Zusammenfassung
Im Rückblick auf die mit der Renaissance, der Reformation und der Kolonisation um 1500 beginnende „Neue Zeit“ schafft das 19. Jahrhundert den Begriff der Moderne, den es wenig später, prägnant in der Philosophie Nietzsches, bereits wieder der Kritik unterwirft.1 Moderne Zeiten unterscheiden sich vor allem ihrem Zeit-Gefühl nach von allen traditionellen Zeiten: Konnten diese sich die Zukunft stets nur als Wiederholung der Vergangenheit — als Abbild der in den Ahnen vergöttlichten Zeit, als Wiederkehr des Ewig-Gleichen, als Durchschreiten einer Kreisbewegung — vorstellen, wobei Jahreszeiten (Saat-, Ernte-, Jagd-Zeiten) den Rhythmus des Lebens bestimmten, so folgen die Modernen Zeiten dem Rhythmus der Maschinen. Moderne Zeiten bilden sich auf einer Geraden ab: Vergangenheit und Zukunft sind dichotomisiert; die Gegenwart ist rasch vergänglich. Die Vergangenheit ist eigentlich unwiederbringlich verloren; sie kehrt in der Zukunft nicht mehr zurück -es sei denn, eine komplizierte Denkbewegung, wie sie etwa von Freud entwickelt wurde, zeigte die verdeckte Wiederkehr des Verdrängten in der Zukunft doch noch auf. Die Zukunft ist immer das „Neue“; und die Gegenwart wiederholt — wenigstens auf der bewußten Ebene — nicht mehr das Erbe der Ahnen. Die Traditionen verlieren ihren Sinn, ja sie werden als Hindernisse für den Fort-Schritt erkannt. Allenfalls kann der Sinn der Vergangenheit noch rekonstruiert und konserviert werden: Das Museum wird zu einem Ort für das ansonsten verlorene Gedächtnis.2
Frankreich, welches immer das meisterhafte Geschick gehabt hat, auch die unangenehmen Tatsachen des Geistes ins Reizende und Verführerische zu wenden, zeigt auch heute, als Schule und Schaustellung aller Zauber der Skepsis, seinen Kulturvorrang über Europa. Es fehlt da freilich für Verwegenere nicht an Gründen zum Lachen und Lächeln; nicht jeder dieser „Zauberhaften“ riecht unsereinem so gut, als ein Pariser es wünschen möchte.
Friedrich Nietzsche
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Literatur
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Helm, Eilke Brigitte / Stille, Wolfgang, 1987: Wir müssen mit dem Aids-Problem leben. Aktuelle Konsequenzen der Aids-Epidemie, Der Spiegel 18, S. 249–254.
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Nietzsche, Friedrich, 1980: Sämtliche Werke, Bd. 1 (darin enthalten: Unzeitgemäße Betrachtungen, 1873–1876; Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, 1874), München.
Nitzschke, Bernd, 1974: Die Zerstörung der Sinnlichkeit, München.
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Nitzschke, B. (1988). Vom Nutzen und Nachteil der Sexualität für das (postmoderne) Leben. In: König, H. (eds) Politische Psychologie heute. Leviathan, vol 9. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-88765-8_20
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