Zusammenfassung
Bevor die verbraucherpolitische Thematik durch andere — offensichtlich als wichtiger und drängender empfundene — Probleme aus der aktuellen wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion wieder in ihr ursprüngliches Schattendasein zurückgedrängt wurde, hatte es einen bis daher nicht erlebten Boom an z.T. kontroversen verbraucherpolitischen Diskussionsbeiträgen gegeben. Anfang der siebziger Jahre kam es nach jahrzehntelanger Abstinenz zu einem regelrechten politischen Wettbewerb um die Gunst des Verbrauchers: Regierungen, Behörden, Parteien,Industrieverbände und Gewerkschaften entwarfen Programme und Konzeptionen und publizierten Tätigkeitsberichte. Auslöser dieser Aktivitäten war nicht nur ein aus den USA importierter Consumerismus-Gedanke, der in Verbindung mit der provozierenden These vom „Konsumterror“ eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konsum auf breiter Ebene popularisierte; vielmehr hatten auch einige konkrete Ereignisse (wie z.B. die Contergan-Katastrophe) zu einem relativ weitge-henden Konsens darüber geführt, daß ein blindes Vertrauen allein auf die Selbstheilungskräfte des Marktes nicht gerechtfertigt war. Die in rascher Folge artikulierten verbraucherpolitischen Vorstellungen ähnelten einander stark und unterschieden sich oft nur in Nuancen: Wenn in dem einen Programm das Schwergewicht auf Vorschlägen zur Verbesserung der Verbraucherschutzgesetzgebung lag und sich hierin das Verbraucherbild vom Marktsouverän der frühen Jahre marktwirtschaftlicher Euphorie zum Schutzobjekt verwandelte, so wurde in anderen Programmen ein Wandel des Verbraucherbildes gefordert, das nicht mehr dem Markt „partner“ entsprach, sondern dem aktiven Marktteilnehmer, der auch in der Lage sein sollte, erforderlichenfalls Marktmißstände durch Gegen- (z.B. Boykott-) Aktionen zu begegnen. Ein verbindendes Element aller Programme stellt die Forderung nach verbesserter und breiter gestreuter Verbraucherinformation dar1).
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Anmerkungen
Vgl. Czerwonka, Ch. und Schöppe, G., Verbraucherpolitische Konzeptionen und Programme in der Bundesrepublik Deutschland, in: Zeitschrift für Verbraucherpolitik, 1. Jg. (1977), S. 277–288.
S. etwa Erhard, L., Wohlstand für alle, Düsseldorf 1957, S. 177.
Vgl. Maynes, E.S., The Power of the Consumer, in: Strümpel, B. et. al. (Eds.) Human Behavior in Economic Affairs, Essays in Honor of George Katona, Amsterdam-London- New York 1972, S. 399–419.
So der damalige Bundeswirtschaftsminister Friderichs in einer Rede zur Eröffnung der Frankfurter Frühjahrsmesse am 23.2.1975, abgedruckt in: BMWi (Hrsg.), Reden zur Wirtschaftspolitik, Texte 4, Bonn 1975, S. 143–151.
Vgl. dazu Peters, H.-R., Konzeption und Wirklichkeit der sektoralen Strukturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in Bombach, C. Gahlen, B. und Ott, A.E., Probleme des Strukturwandels und der Strukturpolitik, Bd. 6 der Schriftenreihe des wirtschaftwissenschaftlichen Seminars Ottobeuren, Tübingen 1977, S. 119–162, hier insbes. S. 139–151.
So kann z.B. durch die Vernachlässigung von Investitinnen in öffentliche Verkehrsmittel ein “Zwangskonsum” an Automobilen und damit eine indirekte Förderung der Automobilindustrie erreicht werden.
Die Schwierigkeiten potenzieren sich, wenn - wie in den beiden ersten Beispielen - nicht nur sektorale Probleme zu lösen sind, sondern diese darüberhinaus von Fragen regionaler Strukturpolitik überlagert werden.
Selbst Branchen,die Nutznießer dieses Wandels sind, können angesichts ihres Nachfragebooms nicht recht froh werden: Soll die Automobilindustrie Kapazitäten erweitern und einen unvermeidlichen Kapazitätsabbau in den Folgejahren in Kauf nehmen, oder soll sie lange Lieferfristen einkalkulieren und möglicherweise Abwanderung breiter Käuferschichten zur (ausländischen) Konkurrenz riskieren?
DGB (Hrsg.), Wirtschaftspolitische Informationen, Nr. 4, 1976, S. 2.
DGB (Hrsg.), Wirtschaftspolitische Informationen, Nr. 11, 1975, S.12–14
DGB (Hrsg.) a.a.0., 1975, S. 7–11.
