Zusammenfassung
„Eine ‚Nation‘, was ist das?“ Diese Frage beantwortet Golo Mann so: „Eine Masse von Menschen, die, bei allem, was sie unterscheidet, wenigstens eines gemeinsam haben: sie, zusamt ihren Vorfahren, zusamt ihren Nachkommen, fühlen sich einer Sache zugehörig, die ‚Nation‘ genannt wird, sie haben ‚Nationalgefühl‘. Andere Bestimmungen führen in die Irre.“ (Mann 1983: 11). So bestechend einfach dies auch klingen mag, natürlich genügt eine solche Elementar- oder Minimaldefinition von Nation nicht, wenn man sich differenzierter, nicht nur in definitorischer Absicht mit „Nation“ auseinandersetzen will. Nation als „Masse von Menschen“, die sich einer Sache, nämlich einer Nation zugehörig fühlen, diese beinahe tautologische Definition stößt schon an ihre Grenzen, wenn man sie mit einer für die deutsche Geschichte gleichermaßen prägenden wie verhängnisvollen Differenzierung konfrontiert, der Differenzierung Friedrich Meineckes in die Begriffe „Staatsnation“ und „Kulturnation“. Welche Zugehörigkeit im Sinne der Definition Manns ist die entscheidende? Ist es die zur Staatsnation als der realpolitisch möglichen Form der Nation, wie man es interpretiert hat, während die Kulturnation als das „objektiv“ eigentlich Gegebene empfunden wurde? Der Versuch, mit dieser theoretischen Unterscheidung Wirklichkeit und Anspruch der Nationbildung miteinander zu versöhnen, lud später deutsche Nationalisten förmlich dazu ein, die Deckungsgleichheit der beiden Begriffe anzustreben, also nationalstaatlich zu expandieren und verhalf so nationalistischen Ansprüchen zu einer inneren Legitimation.
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Anmerkungen
Zu weiteren Definitionen vgl. Weidenfeld, 1981: 35 ff.
Dort (S. 26) findet sich auch eine Auseinandersetzung über die Bedeutung der beiden Kategorien „sehr stolz“ beziehungsweise „ziemlich stolz“ mit dem Resümée, es sei sachlich nicht zu vertreten, diese beiden Kategorien in Analysen zusammenzufassen, weil sich hier Nationalbewußtsein in wesentlich verschiedenen Dimensionen artikuliere.
In einem Begriffetest, bei dem verschiedene Begriffe mit dem Hinweis „Bei diesen Wörtern kann man ja verschieden fühlen, ob sie einem sympathisch sind oder nicht sympathisch“, diesen beiden Kategorien zugeteilt werden konnten, bezeichneten (im Dezember 1986) 33 Prozent eines repräsentativen Bevölkerungsquerschnitts „Patriotismus“ als sympathisch, 43 Prozent dagegen als unsympathisch. Die restlichen 24 Prozent reagierten indifferent oder unentschieden. Die Begriffe „Nation“ und „Nationalismus“ wurden in derselben Umfrage getestet. Für den ersten ergaben sich analoge Bewertungen von 60 zu 17 Prozent, für den zweiten von 16 zu 62 Prozent. Das Begriffsinstrumenatrium der Bevölkerung reicht also aus, um auf diesen Begriffsfeldern deutlich zu differenzieren. — Vgl. auch Tabelle 9 dieses Beitrags.
E. Noelle-Neumann (1987: 28 ff.) zitiert in diesem Zusammenhang den englischen Politikwissenschaftler Richard Rose. Zurückgehend auf Adorno habe man vermutet, Nationalstolz zeige ein gestörtes Verhältnis zur Gesellschaft, Entfremdung und sozial-feindliche Verhaltensweisen an. Die Ergebnisse der internationalen Wertestudie deuteten aber in die entgegengesetzte Richtung. — Vgl. hierzu auch den bei Noelle-Neumann dokumentierten Zusammenhang von Nationalstolz mit Vertrauen in staatliche und gesellschaftliche Institutionen, mit Verteidigungsbereitschaft, mit der Bereitschaft zur individuellen Einordnung in übergreifende Belange und mit dem individuellen Lebensgefühl schlechthin.
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Herdegen, G. (1987). Einstellungen der Deutschen (West) zur nationalen Identität. In: Berg-Schlosser, D., Schissler, J. (eds) Politische Kultur in Deutschland. Politische Vierteljahresschrift Sonderheft, vol 18/1987. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-88718-4_17
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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