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(Exkurs): Aspekte der Entwicklung eines technischen Ereignishorizonts bei Descartes und Leibniz

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Technische Interaktionskontexte
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Zusammenfassung

Im 6. Kapitel ist ein Technikbegriff entwickelt worden, der als solcher keineswegs zum gängigen Repertoire sozialwissenschaftlicher Forschung gehört. Der hier vorliegende Diskurs hat daher die Aufgabe, diesen spezifischen Technikbegriff zu vertiefen. Resümiert man noch einmal den Ansatz, der im letzten Kapitel gewählt wurde, dann ergibt sich folgendes Bild: Technisierungsprozesse wurden vor dem Hintergrund des systemtheoretischen Modells auf das Problem der Komplexität bezogen und so als Reduktionen und Systematisierungen sinnhafter Verweisungsstrukuren aufgefaßt. Dieser Komplexitätsreduktion entspricht jedoch gleichzeitig eine größere Kapazität zur Verarbeitung von Umweltkomplexität — und zwar gerade dadurch, daß die unbestimmte Komplexität lebensweltlicher Zusammenhänge in die bestimmbare Komplexität technischer Interaktionskontexte transformiert wird.

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Literatur

  1. Rombach versteht den Systemcharakter der neuzeitlichen Wissensorganisation wie folgt: “Die Wissenschaft ist ein einziger Gedanke in der Form seiner Entwicklung aus ihm selbst. Das heißt: Wissenschaft ist System. System ist die neue Dimension des Wissens, die durch die Konzeption Descartes in der Form der traditionellen Philosophie eröffnet ist und seither das Denken bestimmt.” (Rombach 66:142)

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  2. Heidegger faßt den Systemcharakter des neuzeitlichen Wissens mit dem Begriff des “Weltbildes”: “Zum Wesen des Bildes gehört der Zusammenstand, das System. Damit ist jedoch nicht gemeint die künstliche, äußere Einfächerung und Zusammenstellung des Gegebenen, sondern die aus dem Entwurf der Gegenständlichkeit des Seienden sich entfaltende Einheit des Gefuges im Vor-gestellten als solchem.” (Heidegger 77:100)

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  3. Dieses Verständnis von Methode darf jedoch nicht in unserem Sinne — die Wissenschaft hat eine Methode — verstanden werden. Vielmehr muß der eigentliche Sinn der griechischen Wortwurzel zugrundegelegt werden: Wissenschaft ist der “Weg”, die kontinuierliche Entfaltung der evidenten Erkenntnis. Dem widerspricht auch nicht die folgende Definition Descartes: “Unter Methode verstehe ich aber sichere und einfache Regeln, und jeder, der sie peinlich genau beobachtet, wird niemals etwas Falsches als wahr voraussetzen und keine geistige Anstrengung unnütz verbrauchen, sondern nach und nach sein Wissen stetig vermehren und so zur wahren Erkenntnis alles dessen gelangen, wozu er fähig ist.” (Descartes, Regel IV:28) Der Geist bedarf zwar der Führung durch die Regeln, diese erweisen sich jedoch im Akt der Selbstvergewisserung fern aller Außen- und Fremdbestimmung als formale Differenzierungen der Vernunftstruktur selbst.

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  4. Im neuzeitlichen Denken korrespondiert die Vorstellung einer streng notwendigen Welt des Akzidentellen mit der Idee der sogenannten “Zweitursachen”. Damit ist folgendes gemeint: Es soll nicht mehr die Frage nach den ersten Ursachen allen Seienden gestellt werden — denn diese Frage war ja durch die Kritik der Spätscholastik diskreditiert worden -, sondern es soll nach den immanenten Gesetzen einer kontingenten Welt geforscht werden. “Die ‘Unkennntis der zweiten Ursachen’ (Hobbes, Leviathan, 100) gehört mit dazu, daß Zuflucht zur ersten Ursache, also zu Gott, genommen wird. Für die Erfahrung des menschlichen Lebens und die Einrichtungen der menschlichen Welt genügt aber die Kenntnis der zweiten Ursachen.” (Baruzzi 73:57)

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  5. Obwohl die philosophischen Standorte Adornos und Heideggers sehr unterschiedlich sind und die gegenseitige Rezeption seit jeher entweder durch Polemik oder durch ein bewuß-tes Nicht-zur-Kenntnis-nehmen geprägt waren, zeigen sich hier, wie auch in anderen Punkten, entscheidene Parallelen.

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  6. Da hier der reflexive Akt der Subjektfindung gewissermaßen vorausgeht, argumentiert Luhmann, “daß die Reflexivität keineswegs eine Eigenschaft des ‘Subjekts’ ist, sondern daß die Subjektheit des Bewußtseins erst hinzuerfunden wurde, nachdem die Struktur der Reflexivität des Denkens im Wahrheitscode kulturell gesichert war” (Luhmann 85b:351).

