Zusammenfassung
Die Analyse von Gerichtsakten ist klassischer Fall einer Analyse prozeß-produzierter Daten1). Darunter versteht man Daten, die zu anderen als Forschungszwecken erstellt und ex post für Forschungszwecke aufbereitet und ausgewertet werden. Als Erhebungsverfahren der empirischen Sozialforschung ist die Analyse von Gerichtsakten und -dokumenten ein Spezialfall der Inhaltsanalyse2). Die methodologischen Probleme, die mit diesem Erhebungsverfahren verbunden sind3), stellen sich bei der Analyse von Gerichtsakten in modifizierter Form: Das Material ist bereits nach bestimmten, angebbaren, wenn auch forschungsexternen Kriterien strukturiert. Die Zivilprozeßordnung determiniert weitgehend die Form der in Gerichtsakten vorfindlichen Schriftstücke, seien es Verhandlungsprotokolle, Prozeßformulare (Mahnbescheide, Kostenfestsetzungsbeschlüsse etc.) richterliche Verfügungen oder Schriftsätze der Parteien. Sie markieren Selektionsleistungen, bezogen auf das entschei-dungsorientierte Handlungssystem des Gerichtsverfahrens4). Dennoch ist man bei der Analyse von Gerichtsakten der Bestimmung von recording units nicht gänzlich enthoben, will man Variablen, die sich der juristischen Konzeptualisierung des Verfahrens nicht fügen, adäquat über Aktenmerkmale erheben. Daneben bereitet schon die korrekte Messung von Variablen, die auch in der Zählkartenstatistik erscheinen, gelegentlich Schwierigkeiten5).
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Anmerkungen
Siehe hierzu: Volkmar Gessner/Barbara Rhode/Gerhard Strate/Klaus A. Ziegert, Prozeßproduzierte Daten in der Rechtssoziologie, in: Paul J. Müller (Hrsg.), Die Analyse prozeßproduzierter Daten, Stuttgart 1977, S. 179-197.
Zur Methode der Inhaltsanalyse siehe für ein frühes Dokument: Bernard R. Berelson, Content Analysis in Communication Research, Glencoe, III., 1952.
umfassend informiert Ole R. Holsti, Content Analysis for the Social Sciences and Humanities, Reading, Mass., 1969; einen Überblick vermittelt Alphons Silbermann, Systematische Inhaltsanalyse, in: Rene König (Hrsg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung, Band 4: Komplexe Forschungsansätze, Stuttgart 1974, S. 253-339.
Dazu knapp, aber instruktiv: Jürgen Ritsert, Inhaltsanalyse und Ideologiekritik. Ein Versuch über kritische Sozialforschung, Frankfurt a.M. 1972.
Dies gilt uneingeschränkt für anwaltliche Schriftsätze. Da in Zivilverfahren am Amtsgericht jedoch kein Anwaltszwang besteht, können durch systemfremde, etwa emotional generalisierende Vorträge der nicht-professionellen Verfahrensbeteiligten erhebliche Interferenzen ins System Eingang finden. Siehe dazu Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Darmstadt/Neuwied, 1975, S. 103 und passim.
Siehe dazu auch: Jan Schulz, Justizgeschäftsstatistiken auf Zählkartenbasis. Fundus der Rechtstatsachenforschung oder Quelle der Fehlinformation?, in: Deutsche Richterzeitung, 58, 1980, S.107–177.
Dabei fiel auf, daß das persönliche Erscheinen der Parteien stets nach § 141 ZPO (= zur Aufklärung des Sachverhalts) und in keinem beobachteten Fall nach § 279 Abs. 2 ZPO (= zur Herbeiführung einer gütlichen Einigung) angeordnet wurde. Erschien eine Partei trotz Anordnung nicht zum Termin, wurde jedoch in keinem Fall ein Ordnungsgeld gegen sie verhängt, wie es nach § 141 ZPO möglich wäre; regelmäßig hat die Partei “allein” die Säumnisfolgen zu tragen, was freilich zumeist bedeutet, daß sie den Prozeß verliert.
Die Intention der ursprünglichen Kategorisierung ist verbunden mit der Vorstellung geschlechtsspezifisch differentieller Zugangs-und Erfolgsbarrieren im Zivilprozeß. Vgl. dazu Rüdiger Lautmann, Negatives Rechtsbewußtsein. Über Geschlechtsdifferenzierung in der juristischen Handlungsfähigkeit, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 1, 1980, S. 165.-208. Die Annahme, geschlechtsspezifische Defizite würden sich bruchlos auf eine nicht-differenzierte Erfolgsstatistik abbilden lassen, ist theoretisch so unhaltbar, daß man auf ihre Überprüfung getrost verzichten kann. Lautmanns Intentionen würde man mit einer solch platten Operationalisierung gewiß nicht gerecht.
