Skip to main content

Einleitung — „Normalität“ als spezifische Kategorie (vs. „Normativität“)

  • Chapter
Versuch über den Normalismus

Part of the book series: Historische Diskursanalyse der Literatur ((HDL))

Zusammenfassung

Zu den wichtigsten „diskursiven Ereignissen“, die zu studieren die Diskurstheorie im Anschluß an Michel Foucault empfohlen hat, gehört das Auftauchen und Proliferieren diskurstragender Kategorien. Diskurstragende Kategorien sind solche, durch deren ‘Entfernung’ — wenn man sie sozusagen aus dem betreffenden Diskurs ‘herauszöge’ wie die Stahlteile aus einer Betonkonstruktion — der betreffende Diskurs nicht länger ‘halten’ könnte und in sich zusammenbräche wie ein Kartenhaus. Unter solchen Kategorien sind in der Regel nicht isolierte einzelne Wörter zu verstehen, sondern ganze semantische Komplexe einschließlich ihrer Praxisbezüge, wiederum vergleichbar mit kreuzweise angeordneten Stahlteilen in Beton. Eines der auffälligsten Beispiele der letzten Zeit ist der Komplex „normal“, „Normalität“, „normalisieren“, „Normalisierung“ usw. Zöge man diesen Komplex etwa aus dem Diskurs der deutschen mediopolitischen Klasse seit 1989 heraus, so könnte dieser Diskurs keinen Augenblick länger ‘tragen’. Besonders interessant sind nun Fälle — und dazu gehört der in der folgenden Untersuchung zu behandelnde Fall der „Normalität“ -, in denen der proliferierende Komplex zwar durchaus als „Reizwort“ wahrgenommen wird und allerlei polemischen Lärm auslöst, dabei aber gleichzeitig hartnäckig im toten Winkel der theoretischen Reflexion verharrt, als ob es entweder überflüssig oder riskant wäre, explizit die Frage zu stellen: Wie definieren Sie eigentlich Ihren Grundbegriff „Normalität“, ohne den Ihre Argumentation auf der Stelle kollabieren würde?

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 49.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 64.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Literatur

  1. Zitiert nach der im Feuilleton der FAZ vom 15.11.1993 publizierten Fassung.

    Google Scholar 

  2. S. seine Replik in der Zeit vom 11.12.1992 (48): „Die zweite Lebenslüge der Bundesrepublik: Wir sind wieder normal geworden“.

    Google Scholar 

  3. Jürgen Habermas, Eine Art Schadensabwicklung,Frankfurt/Main 1987, 14; Die nachholende Revolution,Frankfurt/Main 1990, 149f.

    Google Scholar 

  4. Jürgen Habermas, Die nachholende Revolution,209, 216.

    Google Scholar 

  5. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem Ein Bericht von der Banalität des Bösen, 9. Aufl. München 1995 (1. Aufl. 1964), 326: „Das Beunruhigende an der Person Eichmanns war doch gerade, daß er war wie viele und daß diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren und sind. Vom Standpunkt unserer Rechtsinstitutionen und an unseren moralischen Urteilsmaßstäben gemessen, war diese Normalität viel erschreckender als all die Greuel zusammengenommen, denn sie implizierte (Chrw(133)), daß dieser neue Verbrechertypus, der nun wirklich hostis generis humani ist, unter Bedingungen handelt, die es ihm beinahe unmöglich machen, sich seiner Untaten bewußt zu werden.“

    Google Scholar 

  6. Charles Dayant, Est-ce normal, Docteur? Paris 1977.

    Google Scholar 

  7. Vgl. Hervé Hamon/Patrick Rotman, Génération. Bd. 1 (Les années de rève), Paris 1987, 516. l in: Edgar Morin/Claude Lefort/Jean-Marc Coudray, Mai 1968: La Brèche. Premières réflexions sur les événements, Paris 1968, hier 66, 67 (die einzelnen Beitrage sind namentlich gezeichnet). 12 Guy Debord, La Société du Spectacle, Paris 1992 (1. Auflage 1967 ).

