Zusammenfassung
Zu den zentralen Unterschieden zwischen geschriebener und gesprochener Sprache gehört es, daß geschriebene Sätze oder Texte als graphisch kodifiziertes, abgeschlossenes und monologisches Produkt rezipiert werden, während gesprochene Sprache phonisch vermittelt wird und sich in einem zumeist dialogischen Äußerungsprozeß1 in der Zeit entfaltet, wobei sie wesentlich von den formal-organisatorischen Mechanismen der Kommunikation mit einem oder mehreren Gesprächspartnern geprägt ist. Gesprochene Sprache entfaltet sich also in der Interaktion, und ohne Rekurs auf diese Tatsache kann sie nicht adäquat analysiert werden. Diese wichtigen Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache haben u. a. dazu geführt, daß für die Analyse der ersteren eigene Transkriptionssysteme entwickelt werden mußten. Nur, wenn die durch die Interaktion geprägten Entstehungsspuren nicht bei der für die Analyse notwendigen Verschriftlichung getilgt werden, bleiben ja die konstitutiven Eigenschaften der gesprochenen Sprache, ihr prozessualer Charakter und ihre Verankerung in der Interaktion sichtbar und zugänglich.2 Über die gegenstandsadäquate Verschriftlichung hinaus mußten für die gesprochene Sprache jedoch in großem Umfang eigene theoretische Beschreibungskategorien entwickelt werden, die ihrer interaktioneilen Natur Rechnung tragen. Hier hat sich die Konversationsanalyse3 als eigener Forschungsbereich etabliert und mit so zentralen Konzepten wie ‚Redezug‘, ‚Paarsequenz‘, ‚Rezipientenorientierung‘ oder ‚Reflexivität‘ die notwendigen theoretischen Grundlagen und methodischen Vorgehensweisen entwickelt. Aus den essentiellen Unterschieden zwischen gesprochener und geschriebener Sprache ergeben sich also zwangsläufig auch methodisch-theoretische Unterschiede zwischen Konversationsanalyse und Grammatikforschung.
Frühere Fassungen dieses Aufsatzes habe ich auf dem IDS-Kolloquium (‚Satz- und textgrammatische Kategorien und die Beschreibung mündlicher Kommunikation’ der Projektgruppe ‚Eigenschaften gesprochener Sprache’) in Mannheim und auf der 18. Jahrestagung der DGfS (AG‚ Grammatik und Interaktion’) in Freiburg vorgetragen. Ich danke Joachim Jacobs für wichtige Hinweise und allen Kolloquiums und AG-Teilnehmem für die Diskussionen, Einwände und Verbesserungsvorschläge und bitte urn Verständnis, wenn ich doch weitgehend auf meiner Ansicht beharrt habe.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Altmann, Hans (1981). Formen der ‚Herausste\\ung‘ im Deutschen. Tübingen.
Auer, Peter (1996). “On the prosody and syntax of turn-continuations.” In: Prosody in Conversation. Hrsg. von E. Couper-Kulen und M. Selting. Cambridge, S. 57–100.
Bergmann, Jörg (1981). „Ethnomethodologische Konversationsanalyse“. In: Dialogforschung: Jahrbuch 1980 des Instituts für deutsche Sprache. Hrsg. von P. Schröder und H. Steger. Düsseldorf, S. 9–51.
Bergmann, Jörg (1994). „Ethnomethodologische Konversationsanalyse“. In: Fritz, G. und Hundsnurscher, F. (Hgg.) 1994, S. 3–16.
Busler, Christine und Peter Schlobinski (1997). „‚Was er (schon) konstruieren kann — das sieht er (oft auch) als Ellipse an.‘ Über ‚Ellipsen‘, syntaktische Formate und Wissensstrukturen.“ In: Syntax des gesprochenen Deutsch. Empirische Studien. Hrsg. von Peter Schlobinski. Opladen. S. 93–115.
Button, Graham. und Lee, John R. E. (198, Hrsg)., Talk and Social Organization. Clevedon.
Cherchi, Lucien (1985). „On the role of ellipsis in discourse coherence.“ In: Ellipsen und fragmentarische Ausdrücke. Bd. 1. Hrsg. von H. Meyer-Hermann und H. Rieser. Tübingen, S. 224–249.
Davis, P. W. (ed.) (i. E.). Descriptive and Theoretical Modes in the Alternative Linguistics. Amsterdam.
Eikmeyer, Hans-Jürgen et al. (1995). “Coherence regained.” In: Focus and Coherence in Discourse Processing. Hrsg. von G. Rickheit und C. Habel. Berlin, S. 115–142.
Fiehler, Reinhard (1994). „Analyse- und Beschreibungskategorien für geschriebene und gesproche Sprache. Alles eins?“ In: Writing vs Speaking. Language Text, Discours, Communication. Hrsg. von S.Cmejrková et al. Tübingen, S. 175–180.
Fritz, Gerd und Hundsnurscher, Franz (1994, Hrsg.). Handbuch der Dialoganalyse. Tübingen.
Goodwin, Charles (1981), Conversational organization: Interaction between speakers and hearers. New York.
Grewendorf, Günther (1993). „Der Sprache auf der Spur: Anmerkungen zu einer Linguistik nach Jäger Art.“ In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 12, 113–132.
Haegeman, Liliane (1994). Introduction to Government & Binding Theory. Oxford: Blackwell.
Hawkins, John A. (1994). A Performance Theory of Order and Constituency. Cambridge.
Hoffmann, Ludger (1991). „Anakoluth und sprachliches Wissen.“ In: Deutsche Sprache 19: 97–119.
