Zusammenfassung
Dieses abschließende Kapitel, welches das werkgeschichtliche Spezifikum von Bachmanns “Todesarten” zu beschreiben versucht, wird einen offenen Schluß haben. Das entspricht der hier leitenden Überzeugung, daß der Literatur Bachmanns textgeschichtlich viel Unabgegoltenes eigne; Unabgegoltenes aber nicht nur im Sinne von Utopischem. Das unabgegolten Utopische ist schon seit 1953 offenkundig. Nach dem Ende der Kunstperiode ist Bachmann aber mehr damit beschäftigt, die Berechtigung ihrer utopischen Ausrichtungen in Frage zu stellen, als daß sie an deren Umsetzung arbeitete. Die geläufige Setzung, wonach sich der Utopiebegriff bei Bachmann von der Utopie als Ziel zur Utopie als Richtungnahme nur gewandelt habe1, verkennt das Problem. Zum einen kommt doch wohl keine Richtungnahme ohne Richtung, ohne Orientierung aus. Deshalb wurde die Unterscheidung von Ziel und Richtung hier aufgegeben und an konkreten Utopien: Liebe, Sprache, Geist, Ausdruck, soweit wie möglich festgehalten; was nicht ausschloß, sie sowohl als fernes Ideal wie als diesseitigen Prozeß zu verstehen. Zum andern aber wird mit dem Klammern am Begriff noch in der unverbindlichen Fassung bloßer Richtungnahme das Problem der utopie-immanenten Tilgung ausgegrenzt, das sich hier als Widerschein des vernichtungspolitischen Zeitalters immer wieder aufdrängte.
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Literatur
Vgl. Kurt Bartsch: Ingeborg Bachmann. Stuttgart 1988, 27ff.; unter Berufung auf ein implizites Musil-Zitat auf IV 270.
Vgl. Gudrun Kohn-Waechter: “...ich liebte ihr Herunterbrennen”. Das Zerschreiben der Opferfaszination in Gespräch im Gebirg von Paul Celan und Malina von Ingeborg Bachmann. In: Schrift der Flammen: Opfermythen und Weiblichkeitsentwürfe im 20. Jahrhundert, hg. von Gudrun Kohn-Waechter. Berlin 1991, 219–240; dort 234.
Kohn-Waechter [Anm. 2], 234.
Kohn-Waechter [Anm. 2], 233.
Kohn-Waechter [Anm. 2], 234. Zur tendenziellen Identifizierung von Juden und Frauen bei Kohn-Waechter vgl. Anm. 117.
Vgl. oben S. 183.
Vgl. Kohn-Waechter [Anm. 2], 221 und III 342.
Eine zuverlässige Datierung des Fragments ist bis auf weiteres nicht möglich. Dem Inhalt nach dürfte es frühestens während der Arbeit an Unter Mördern und Irren entstanden sein, aufgrund des “prophetischen” ersten Teils aber wohl später. Wie mir Dirk Göttsche freundlicherweise mitteilte, entspricht das Schriftbild dem Hauptschriftbild der Typoskripte von Mitte der fünfziger Jahre bis Mitte 1961; es finde sich aber auch um 1961/62, 1964 und ab 1966 gelegentlich wieder. Die Papiersorte finde sich bei den Erzählungen des Bandes Das dreißigste Jahr, bei den Frankfurter Vorlesungen und im Franza-Material.
Vgl. Kapitel 5.
Vgl. oben S. 177f.
Vgl. oben S. 156f.
Ingeborg Bachmann: Die kritische Aufnahme der Existenzialphilosophie Martin Heideggers, hg. von Robert Pichl. München Zürich 1985, 127–131.
Fachleute, die sich mit der Rekonstruktion von Heideggers Philosophie befassen, bezweifeln dies. Otto Pöggeler etwa erwähnte in einem Gespräch mit mir, er habe Heidegger einmal über Bachmanns Dissertation berichten sollen, habe aber nur Enttäuschendes zu sagen gewußt. Vgl. auch das Nachwort von Friedrich Wallner in Bachmann [Anm. 12], 177–199.
Alle Zitate Bachmann [Anm. 12], 127.
Vgl. aber oben S. 94ff. und S. 166, Anm. 51.
Bachmann [Anm. 12], 129.
Bachmann [Anm. 12], 130.