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  7. Diese primäre Beschränkung des Gegenstandsbereichs kommt besonders deutlich in der 2. Regel Descartes’ zum Ausdruck: “Nur mit solchen Gegenständen darf man umgehen, zu deren zuverlässiger und unzweifelhafter Erkenntnis unsere Erkenntniskraft offenbar ausreicht.” Insbesondere werden dadurch bloß wahrscheinliche Erkenntnisse zurückgewiesen: Wenn etwas wahr ist, dann ist es unbezweifelbar. Die cognitio probabilis ist die Wahrheit des mittelalterlichen Weltbildes, die adaequatio rei et intellectu. Für Descartes dagegen — darauf weist Rombach hin — gibt es keine graduellen Unterschiede der Wahrheit im Sinne einer Annäherung des Begriffs an die Sache mehr: “Wo das Wissen eine Entfernung spürt, ist es unrettbar verloren” (Rombach 66:374).

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  8. Aristoteles wählt als Beispiel den “Donner”, dessen Ursache er darin sieht, daß Feuer von den Wolken gelöscht wird. Diese Definition nennt die Wirkursache und behauptet damit gleichzeitig die Existenz des definierten Gegenstandes, (vgl. Aristoteles, De anima A 1, 403a25-b16)

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  9. Oft bemühtes Beispiel hierfür ist etwa die Definition des Menschen hinsichtlich seiner Gattung als “Lebewesen” und seines spezifischen Unterschiedes etwa den Tieren gegenüber als “vernünftig”. Daraus folgt Mensch = vernünftiges Lebewesen.

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  10. Als Beispiel für eine “Nominaldefinition” fuhrt Leibniz “die Vorstellung des Goldschei-ders vom Gold an, auf Grund von Merkmalen und Untersuchungen die Sache von allen anderen ähnlichen Körpern zu unterscheiden” (Leibniz, Beobachtungen:23).

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  11. Der Begriff “real” bedeutet dabei gerade nicht “Realität” im Sinne von Wirklichkeit, sondern benennt — im Sprachgebrauch des 17. und 18. Jahrhunderts -, was zu einer “res” -einer Sache gehört -; mit anderen Worten: Die Realdefinition bezieht sich auf das, was den Sachgehalt einer Sache ausmacht. Dabei ist sekundär, ob die Sache als wirkliche oder nur als mögliche existiert (vgl. Volkmann-Schluck 81:61).

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  12. Als Beispiele für die a priorische causale Realdefinition wählt Leibniz fast ausschließlich Beispiele aus dem Bereich der Mathematik; so etwa, wenn es um die Definition paralleler Linien geht, die er als reines Konstruktionsprinzip angibt. Behauptet die “Realdefinition a priori” quasi die logische Möglichkeit eines Begriffs, so bezieht sich die “Realdefinition a posteriori” auf die ontische Möglichkeit, nämlich den Nachweis der Existenz des definierten Gegenstandes durch die Erfahrung. Dieser Rekurs auf die Erfahrung scheint beim ansonsten strengen Rationalismus Leibniz’ einen Widerspruch in sich zu bergen. Hatte Leibniz noch in der Kritik an Descartes die Erfahrung als “verworren” bezeichnet, so scheint er sie hier wieder in Amt und Würden einzusetzen. Dieser Aspekt wird von Krüger hervorgehoben: “Erfahrung wird hier also gar noch zur Bedingung der Möglichkeit der Beweise, da diese nur auf widerspruchsfreie, d.h. mögliche Begriffe aufgebaut sein dürfen.” (Krüger 69:31) Diese Kritik wird Leibniz nicht gerecht, da er durchaus einen deutlichen Unterschied zwischen Realdefinition a priori und a posteriori macht. Dabei geht es ihm nicht darum, die Existenz des physisch Vorhandenen zu leugnen, auch wenn man davon keine a priorische Definition hat. Das Ziel der Erkenntnis aber sollte — so Leibniz — immer sein, eine a-priorisch Definition zu erlangen. Die a-posteriorische Erkenntnis ist dabei lediglich als Zwischenstadium auf dem Wege zu einer vollkommeneren Erkenntnis zu verstehen. 13 Das wird auch durch das folgende Zitat unterstrichen: “…weder die Ellipse noch irgend ein anderer Gegenstand kann seiner Wesenheit nach vollkommen begriffen werden, ohne daß seine Möglichkeit a priori durch eine formale Ursache bewiesen wird, die einer jeden besonderen Erzeugungsart innewohnt.” (Leibniz, Brief de Volder:309)

