Zusammenfassung
Über längere Zeit bildeten Ansätze, die die ärztliche Profession als eigentlich treibende und gestaltende Kraft ansahen, das am weitesten verbreitete soziologische Erklärungsmuster für die fortschreitende Medikalisierung. Dabei stand die Medizin im Mittelpunkt einer allgemeineren und kritischen Auseinandersetzung mit dem Aufstieg und der Macht einer „neuen Klasse“ von Experten in hochentwickelten Gesellschaften (Illich et al. 1979/1977). Verschiedentlich wurde in diesem Zusammenhang von „medizinischem Imperialismus“ (oder allgemeiner von „professionellem Imperialismus“) gesprochen — ein Begriff, der die Absicht der Dominanz und Kontrolle klar unterstreicht. In einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser These faßte Strong (1979, 199f) deren wichtigste Annahmen wie folgt zusammen220:
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(1)
In modernen Gesellschaften besteht eine zunehmende Tendenz, die Handhabung sozialer Probleme an Professionen zu delegieren.
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(2)
Die einzelnen Professionen streben eine Monopolisierung bestimmter Dienstleistungen und Problemlösungen an — und versuchen dabei gleichzeitig, andere Berufe und die Laienschaft auszugrenzen.
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(3)
Professionen bieten nicht einfach Dienstleistungen an, die von den Klienten nachgefragt werden, sondern tendieren dazu, die Art der Dienstleistung ihrerseits nach eigenen Interessen zu formen und die Kriterien festzulegen, nach denen gute und schlechte professionelle Arbeit zu bewerten ist.
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(4)
Es liegt in der Natur der Professionen, daß sie ihren Einfluß auszuweiten versuchen, bestehende Probleme in ihren Begriffen redefinieren wollen und gänzlich neue Probleme zu entdecken suchen, für die allein sie selbst Lösungen anbieten können.
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(5)
Die Bedürfnisse, die Professionen befriedigen und die Probleme, die sie lösen, sind tendenziell unbegrenzt erweiterbar, weil sie ein Produkt sozialer Definitionen sind.
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(6)
Die Klienten professioneller Dienstleistungen sind „üchtig“ geworden und verlangen nach einer ständigen Erweiterung des Angebots.221
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Forster, R. (1997). Die Rolle des Professionalismus. In: Psychiatriereformen zwischen Medikalisierung und Gemeindeorientierung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-87283-8_9
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-87283-8_9
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-12782-8
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