Bachmann [Anm. 12], 130. Goya hat zwar kein Bild genau dieses Titels gemalt, Bachmann bezieht sich aber wohl auf das in Goyas Landhaus zwischen 1820 und 1824 entstandene, auf die Wand gemalte Gemälde “Saturn”, das, nach seiner Übertragung auf Leinwand, im Prado unter dem Titel “Saturn, eines seiner Kinder verschlingend” ausgestellt ist. Wenn man das Haus Goyas betrat, fiel der Blick zuerst auf dieses und auf ein weiteres Bild, das Judith mit dem Haupt des Holofemes zeigt. Vgl. dazu Francisco Goya. Leben und Werk. Von Pierre Gassier und Juliet Wilson, hg. von François Lachenal. Frankfurt a.M. Berlin Wien 1971, 313–323; dort die Abbildungen auf 318.
Bachmann [Anm. 12], 130.
Es handelt sich um zwei Zeilen aus Baudelaires Gedicht Le Gouffre aus den Fleurs du mal. Zit. nach Bachmann [Anm. 12], 131; Hervorhebung von mir.
Vgl. oben S. 104ff, 139ff.
Zum Zusammenhang von quasi gesetzlichem Zwang, Genealogie und Mythos vgl. Klaus Heinrich: Die Funktion der Genealogie im Mythos. In: Ders.: Parmenides und Jona. Vier Studien über das Verhältnis von Philosophie und Mythologie. Frankfurt a.M. 1966, 9–28.
Hier zitiert nach Martin Heidegger: Gesamtausgabe I. Abt. Bd. 9: Wegmarken. Frankfurt a.M. 1976, 103–122.
Randnotiz zur 3. Auflage 1931: die positive und ausschließliche Haltung zum Seienden.
Randnotiz zur 5. Auflage 1949: ontologische Differenz, Nichts als “Sein”.
Heidegger [Anm. 23], 106.
Heidegger [Anm. 23], 109.
Heidegger [Anm. 23], 106, 108.
Heidegger [Anm. 23], 111.
Heidegger [Anm. 23], 112.
Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 1986 [Ersterscheinung 1927], 191.
Heidegger [Anm. 31], 190f.
Heidegger [Anm. 23], 115.
Heidegger [Anm. 23], 117.
Heidegger [Anm. 23], 117f.
Zur Formulierung “Sich hineinhaltend in das Nichts ist das Dasein...” notiert Heidegger um 1949 dann: “wer hält ursprünglich?” Vgl. Heidegger [Anm. 23], 115.
Vgl. Heidegger [Anm. 23], 117f.
Martin Heidegger: Nachwort zu “Was ist Metaphysik?”. In: Ders.: Gesamtausgabe I. Abt. Bd.9: Wegmarken. Frankfurt a.M. 1976, 303–312.
Vgl. Heidegger [Anm. 23], 113f.
Heidegger [Anm. 23], 122.
Vgl. die Auflistung der drei Hauptvorwürfe bei Heidegger [Anm. 38], 305.
Vgl. Heidegger [Anm. 38], 306.
Heidegger [Anm. 38], 308.
Vgl. Heidegger [Anm. 38], 307f.
Vgl. Heidegger [Anm. 38], 306.
Heidegger [Anm. 23], 105; Hervorhebung von mir.
Vgl. Heidegger [Anm. 23], 122.
Heidegger [Anm. 38], 307.
Vgl. Heidegger [Anm. 38], 304, 308.
Heidegger [Anm. 38], 309f; Hervorhebung von mir.
Michael Reiter hat aber auf einige Stellen in den erst 1989 veröffentlichten Beiträgen zur Philosophie (1936–39) verwiesen, die wohl den Gedankengang im Nachwort vorbereitet haben könnten. Vgl. Michael Reiter: Opferphilosophie. Die moderne Verwandlung der Opferfigur am Beispiel von Georg Simmel und Martin Heidegger. In: Schrift der Flammen. Opfermythen und Weiblichkeitsentwürfe im 20. Jahrhundert, hg. von Gudrun Kohn-Waechter. Berlin 1991, 129–147; dort 141.
Heidegger [Anm. 38], 310f.
Vgl. bis hier Heidegger [Anm. 23], 117, 114.
Heidegger [Anm. 38], 310f; Hervorhebungen von mir.
Heidegger [Anm. 38], 311.
Heidegger [Anm. 38], 311.
Vgl. dazu das Verzeichnis der Heidegger-Texte in Bachmann [Anm. 12], 132–134. Das letztgenannte Werk ist der Brief Über den Humanismus. Frankfurt 1949.