    Google Scholar 

  8. Thomas S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, dt. Frankfurt/M. 1973, 45.

    Google Scholar 

  9. Exemplarisch dafür ist die durchgängige Psychiatrisierung der Revolte bei Aron: „Verlust des Verstandes“ („déraison”26), „kollektives Delirium“ („délire collectif`, 27, 36), „Rede-Delirium” („délire verbal”, 35), „kollektives Irresein“ („démence collective”, 32), „Fieberanfall“ („accès de fièvre”, 46).

    Google Scholar 

  10. Vgl. Morin (81): „Die Lohnerhöhung erscheint am Morgen des 27. Mai lächerlich - verlangt wird mehr, verlangt wird anderes; aber die Forderung nach Selbstverwaltung erscheint unmöglich, gefährlich, utopisch“.

    Google Scholar 

  11. So Robert Pages, „L’analyse psycho-sociologique et le mouvement de mai 1968“, in: Communications 12/1968, 46–53. Pages plädiert im übrigen explizit für „récupération”, für flexible Normalisierung (50 ff.).

    Google Scholar 

  12. Jean Baudrillard, L’échange symbolique et la mort,251: „C’est la mort plate, unidimensionnelle, fin de parcours biologique, solde d’une créance: `rendre l’âme’, comme un pneu, contenant vidé de son contenu.“

    Google Scholar 

  13. Gisela Dischner, „Ein Gegenbild zum `eindimensionalen Menschen“`, in: Helga Hâsing/Herbert Stubenrauch/Thomas Ziehe (Hgg.), Narziß - Ein neuer Sozialisationstyp? Braunschweig 1981, 100–118.

    Google Scholar 

  14. Friedrich Christian Delius, „Vom Spucken in diverse Brunnen, und so weiter“, in: Kursbuch 116 (1994), 5ff., hier 6.

    Google Scholar 

  15. Botho Strauß, Paare Passanten ( PP ), München/Wien 1981, 113.

    Google Scholar 

  16. Gilles Deleuze/Félix Guattari, Mille Plateaux,Paris 1980.

    Google Scholar 

  17. Ich verwende den „durée“-Begriff Bergsons hier sozusagen sensualistisch-`technisch’ bzw. in einem empirischen Sinne `phänomenologisch’ - ohne dabei irgendeine der idealistischen Prämissen über den „Geist” zu akzeptieren. Vgl. Henri Bergson, Essai sur les données immédiates de la conscience,4. Aufl. Paris 1991 (1888). Schon bei Bergson steht die Kategorie der „durée” im Kontext von Kategorien wie „Intensität“, „Heterogenität”, „Multiplizität“, die später - etwa bei Georges Bataille und Gilles Deleuze - zu typischen Kampfbegriffen gegen den Normalismus werden.

    Google Scholar 

  18. S. (exemplarisch) Peter V. Zima, Roman und Ideologie Zur Sozialgeschichte des modernen Romans, München 1986. Der „Sinn“-Begriff (vgl. etwa das Camus-Kapitel, 182, 184, 192ff.) ist bei Zima eng mit dem „Wert”-Begriff (mit der Bedeutung „authentischer Wert“) gekoppelt.

    Google Scholar 

  19. Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz Die Geschichte vom Franz Biberkopf, Olten und Freiburg im Breisgau 1961 (Alfred Döblin. Ausgewählte Werke in Einzelbänden in Verbindung mit den Söhnen des Dichters herausgegeben von Walter Muschg, Bd. 3).

    Google Scholar 

  20. Vgl. dazu J.L., ?Von Karl Kraus zu Rainald Goetz: Zwei Stadien der Medienkritik - zwei Stadien des Normalismus?“, in: Friedrich Balke/Benno Wagner (Hgg.), Weimar und Normalit?tskultur,Frankfurt/Main 1996.

    Google Scholar 

Download references

Authors

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 1997 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen

About this chapter

Cite this chapter

Link, J. (1997). Einleitung — „Normalität“ als spezifische Kategorie (vs. „Normativität“). In: Versuch über den Normalismus. Historische Diskursanalyse der Literatur. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-87532-7_2

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-87532-7_2

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-531-12880-1

  • Online ISBN: 978-3-322-87532-7

  • eBook Packages: Springer Book Archive

Publish with us

Policies and ethics