Zusammenfassung
Es ist überflüssig zu sagen, daß das Gerichtsverfahren ein sprachlicher Kommunikationsprozeß ist. Der Rechtsfall, über den das Gericht zu entscheiden hat, wird durch den Vortrag und die Anträge der Parteien konstituiert. Selbst der erstinstanzliche Richter hat nur selten eine eigene Anschauung der Situation und ist daher auf die sprachlich vermittelten und gefilterten Eindrücke der Parteien und Zeugen angewiesen. Wenn man von den (seltenen) Ortsbesichtigungen und den nur informationsergänzenden Fotografien und Skizzen absieht, die die Parteien in den Prozeß einbringen, besteht der “Stoff” eines Rechtsfalls aus (unterschiedlichen) sprachlichen Darstellungen sprachlicher und nicht-sprachlicher Ereignisse. Von diesem genannten sprachlichen Material wiederum ist nur dasjenige rechtlich verwertbar, das in Schriftform kondensiert in die Prozeßakte Eingang gefunden hat, sei es als Schriftsatz oder als Terminsprotokoll. Angesichts der Bedeutung, der der Schriftlichkeit schon von Gesetzes wegen (vgl. z.B. §§ 253, 275, 276, 159 ff. ZPO), aber auch der Praxis nach zukommt, fragt sich, warum § 128 Abs.1 ZPO für den Regelfall eine mündliche Verhandlung vorschreibt. Das Gesetz gibt auf diese Frage keine Antwort.
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Anmerkungen
Vgl. Peter Arens, Mündlichkeitsprinzip und Prozeßbeschleunigung im Zivilprozeß, Berlin 1971, S. 47.
So vor allem Rudolf Wassermann, Gericht und Bürger — Was heißt bürgerfreundliche Rechtspflege und wie läßt sie sich verwirklichen?, in: ders., Justiz für den Bürger, Neuwied 1981, S. 27-94.
Baumbach/Lauterbach, ZPO, 40. Aufl. 1982, übers § 128 Anm. 1 B.
Wassermann (Fn. 2) S. 57 f.
Vgl. Werner Kallmeyer/Fritz Schütze, Konversationsanalyse, Studium Linguistik 1976, S. 1-28 (14 f.).
Siehe dazu Harvey Sacks, Das Erzählen von Geschichten in Unterhaltungen, in: Rolf Kjolseth/Fritz Sack (Hrsg.), Zur Soziologie der Sprache (Sonderheft 15 der KZfSS), Opladen 1971, S. 307-314.
Rainer Hegenbarth/ Regine Scholz, Konfliktlösung ohne Kommunikation: Die Organisation der Sprachlosigkeit in Zivilprozessen, in: Informationsbrief für Rechtssoziologie, Heft 15 (1979), S. 88–118.
Dazu Heinz Menne, Sprachbarrieren und Rationalisierung im Zivilprozeß, Zeitschrift für Zivilprozeß 1975, S. 263-285 (271).
Vgl. Rainer Hegenbarth/Wolfgang Hutmacher, Methodische Probleme der Beobachtung verbaler Interaktion im Zivilprozeß, Ms., Bochum/Schönwald 1980.
Vg 1. Erhard Blankenburg, Viola Blankenburg, Hellmut Morasch, Der lange Weg in die Berufung, in: Rolf Bender(Hrsg.), Tatsachenforschung in der Justiz, Tübingen 1972, S. 81-104.
Marc Galanter, Why the ‘Haves’ Come Out Ahead: Speculations on the Limits of Legal Change, Law and Society Review 9 (1974).S. 95–155 (97 ff.).
Dazu näher Klaus F. Röhl, Der Gebrauch von REcht zur Änderung des status quo, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1981, S. 7-17 (14 f.); Rainer Hegenbarth, Illusions perdues. Verbrauchererwartungen und Gerichtsentscheid, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1981, S. 34-52 (38 ff.).
Rainer Hegenbarth (Fn. 11) S. 41 ff.