Vgl. oben S. 237.
Im folgenden zitiert nach Martin Heidegger: Die Selbstbehauptung der deutschen Universität. Das Rektorat 1933/34. Frankfurt a.M. 1990 [Erstausgabe 1983].
Heidegger [Anm. 59], 22.
“Nur noch ein Gott kann uns retten” — Spiegel-Gespräch mit Martin Heidegger am 23. September 1966. In: Der Spiegel 30. Jg. Nr.23, 31. Mai 1976, 193–219; dort: 196. Heidegger, der die Veröffentlichung des Gesprächs nur postum gestattet hatte, war wenige Tage zuvor, am 26. Mai 1976, gestorben.
Heidegger [Anm. 23], 104.
Vgl. Der Spiegel [Anm. 61], 196.
Heidegger [Anm. 59], 39.
Heidegger [Anm. 59], 26.
Heidegger [Anm. 59], 39.
Heidegger [Anm. 59], 9.
Heidegger [Anm. 59], 10.
Heidegger [Anm. 59], 10.
Heidegger [Anm. 59], 39.
Vgl. Heidegger [Anm. 59], 10
Vgl. Heidegger [Anm. 59], 10.
Heidegger [Anm. 59], 12.
Heidegger [Anm. 59], 15.
Heidegger [Anm. 59], 14.
Heidegger [Anm. 59], 10. Vgl. oben S. 247, [Anm. 68].
Heidegger [Anm. 59], 16.
Heidegger [Anm. 59], 16.
Heidegger [Anm. 59], 27.
Vgl. Heidegger [Anm. 59], 28.
Heidegger [Anm. 59], 10.
Heidegger [Anm. 59], 14.
Heidegger [Anm. 59], 19.
Was voraussetzte, daß sich dieses so umschreiben ließ. Gerade die später als wesentlich behauptete Einheit von Denken und “Bewegung”, fällt, nach Auschwitz, auf Heideggers Denken insgesamt zurück. Dennoch scheint Heideggers politische Überzeugung sich zunächst auch unabhängig von denkenden Konsequenzen gewandelt zu haben. Hermann Mörchen notierte jedenfalls schon am Sylvesterabend 1931 nach einem Besuch: “Familie Heidegger ist nationalsozialistisch geworden” (zit. nach Otto Pöggeler: Praktische Philosophie als Antwort an Heidegger. In: Martin Heidegger und das “Dritte Reich”. Ein Kompendium, hg. von Bernd Martin. Darmstadt 1989, 62–93; dort: 84).
Vgl. Heidegger [Anm. 59], 16.
Vgl. oben S. 91ff, 105ff.
Vgl. oben S. 126f.
Vgl. oben S. 165f.
Vgl. oben S. 180f.
Vgl. oben S. 147ff.
Vgl. oben 173ff.
Vgl. seine Ansprache zur Entgegennahme des Literaturpreises der Freien Hansestadt Bremen vom 26. Januar 1958. In: Paul Celan: Gesammelte Werke. Dritter Band. Frankfurt a.M. 1986 [Erstausgabe 1983], 185f; dort: 186. Gudrun Kohn-Waechter glaubt, der Begriff gehe auf eine Anregung Bachmanns zurück, deren Gedicht Strömung (I 156, erstveröffentlicht 1957) in Entwürfen noch mit “Flaschenpost” betitelt war (vgl. Gudrun Kohn-Waechter: Das Verschwinden in der Wand. Destruktive Moderne und Widerspruch eines weiblichen Ich in Ingeborg Bachmanns “Malina”. Stuttgart 1992, 46 und 163, Anm. 23 sowie Nachlaß 476, 487/K 1229f.).
Dichtung wird nicht mehr auferlegt, sie setzt sich aus. Celan [Anm. 92], 181.
Die unter diesem Titel gehaltene Büchner-Preisrede lese ich als einen Übergangstext, in dem
wichtige Linien des Werks bis 1961: Stadt-Text, Wüsten-Bild, “Es ist...”, “Es ist nichts”, verknüpft werden mit der Notattechnik der Berliner Jahre am deutschen Ort zu einer letzten Sprechanstrengung im Sinne der Ausdrucksutopie. Diese geht darüber in die Träume und Gespräche von Malina ein und wird transformiert zu dem, was in der Wildgans-Preisrede noch davon geblieben ist: radikal vereinsamte Schrift, geschlossen zum Buch, wartend auf die Leser. Vgl. unten S. 261ff.
