Zusammenfassung
Mit dem Zerfall überkommener Wertordnungen, den Nietzsches Philosophie diagnostiziert und gutheißt, ist auch, das zeigen das poetologische Gedicht Nietzsches und die Geschichte seiner Nachfolge, der Dichter in eine Legitimationskrise geraten. Selbst die „letzte Dankbarkeit gegen die Kunst“ (Nietzsche) hilft der Dichtung nicht gegen die Frage, welchen Rang sie denn eigentlich noch einnehme. In Nietzsches Ansicht, daß der Künstler „zeitlebens ein Kind oder ein Jüngling“ bleibe („Menschliches, Allzumenschliches“),116 daß er rückwärts gewendet und dem wissenschaftlichen Menschen nicht gewachsen sei, kehrt ja in versteckter Form doch Hegels These wieder, die Kunst genüge nicht mehr wie noch in der Antike den höchsten Ansprüchen des Geistes. Legitimationsdruck von anderen Seiten tritt hinzu — nicht nur von einer allgemeinen Politisierung des öffentlichen Lebens her, für die Herweghs Worts „Laßt die Harfen uns zertrümmern“ und Bechers Gedicht „Vorbereitung“ als Beispiele standen. Auch die Veränderungen der sozialen Wirklichkeit durch Technik und Industrie stellen neue Ansinnen an die Dichtung. Im poetologischen Gedicht meldet Anastasius Grüns „Poesie des Dampfes“ diesen Anspruch an, auch „Das Buch der Zeit“ von Arno Holz:
Schau her, auch dies ist Poesie! […] sie steigt auch in die Kohlengruben und setzt sich auf die Hobelbank. […] sie schlingt den Dampf ums Haupt als Schleier und saust dahin als Eisenbahn. […] sie mauert Tunnels, zimmert Brücken und pfeift als Dampfschiff um die Welt. […] sie setzt den Fuß selbst ins Gefängnis und speist die Armut im Spital.117
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Literaturhinweise
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Hinck, W. (1985). Macht und Ohnmacht des Dichters. In: Das Gedicht als Spiegel der Dichter. Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, vol 273. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-85258-8_9
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