Vgl. dazu Wolfgang Hutmacher, The Shelter of the Law: Das Amtsgericht als Katalysator außergerichtlicher Verhandlungen, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 1983 (im Erscheinen).
Lawrence S. Friedman, Trial Courts and their Work in the Modern World, in: Zur Soziologie des Gerichtsverfahrens. Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Band IV, Opladen 1976, S. 25-38 (hier: S. 36).
Vgl. hierzu u.a. Craig R. Wanner, The Public Ordering of Private Relations, Part Two: Winning Civil Cases, in: Law and Society Review, 9, 1975, S. 293–306.
Marc Galanter, Why the “Haves” Come out Ahead: Speculations on the Limits of Social Change, in: Law and Society Review, 9, 1974, S. 95–160.
Rolf Bender/Rolf Schumacher, Erfolgsbarrieren vor Gericht. Eine empirische Untersuchung zur Chancengleichheit im Zivilprozeß. Tübingen 1980.
Erhard Blankenburg/Viola Blankenburg/Hellmut Morasch, Der lange Weg in die Berufung. Aktenanalysen und Interviews aus der Sicht der Rechtsuchenden in Zivilprozessen am Amtsgericht, in: Rolf Bender (Hrsg.), Tatsachenforschung in der Justiz, Tübingen 1972, S. 81-104.
Siehe dazu: Erhard Blankenburg/Siegfried Schönholz, Soziologie des Arbeitsgerichtsverfahrens. Die Verrechtlichung von Arbeitskonflikten, Neuwied/Darmstadt 1979. S. 78-83.
vgl. auch Klaus F. Röhl, Der Gebrauch von Recht zur Änderung des status quo, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie, 2, 1981, S. 7–17.
Siehe Kap. 8.
Die Daten wurden vom Verfasser aus dem Dokumentationssystem Justis, GMD, St. Augustin, gewonnen. An dieser Stelle ergibt sich die Gelegenheit, den Herren Jörg Dotterweich, Rolf Kniffka und Hellmut Morasch für ihre verständnisvolle Unterstützung zu danken.
Erhard Blankenburg/Harald von Kempski/Bernard Lebrun/Hellmut Morasch/Heinrich Schumacher, Die Rechtspflegestatisken. Analyse der Benutzerinteressen und Vorschläge für eine neue Konzeption, Berlin 1977, S. 35 f.
Vgl. dazu Luhmann, a.a.O. (Anm. 4).
Grob gesprochen sind solche sachfremden Einwände regelmäßig dann zu erwarten, wenn den Parteien die Übernahme der Prozeßrollen mißlingt. Es ist gut begründbar, wenn dies bei Konflikten in Sozialbeziehungen, in denen die Rollenhaftigkeit des Interaktionsverhaltens den Beteiligten bewußt ist, seltener auftritt als bei Störungen in Interaktionsbeziehungen, in denen die Parteien reziprok komplexe Verhaltenserwartungen stellen. Vgl. dazu Volkmar Gessner, Recht und Konflikt. Eine soziologische Untersuchung privatrechtlicher Konflikte in Mexiko. Tübingen 1976.
Siehe dazu Kap. 8.
Siehe oben Anm. 13
Vgl. die Angaben im Zusatzprogramm Zivilsachen, hrsg. vom Statistischen Bundesamt.
Bender/Schumacher; a.a.O. (Anm. 10) Gottfried Baumgärtel/Peter Mes (Hrsg.) Rechtstatsachen zur Dauer des Zivilprozesses (1. Instanz). Modell einer Gesetzesvorbereitung mittels elektronischer Datenverarbeitungsanlagen, Köln/Berlin/Bonn/München 1972.
Zur Tätigkeit von Gutachtern im Prozeß, allerdings abgestellt vorzugsweise auf medizinische Gutachten in Strafverfahren und — in Zivilprozessen — in Kunstfehlerprozessen, siehe: Peter Arens, Gutachter im Prozeß, in: Manfred Rehbinder (Hrsg.), Recht im sozialen Rechtsstaat, Opladen 1973, S. 261 — 283; Helmut Pieper, Sachverständigengutachten und Urteilsfindung im Zivilprozeß, in: Zur Soziologie des Gerichtsverfahrens. Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Band IV, Opladen 1976, S. 321-342. Jüngstens: Helmut Pieper/ Leonie Brennung/Günther Stahlmann, Sachverständige im Zivilprozeß München 1982.
Diese Behauptung verfechten mit Nachdruck: Rolf Kniffka/Elmar Steinbach, Strukturen des amtsgerichtlieben Zivilprozesses. München 1981, S. 108.
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Hutmacher, W. (1983). Die Analyse von Gerichtsakten — Erhebungsinstrument und Basisdaten. In: Der Vergleich im Zivilprozeß. Forschungsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen, vol 3163. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-87553-2_4
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