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  13. Im mittelalterlichen Wahrheitsbegriff der “adaequatio rei et intellectu” lagen Erkenntnis und Erkenntnisgegenstand noch in einem gemeinsamen Kontinuum. Im Descartesschen Wahrheitsbegriff dagegen ist die Idee allein im Bewußtsein lokalisiert und Wahrheit wird sozusagen ‘bewußtseinsintern’ gesucht. Wahrheit ist die Wahrheit der unmittelbar evidenten Ideen. Der Weg zur wahren Erkenntnis kann jetzt nur noch als Weg (griechisch: me-thodos) des Denkens verstanden werden, der Maßstab richtiger Erkenntnis nicht mehr im sinnlichen Gegenstand, sondern allein im Bewußtsein gesucht werden. Damit wird Wissenschaft zur Methode. Die Leibnizsche Realdefinition steht in der Tradition dieses neuzeitlichen Methodenbegriffs. Die Realdefinition beansprucht nicht, Abbildung eines wirklichen Gegenstandes zu sein, sondern sie will Modell menschlichen Verstehens sein. Das muß insbesondere im Auge behalten werden, wenn es im folgenden um die Entwicklung von formalen Sprachen und Kalkülen bei Leibniz geht, die durchaus als frühe Vorläufer der mathematischen und informationstheoretischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts angesehen werden können (vgl. Wiener 63).

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  14. “Denn ich sah z.B. wohl, daß, ein Dreieck angenommen, seine drei Winkel zwei rechten gleich sein mußten, aber ich sah darum noch keinen Beweis, daß es in der Welt ein Dreieck gäbe, während ich bei der Idee eines vollkommenen Wesens… fand, daß in dieser Idee die Existenz ganz ebenso liegt.” (Descartes, Methode IV. Kap:68)

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  15. Damit wird schon eine Problemstellung klar, die zum Kernproblem der Descartesschen Philosophie werden sollte: Der Schritt vom “cogito”, vom reinen Denken zur empirischen Wirklichkeit. Diese Kluft zwischen Denken und empirischer Welt versucht er mit den “Garantien” eines vollkommenen Wesens, wie sie in den ideae innatae vorliegen, zu schließen.

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  16. “Betrachtet man dies aufmerksamer, so erkennt man schließlich, daß man zur Mathematik genau all das rechnen muß, wobei nach Ordnung und Maß geforscht wird, und daß es hierbei gar nicht darauf ankommt, ob man dieses Maß nun in den Zahlen oder den Gestirnen oder den Tönen oder in irgendeinem anderen Gegenstande zu suchen hat, so daß es also eine bestimmte allgemeine Wissenschaft geben muß, die all das erklären wird, was der Ordnung und dem Maß unterworfen, ohne Anwendung auf eine besondere Materie, als Problem auftreten kann.” (Descartes, Regel IV:32)

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  17. Beide Problemstellungen waren nichts völlig Neues. So finden sich etwa beide Gedanken in der “ars magna” des Raimundus Lullus, eines um 1300 in Spanien lebenden Franziskaners. Dieser hatte die Konstruktion einer Kunstsprache vorgeschlagen, um die Missionierung der fremdsprachigen Heiden zu erleichtern. Außerdem hatte er an einer neuen Logik gearbeitet, die als kombinatorisches Verfahren angelegt, ein Verfahren bereitstellen sollte, das die Vereinbarkeit verschiedener Grundbegriffe beweisen sollte. Mit Hilfe verschiedener mechanischer Verfahren konnte Lullus dann etwa beweisen, daß “Gottes Güte groß und seine Größe gut sei” (vgl. Mittelstrass 70:426ff.). In den Versuchen des Raimundus Lullus verbanden sich die verschiedensten abendländischen Traditionen, vom christlichen Gedankengut über die Kabbala bis zur Alchimie. Obwohl dieser Hintergrund für die beginnende Neuzeit keine Rolle spielte, wurde doch das “Projekt” einer als Kalkül und Kunstsprache verstandenen “ars magna” zum wesentlichen Bezugspunkt sowohl für -Descartes als auch für Leibniz. Ein entscheidendes Moment der Faszination ging dabei sicherlich “von der mechanischen Schlichtheit und dem hohen Maß an Kontrollierbarkeit des Verfahrens” (ebd.) aus.

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  18. Das ist schon daran abzulesen, daß Leibniz in anderen Kalkülen für die gleichen Relationszeichen geometrische Symbole benutzt.

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  19. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß sich die rationalistische Auffassung des Verhältnisses von Denken/Subjektivität und Maschine vom heutigen Verständnis in einem zentralen Punkt unterscheidet: Denken, Verstehen und Maschine stehen am Beginn der Neuzeit in einem Korrespondenzverhältnis. Sie bilden nicht — wie im heutigen Verständnis — ein Gegensatzpaar, sondern sind unlösbar miteinander verbunden.

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Hartmann, C. (1992). (Exkurs): Aspekte der Entwicklung eines technischen Ereignishorizonts bei Descartes und Leibniz. In: Technische Interaktionskontexte. Deutscher Universitätsverlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-86315-7_10

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