DGB (Hrsg.), a.a.0., 1976, S. 1–2.
Ebenda, insbes. S. 1–10.
Z.B. durch Meinungsumfragen oder die Entwicklung soziale Indikatoren, etwa über Konsumentenzufriedenheit.
Zum Verhältnis von Einkommen und Arbeitszufriedenheit vgl. Scitovsky, T., Psychologie des Wohlstands. Die Bedürfnisse des Menschen und der Bedarf der Verbraucher, Frankfurt/M./New York 1977, S. 81–93.
Für den Bereich der Bürgerinitiativen vgl. etwa Borsdorf-Ruhl, B., Bürgerinitiativen im Ruhrgebiet, Essen 1973, S. 81.
Dies insbes. deshalb, weil sie durch ihre “bürokratische Sozialisation” innerorganisatorisch sowie im Kontakt mit der Außenwelt privilegiert sind; vgl. dazu Grossmann, H., Bürgerinitiativen. Schritte zur Veränderung, Frankfurt/M. 1973.
Vgl. dazu Mergner, U., Osterland, M., Pelte, K., Arbeitsbedingungen im Wandel, Bd. 70 der Schriftenreihe der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel, Göttingen, 1975.
Dies weisen bereits Goldthorpe et. al. nach; vgl. Goldthorpe J. H.. Lockwood, D., Bechhofer, F., Platt, J., Der “wohlhabende”. Arbeiter in England, Bd. III, Der “wohlhabende” Arbeiter in der Klassenstruktur, München 1971, hier insbes. S. 94–125.
Vgl. die Kritik Offes an einigen “Bürgerinitiativen”, in denen die… “besondere Bedürfniskonstellation mittelständischer, freiberuflicher und intellektueller Schichten”… durchscheint, Offe, C., Bürgerinitiativen und Reproduktion der Arbeitskraft im Spätkapitplismus, in: ders., Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, Frankfurt/M. 1972, S. 153–168.
Höbermann, F., Zur Polarisierung von Arbeit und Freizeit, Bd. 56 der Schriftenreihe der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel, Göttingen 1975; Kramer, D., Freizeit und Reproduktion der Arbeitskraft, Köln 1975.
Im Sinne Scitovsky’s, a.a.0.
S. z.B. Hörning, K.-H., Ansätze zu einer Konsumsoziologie, Freiburg 1970, S. 102–126; Dern, J., Die Ausgaben für Freizeitgüter von Selbständigen-und Arbeitnehmerhaushalten in der BRD, in: v. Schweitzer, R., Pross, H., Die Familienhaushalte im wirtschaftlichen und sozialen Wandel, Bd. 98 der Schriftenreihe der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel, Göttingen 1976, S. 291–318.
Vgl. Gottschalch, W., Bedingungen und Chancen politischer Sozialisation, Frankfurt/M. 1972, S. 37–65.
Habermas, J., Die Dialektik der Rationalisierung. Vom Pauperismus in Produktion und Konsum, in: Merkur, VIII. Jg. (1954), S. 701–724.
Vgl. z.B. Gorz, A., Zur Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapitalismus, Frankfurt/M. 1967; Bahr, H.-G. (Hrsg.), Politisierung des Alltags. Gesellschaftliche Bedingungen des Friedens, Darmstadt und Neuwied 1972; Vilmar, F., Strategien der Demokratisierung, Darmstadt und Neuwied 1973.
Offe, C., a.a.0.
Ebenda, S. 156–159.
Die strategischen Forderungen, die Offe selbst an das Vorgehen von Bürgerinitiativen stellt, halte ich (C.C.) nicht für adäquat, da sie Partizipationsbarrieren eher auf-als abbauen.
Gronemeyer, R., Bürgerinitiativen und Produktionsbereich, in: Liberal, 16. Jg. (1974), Heft 11, S. 842–852.
Vgl. dazu Scherhorn, G., Strukturwandel, Beschäftigung und qualitatives Wachstum, in: Mitteilungen der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg, 25. Jg. (1976), Heft 4, S. II - XII.
So die Präambel des Aktionsprogramms der AGV.
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© 1978 Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler KG, Wiesbaden
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Czerwonka, C. (1978). Die Verbraucherpolitische Relevanz von Rolleninterdependenzen in Produktion und Konsum. In: Biervert, B., Fischer-Winkelmann, W.F., Haarland, HP., Köhler, G., Rock, R. (eds) Plädoyer für eine neue Verbraucherpolitik. Wirtschaftswissenschaft als Sozialwissenschaft, vol 3. Gabler Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-88056-7_11
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