Vgl. oben 160f.
Vgl. den 10. und 11. der “Berliner Gemeinplätze” in: Hans Magnus Enzensberger: Palaver. Politische Überlegungen (1967–1973). Frankfurt a.M. 1974, 14f.; [zuerst in Kursbuch 11, Januar 1968, 151–169; dort 157].
Zit. nach Rudi Dutschke. Die Revolte. Wurzeln und Spuren eines Außruchs, hg. von Gretchen Dutschke-Klotz u.a. Reinbek bei Hamburg 1983, 188.
Vgl. die umfassende Darstellung in Klaus Briegleb: 1968. Literatur in der antiautoritären Bewegung. Frankfurt a.M. 1993.
Mit “Ariosi” sind Henzes “Nachstücke und Arien” nach Texten von Ingeborg Bachmann von 1957 gemeint. Vgl. I 657f.
Briegleb [Anm. 98], 292.
Vgl. Karl Markus Michel: Ein Kranz für die Literatur. Fünf Variationen über eine These. In: Kursbuch 15, November 1968, 169–186; kommentierend dazu Briegleb [Anm. 98], 290–294.
Es ist eine wahrscheinlich verfehlte, weil die Bedeutung des Textes privativ verkennende Entscheidung der Nachlaßverwalter Bachmanns gewesen, den sieben Seiten umfassenden Text bis auf ein beziehungsloses Bruchstück aus dem literarischen Nachlaßteil, in den er zurecht schon eingeordnet worden war, herauszunehmen und zu sperren. Vgl. dazu Nachlaß 1523–29/K 7946–52.
Vgl. auch das interview mit Ekkehart Rudolph vom März 1971, v. a. Gul 91.
Briegleb hat herausgearbeitet, wie nah manche Debatten “1968”, beispielsweise die zwischen Peter Handke und der SDS-Gruppe “Kultur und Revolution”, der Erfahrung dieser Leere kamen. Von den Studenten war “nach der Vergangenheit in der Gegenwart gefragt worden. Für einen Augenblick war eine Literatur und Kunst, die bürgerliche, die diese Frage nicht stellte, nicht gefragt. Dieser Diskurswille im Nichtdiskurs ‘1968’, ‘Diskurs in der LEERE’, ist die historische Leistung der Studentenbewegung” (Klaus Briegleb: 1968. Debatten im logischen Raum. Ein Versuch. In: Ders: Unmittelbar zur Epoche des NS-Faschismus. Arbeiten zur politischen Philologie 1978–1988. Frankfurt a.M. 1989, 316–370; dort: 368). Aber weder hat Handke, noch haben die Studenten selbst die Debatte damals so begriffen. Sprach- und kulturanalytische Prominenz hatte vielmehr schon 1963 gegen solche Sprach- und Literaturreflexion polemisiert und offenbar dauerhaft immunisiert. Im Streit mit George Steiner (vgl. Deutsch — gefrorene Sprache in einem gefrorenen Land? In: Sprache im technischen Zeitalter 1962/63, Sonderheft, 431–475) hatte auch Peter Rühmkorf nicht, sondern einzig Franz Mon sensibel und besonnen gegen den von Steiner thesenhaft behaupteten Zusammenhang von deutscher Sprache und deutscher Vernichtungspolitik sich gezeigt (vgl. dazu Briegleb a.a.O., 325–330; dort: Anm. 37). Bis heute aber hat man von Berührungspunkten zwischen Bachmann und den “Konkreten” wenig Kenntnis genommen. Der vielleicht erste und ein gewiß wichtiger Text dazu ist Helmut Heißenbüttels Bachmann-Rezension: Gegenbilder der heillosen Zeit. In: Texte und Zeichen. Eine literarische Zeitschrift, 3. Jg. Hft.1, 1957, 92–94. Heißenbüttel wandte sich schon damals gegen die allgegenwärtige Zuschreibung von “reiner Poesie selbst” an Bachmanns Gedichte. Der Zusammenhang von lyrischer Aussage und äußerstem geschichtlichen “Schrecken” ist klar benannt. Heißenbüttel unternimmt erste genauere Versuche bei der Beschreibung deutscher Lyrik in ihrer epochalen Prägung, und obwohl er, mit Bachmann, auf die Möglichkeit positiver Gegenbilder noch fixiert bleibt, findet er schon eine Formulierung, der auch Bachmann nur wenig später auf der Spur ist: “Das reine Positivum, — das eben ist der Tribut, den diese unsere Welt zu verlangen scheint-, es ließe sich nur fassen in der ausdrücklichen Benennung seiner dekorativen Leere” (Heißenbüttel a.a.O., 94; Hervorhebung von mir).