Jacobs, Joachim (1996). Wieviel Syntax braucht die Semantik? Möglichkeiten und Grenzen einer sparsamen Theorie der Bedeutungskomposition. Wuppertal. (Arbeiten des SFB 282 Nr. 73).
Kindt, Walther (1994). „Satzbegriff und gesprochene Sprache.“ In: Lingua 94: 25–48.
Kindt, Walther und Laubenstein, U. (1991). Reparaturen und Koordinationskonstruktionen. Ein Beitrag zur Strukturierung des gesprochenen Deutsch. KoLiBri -Arbeitsbericht Nr. 20. Universität Bielefeld.
Klein, Wolfgang (1993). „Ellipse.“ In: Syntax. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. Bd.1. Hrsg. von J. Jacobs et al. Berlin, S. 763–798.
Lerner, G. H. (1991). „On the syntax of sentences-in-progress.“ In: Language in Society 20: 441–458.
Levelt, Willem J. M. (1983). „Monitoring and self-repair in speech.“ In: Cognition 14: 41–104.
Levelt, Willem J. M. (1989). Speaking. From Intention to Articulation. Cambridge.
Nooteboom, S. (1980). “Speaking and unspeaking: detection and correction of phonological and lexical errors in spontanous speech.” In: Errors in Linguistic Performance. Hrsg. von V. A. Fromkin. New York, S. 87–95.
Ochs, Elenor, Schegloff, Emauel. und Thompson, Sandra (eds.) (i. E.). Grammar and Interaction. Cambridge.
Rath, Rainer (1985). „Geschriebene und gesprochene Form der heutigen Standardsprache.“ In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Bd. 2. Hrsg. von W. Besch; O. Reichmann und S. Sonderegger. Berlin, S. 1651–1663.
Rath, Rainer (1990). „‚Satz‘ und /Äußerungseinheit‘. Syntaktische und interaktive Struktur in der Sprache?.“ In: Interdisziplinäre Sprachforschung und Sprachlehre (Festschrift für A. Raasch zum 60. Geburtstag). Hrsg. von E. Leupold und Y. Petter. Tübingen, S. 197–216.
Rath, Rainer (1992). „Sprechen wir in Sätzen? Über Einheitenbildung im Alltagsdialog.” In: Biologische und soziale Grundlagen der Sprache. Hrsg. von P. Suchsland. Tübingen, S. 249–263.
Redder, Angelika und Konrad Ehlich (Hgg.) (1994). Gesprochene Sprache. Transkripte und Tondokumente. Tübingen.
Sacks, Harvey, Emanuel Schegloff und Jefferson, Gail (1974). “A simplest systematics for the organization of turn-taking for conversation.” In: Language 50: 696–735.
Schegloff, Emanuel (1979). “The relevance of repair to syntax-for-conversation.” In: Syntax and Semantics, (Vol. 12: discourse and syntax). Hrsg. von T. Givón. New York, S. 261–286.
Schegloff, Emanuel (1991). “Reflections on talk and social structure.” In: Talk and Social Structure. Studies in Ethnomethodology and Conversational Analysis. Hrsg. von D. Boden und H. D. Zimmerman. Cambridge, S. 44–70.
Schegloff, Emanuel (1992). “Repair after next turn: the last structurally provided defense of inter-subjectivity in conversation.” In: American Journal of Sociology 97-5:1295–1345.
Schegloff, Emanuel, Jefferson, G. und Sacks, H. (1977). “The preference for self-correction in the organization of repair in conversation.” In: Language 53: 361–382.
Schenkein, Jim (ed.) (1978. Studies in the Organization of Conversational Interaction. New York.
Scheutz, Hannes (1993). „Apokoinukonstruktionen. Gegenwartssprachliche Erscheinungsformen und Aspekte ihrer historischen Entwicklung.“ In: Dialekte im Wandel. Hrsg. von A. Weiss. Göppingen, S. 243–264.
Selting, Margret (1987). „Reparaturen und lokale Verstehensprobleme. Oder: Zur Binnenstruktur von Reparatursequenzen.“ In: Linguistische Berichte 108, 1987: 128–149.
Selting, Margret (1995) „Der ‚mögliche Satz‘ als interaktiv relevante syntaktische Kategorie.“ In: Linguistische Berichte 158: 298–325
Selting, Margret (1997). „Sogenannte Ellipsen‘ als interaktiv relevante Konstruktionen? Ein neuer Versuch über die Reichweite und Grenzen des Ellipsenbegriffs für die Analyse gesprochener Sprache in der konversationeilen Interaktion.“ In: Studien zur Syntax des gesprochenen Deutsch. Hrsg. von R Schlobinski. S. 117–155
Schwitalla, Johannes (1994). „Gesprochene Sprache — dialogisch gesehen.“ In: Fritz, G. und Hundsnurscher, F. (Hgg.) 1994, S. 17–36.
Strecker, Bruno (1994). „Dialoganalyse und Grammatik.“ In: Fritz, G. und Hundsnurscher, F. (Hrsg.) 1994. S. 281–298.
Uhmann, Susanne. (1993). „Das Mittelfeld im Gespräch.“ In: Wortstellung und Informationsstruktur. Hrsg. von M. Reis. Tübingen, S. 313–354.
Uhmann, Susanne (1994 MS). Integrative Konversationstheorie. Fallstudien aus Syntax und Phonologie. Habilitationsschrift: BUGH Wuppertal. (erscheint demnächst).
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 1997 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Uhmann, S. (1997). Selbstreparaturen in Alltagsdialogen: Ein Fall für eine integrative Konversationstheorie. In: Schlobinski, P. (eds) Syntax des gesprochenen Deutsch. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-88924-9_6
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-88924-9_6
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-13071-2
Online ISBN: 978-3-322-88924-9
eBook Packages: Springer Book Archive