Dieses Phänomen ist empirisch gut untersucht. Vgl. den Literaturüberblick bei Rainer Hegenbarth, Von der legislatorischen Programmierung zur Selbststeuerung der Verwaltung, in: Erhard Blankenburg/Klaus Lenk (Hrsg.), Organisation und Recht (Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 7), Opladen 1980, S. 130-152 (136 f.).
Rolf Bender/August Belz/Peter Wax, Das Verfahren nach der Vereinfachungsnovelle und vor dem Familiengericht, München 1977; Rudolf Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, Neuwied/ Darmstadt 1978, S. 89 ff.
W. Kisch, zitiert nach Wassermann (Fn. 14) S. 155.
Vgl. etwa Thomas/Putzo, ZPO, 11. Aufl. 1981, § 139 — Rdnr. 3.
Thomas/Putzo (Fn. 16), § 139 Rdnr. 2b.
Vgl. Wassermann (Fn. 2).
Rudolf Wassermann, Sprachliche Probleme in der Praxis von Rechtspolitik und Rechtsverwirklichung, Zeitschrift für Rechtspolitik 14 (1981), S. 257–262 (259).
Thomas/Putzo (Fn. 16) § 137 Rdnr.2.
Dazu näher Hans Erich Troje, Mißstände im Rechtswesen. Unveröffentlichtes Rundfunkmanuskript, o.J.
Vgl. etwa Rüdiger Lautmann, Justiz — die stille Gewalt, Frankfurt 1972, S. 103.
Dazu Rainer Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, Königstein/Ts. 1982, S. 192 f.
So das Tagungsmotto des I. Internationalen Kongresses für Zivilprozeßrecht in Gent 1977.
Vgl. etwa die zahlreichen sinnvollen Anregungen von Wassermann (Fn.2).
Wassermann (Fn. 2) S. 63.
Zur Funktion von Begrüßungen siehe A. Grimshaw, Regeln der sozialen Interaktion und soziolinguistische Regeln, in: Uta Quasthoff (Hrsg.), Sprachstruktur-Sozialstruktur, Königstein/Ts. 1978, S. 57-84 (64 ff.).
Erving Goffman, Das Individuum im öffentlichen Austausch, Frankfurt 1974, S. 111 ff.
Sattelmacher/Sirp,_Bericht, Gutachten und Urteil. Eine Einführung in die Rechtspraxis, 28. Aufl. München 1980, S. VI.
Es ist nirgendwo vorgeschrieben, an welcher Stelle des Tatbestandes die Anträge stehen sollen, ob Rechtsausführungen der Parteien in den Tatbestand gehören, wie ein Rubrum auszusehen hat (usw.). Tatsächlich nehmen diese Fragen jedoch in Literatur und Ausbildung breiten Raum ein. Vgl. etwa Sattelmacher/Sirp (Fn. 28) S. 198 ff.
Siehe dazu Theodor Weber, Gütliche Beilegung und Verhandlungsstil im Zivilprozeß, Deutsche Richterzeitung 1978, S. 166-169.
Manfred Wolf, Gerichtliches Verfahrensrecht, Reinbek 197Ö, S. 16.
Goffman (Fn.27) S. 140.
Zu den Folgen dieser Entwicklung, die das Individuum dazu nötigt, sein emotionelles Leben zu ‘managen’, vgl. Peter L. Berger u.a., Das Unbehagen in der Modernität, Frankfurt/New York 1975, bes. S. 157 ff.
Vgl. Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 2. Aufl. Darmstadt/Neuwied 1975, S. 100 ff.
Wolf (Fn. 31) S. 35.
Siehe dazu die Darstellung psychologischer Konfliktlösungsmethoden bei Hegenbarth/Scholz (Fn. 7).
Wassermann (Fn. 19) S. 259.
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Hegenbarth, R. (1983). Die Kommunikation vor Gericht. In: Der Vergleich im Zivilprozeß. Forschungsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen, vol 3163. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-87553-2_7
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