Celan [Anm. 92], 179. Celan antwortete auf eine Umfrage des Spiegel: “Ist die Revolution unvermeidlich?”, indirekt aber auf Hans Magnus Enzensberger, der in seinem Aufsatz “Writers and Politics” von 1967 dekretiert hatte: “Tatsächlich sind wir heute nicht dem Kommunismus konfrontiert, sondern der Revolution. Das politische System der Bundesrepublik läßt sich nicht mehr reparieren. Wir können ihm zustimmen, oder wir müssen es durch ein neues System ersetzen. Tertium non dabitur” (zit. nach Celan a.a.O.). Das hatte der Spiegel zum Anlaß seiner Umfrage genommen.
Vgl. oben zu Améry S. 26f, Levi S. 53 und 175, Federmann S. 47, 127 und 160, Celan S. 160f, Sachs S. 181.
Vgl. oben S. 220f, 231.
Jean Améry: Trotta kehrt zurück. Über Ingeborg Bachmanns Novellenband “Simultan”. In: Die Weltwoche (Zürich), 8. November 1972.
Sie nennt das Gedicht An die Sonne und die Erzählung Undine geht. Vgl. Margarete Susman: Ich habe viele Leben gelebt. Erinnerungen. Stuttgart 1964, 25f.
Dan Diner: Negative Symbiose. In: Ist der Nationalsozialismus Geschichte? Zu Historisierung und Historikerstreit, hg. von Dan Diner. Frankfurt a.M. 1987, 185–197; dort 185f.
Diner[Anm. 110], 195f.
Vgl.oben S.40f.
Mit viel Fleiß und Scharfsinn erarbeitete Zufälle in diesem Sinne sind auch die Funde und Befunde der Entschlüsselungstexte etwa von Monika Albrecht: “Die andere Seite”. Zur Bedeutung von Werk und Person Max Frischs in Ingeborg Bachmanns “Todesarten”. Würzburg 1989 oder Gudrun Kohn-Waechter [Anm. 92]. Zufälle, auf die Bachmann gehofft haben mag. Sigrid Weigel hat vor allem aus den verschlüsselten Bezügen des Malina-Romans auf Texte Celans eine ganze “Polyphonie des Anderen” herausgelesen und diese als Lösung des Darstellungsproblems in der Literatur nach Auschwitz bezeichnet (Sigrid Weigel: Zur Polyphonie des Anderen. Traumatisierung und Begehren in Ingeborg Bachmanns imaginärer Autobiographie “Malina”. In: Dies.: Bilder des kulturellen Gedächtnisses. Beiträge zur Gegenwartsliteratur. Dülmen-Hiddingsel 1994, S. 232–263).
Vgl. die scharfsinnige Diskussion der Stelle im Hinblick auf Leibniz und Heidegger bei Gudrun Kohn-Waechter: Das “Problem der Post” in ‘Malina’ von Ingeborg Bachmann und Martin Heideggers [‘] Der Satz vom Grund [‘]. In: Die Frau im Dialog. Studien zur Theorie und Geschichte des Briefes, hg. von Anita Runge und Lieselotte Steinbrügge. Stuttgart 1991, 225–242; dort v. a. 231ff.
II 93;vgl.oben S. 167f.
Vgl.oben S. 160.
Textgeschichtlich würde ich von meiner Analyse des Unbekannten in Unter Mördern und Irren her also bestreiten, daß das Ich im Roman die andere Stimme zum deutschen Verhängniszusammenhang nach Auschwitz schon ist und diesem nur unterliege, wie es Gudrun Kohn-Waechter in bezug auf eine unspezifische “destruktive Moderne” behauptet und genau begründet hat (Kohn-Waechter [Anm. 92]). “Auschwitz” geht, das kann man vielleicht gerade an Bachmanns Texten sehen, im Problem moderner Rationalität und deren anderem nicht auf. Kohn-Waechter bezieht sich grundlegend auf Michel Foucaults Histoire de la Folie, legt aber an verschiedenen Stellen nahe, das dort verhandelte Problem treffe die NS-faschistische Epoche einfach mit (vgl. Kohn-Waechter a.a.O., 9–12, 166ff., Anm. 44 u. 53, 191, Anm. 52). Dies ist in der sonst so überaus sorgfältig argumentierenden Studie ein sprechend schneller Schluß. Die Identifizierung des Ichs mit den von den Nazis Vernichteten versuche ich zu problematisieren und von textgeschichtlichen Voraussetzungen Bachmanns her anders zu deuten.
