitspiegel, 16.10.1943; 6.
“Franzosen sagen gern: ‘Der Engländer hat keine Nuancen’. Aber das ist ein Irrtum. Er hat viele Nuancen — nur sind sie so klein, dass etwas Verschillemdes, Unbestimmtes, Ungreifbares herauskommt. So entsteht mitunter eine lange Farblosigkeit”; (Kerr: 1979, 31).
Wauters in Die Zeitung, 25. 6.1943, 7.
Rau in Die Zeitung, 5. 4.1941, 3.
‘h.b.’ in Die Zeitung, 28.7.1944. 7.
Vgl. Kerr: 1979, 50ff.; Meisel in DieZeitung, 10.4.1941, 3.
Vgl. Busch in Die Zeitung, 9. 7.1941, 3: “Das smile ist nicht wie das sorry eine automatische Floskel, vielmehr mit der britischen Wesenart tief verwoben. […] Ich kenne keinen höflicheren, zwingenderen und dabei ritterlicheren Humor als den britischen. […] Der britische Humor symbolisiert die Freude des Inselvolks an Selbstkritik und Selbstverspottung und zeigt die unversiegbare Kraft einer seit Jahrhunderten in Freiheit gewachsenen Nation […].”
Vgl. Leppmann in Die Zeitung, 25.4.1941, 3: “Ohne Zweifel gelangt hier ein erheblicher Teil der Bevölkerung über die tägliche Zeitungslektüre hinaus noch zum Buch — kein schlechter Gradmesser für die Kultur eines Volkes.”
Vgl. ‘Florin’ in Die Zeitung, 17. 9.1943, 6: “Hier ist England, verkörpert durch eine Reihe wartender Frauen, die in Zeiten härtester Menschenpriifung um ihr Haustier besorgt bleiben.” 14 Lomnitz:1941, 25.
Lomnitz:1941, 26.
Viertel in Die Neue Weltbühne 8, 1938, 811.
Canetti: 1976, 51.
Canetti: 1976, 19.
Canetti: 1976, 23.
Canetti: 1976, 20.
Zur Mühlen: 1946, 216.
Czemin:1939, 101 ff.
Castonier in Die Zeitung, 14.3.1941, 3.
Orwell: 1975 [1938], 221.
Vgl. hierzu den instruktiven Aufsatz “The Nation as Pastoral”, in dem Simon Featherstone die spezifischen Ausprägungen pastoraler Nationskonstruktionen im Großbritannien des Zweiten Weltkriegs untersucht: “the distinguishing feature of the pastoral is not an established code of signifiers recalling and recreating ‘the English nation’ […] but a rhetoric of persuasion that the nation does exist as a whole” (Featherstone: 1986, 160).
Vgl. Anderson: 1969, 231: “The wave of emigrants who came to England in this century were by and large fleeing the permanent instability of their own societies — that is, their proneness to violent, fundamental change. England epitomized the opposite of all this: tradition, continuity and orderly empire. […] A process of natural selection occurred, in which those intellectuals with an elective affinity to English modes of thought and political outlook gravitated here. […] They were essentially a ‘White’, counter-revolutionary emigration.” — Diese auch im Hinblick auf den Beitrag der Emigranten zum britischen kulturellen Leben insgesamt überaus abwertende Einschätzung wird im Grunde von John Willett geteilt (vgl. Willen: 1984), findet bei J.M. Ritchie hingegen Widerspruch: Ritchie würdigt insbesondere die Impulse, die von diversen Exilan-ten auf solche kulturellen Felder wie Theater, Oper, Ballett, Museen und Architektur ausgeübt wurden, läßt hierbei allerdings auffälligerweise — und wohl nicht zufällig — die Literatur unerwähnt (Ritchie: 1996, 18f.).
Anderson: 1969, 229.
Castonier: 1941, 3.
Zweig: 1970 [1944], 274.
Zweig: 1970 [1944], 282.
Zweig: 1970 [1944], 300.
Herrmann-Neiße: 1987 [1935], 550.
Herrmann-Neiße: 1987 [1935], 550.
Neumann: 1987 [1939], 234.
Neumann: 1987 [1939], 234f.
Neumann: 1987 [1939], 236.
Brun [d.i. Hans Flesch-Brunningen]: 1940, 100.
Viertel: 1938, 813.
Anderson: 1969, 231; wie zutreffend Andersons Analyse in weiten Teilen auch sein mag, so bleibt sie doch zumindest in einer Hinsicht, nämlich in bezug auf die Einschätzung der Zusammensetzung der Emigranten-Gemeinschaft in Großbritannien, insofern fragwürdig, als die internationale (progressive) Exilprominenz, die sich in der Tat in den USA, Mexico oder der Sowjetunion niederließ, ihren Bewertungsmaßstab bildet.
Vgl. Jay: 1981, 57f.
Vgl. hierzu Adorno: 1970, 144; hier resümiert Adorno zwar in erster Linie seineErfahrungen im US-amerikanischen Exil, bezieht sich jedoch explizit positiv auch auf seinen dreijährigen Aufenthalt in Großbritannien: “daß ich drüben [in den USA], im Ansatz übrigens schon während meiner englischen Zeit, dazu veranlaßt wurde, nicht länger Verhältnisse, die geworden, historisch entstanden waren wie die in Europa, für natürliche zu halten […]”; im gleichen Essay unterstreicht Adorno die — wiederum positiv gewertete — besondere kulturelle Ähnlichkeit zwischen Großbritannien und den USA, insbesondere in bezug auf die konsistente Demokratisierung: “die Resistenzkraft gegen faschistische Strömungen [ist] in Amerika doch größer als in irgendeinem europäischen Land, mit Ausnahme vielleicht von England, das in mehr Hinsichten, als wir gewohnt sind anzunehmen, keineswegs nur durch die Sprache, Amerika und das kontinentale Europa verbindet” (145f.).
Willett:1983, 183. 44 Anderson: 1969, 229.
McClure:1994, 3.
Brun [d.i. Flesch-Brunningen]: 1940, 271.
Zweig:1976[1944], 282.
‘L.Z.’ in Die Zeitung, 26.5.1941, 3.
Vgl. hierzu Hewison: 1977, 141 ff.
Vgl. Naumburg in Die Zeitung, 17.3.1941, 3: “Wie ungemein englisch diese Ausstellung ist -[…] nicht ein einziger Ausbruch von Pathos. Keine dramatischen Angriffe, kein sich zur Schau stellender Heroismus […]; auch kein König oder Churchill im geeignetsten Point de Vue.”
Free Austria, August 1941, 13.
Editorial der ersten Ausgabe der Zeitung, 12.3. 1941, 1.
Sachs in Zeitspiegel, 1.8.1942; 2.
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Wiemann, D. (1998). Blicke auf England aus dem Exil. In: Exilliteratur in Großbritannien 1933 – 1945. Kulturwissenschaftliche Studien zur deutschen Literatur. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-89926-2_3
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