Die Ivan-Geschichte könnte fast als Allegorie der Kunstperiode bis 1959 erscheinen.
Ich sieht sich hier also in dem Bildraum, den Bachmann am Schluß ihrer Dissertation von 1949 betritt. Auch “Der Hund” gehört, wie der “Saturn” (vgl. [Anm. 18]), zu den vierzehn sogenannten “schwarzen Gemälden” an den Wänden von Goyas Landhaus. Er gilt unter den Bildern des oberen Zimmers als die “gewagteste Arbeit” (Francisco Goya [Anm. 18], 319; dort auch eine Abbildung). Vgl. auch Johanna Bossinade: Das Beispiel Antigone. Textsemiotische Untersuchungen zur Präsentation der Frauenfigur. Von Sophokles bis Ingeborg Bachmann. Köln Wien 1990, 205f. u. 313, Anm. 146.
Eine Erläuterung dieser merkwürdigen Form der Tilgungen habe ich in Nachschlagewerken der Ägyptologie nicht gefunden. P. Gilbert meint, sie hätten durch andere Porträts, vor allem solche von Thutmosis II., dem Vater von Thutmosis III. und Ehemann der Hatschepsut, ersetzt werden sollen (vgl. P. Gilbert: Le sens des portraits intacts d’Hatshepsout à Deir-el-Bahari. In: Chronique d’Égypte 28, Nr. 56, Juillet 1953, 218–221; dort: 220). Dies ist aber nur bei wenigen geschehen. Die Ansichten über den Tod der Hatschepsut gehen auseinander. Mittlerweile wird eine Ermordung durch ihren Nachfolger wohl als unwahrscheinlich angesehen. Vielmehr scheint es eine lange gemeinsame Regierungszeit gegeben zu haben, die zwar unter der Vorherrschschaft der Hatschepsut stand, Thutmosis III. aber eine hohe Stellung einräumte. Über den Beginn der Tilgungen gibt es sich widersprechende Meinungen: von unmittelbar nach dem Tod der Königin bis zu den letzten Regierungsjahren des Thutmosis scheint alles möglich zu sein. Die komplizierte Form der Tilgungen könnte, auch wenn diese aus der Spätzeit des Pharaos stammen sollten, meines Erachtens auf Widersprüche in der ägyptischen Gesellschaft dieser Zeit zurückgehen. Während Hatschepsut unter Bedingungen außenpolitischer Stabilität vorwiegend nach innen regierte und das aus der Hyksos-Zeit, einer Zeit der Fremdherrschaft und Militarisierung, beschädigte Land reorganisierte und restaurierte, gelangte unter Thutmosis III. der ägyptische Imperialismus zur höchsten Machtfülle. Dies ging mit Veränderungen der ägyptischen Kultur und Tradition einher. “Progressive” Militärs gaben den Ton an, Beamte und Priester verloren an Einfluß. Geht man davon aus, daß letztere auf Befehl der herrschenden Kräfte die Tilgungen zu vollziehen hatten, so könnte deren eigentümliche Form, welche die Umrisse der getilgten Figur bewahrte, als impliziter Widerstand interpretiert werden. Das Getilgte wäre so nicht nur stehengeblieben, sondern in der Tilgung noch festgeschrieben worden. Von solchen Widerständen, selbst in der näheren Umgebung des Thutmosis, aber auch im Volk, schreibt auch Gilbert (a.a.O., 221f.). Vgl. auch die Stichworte *Hatschepsut, *Thutmosis III. sowie die allgemeine Darstellung der ägyptischen Geschichte in: Wolfgang Helck und Eberhard Otto: Kleines Wörterbuch der Ägyptologie. Wiesbaden 1970 [Erstauflage 1956]; die Stichworte *Hatschepsut I., Thutmosis III. und *Namenstilgung in: Lexikon der Ägyptologie, hg. von Wolfgang Helck und Wolfhart Westendorf. Wiesbaden 1972ff.
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Gehle, H. (1995). Opfer Bachmann?. In: NS-Zeit und literarische Gegenwart bei Ingeborg Bachmann. Deutscher Universitätsverlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-85179-6_7
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