Zusammenfassung
Im Gegensatz zu den Zeitmaßen Tag und Jahr, die natürlichen Phänomenen wie der Rotation der Erde um ihre eigene Achse und dem Umlauf der Erde um die Sonne entsprechen, hat der Begriff des Jahrhunderts keine physikalische Basis. Vielmehr leitet er sich von einem arithmetischen Sachverhalt ab, der auf einer anatomischen Zufälligkeit beruht. Hätten die Menschen vier Finger an der Hand, hätten wir zweifellos ein Zahlensystem mit der Basis 8 statt der Basis 10 entwickelt, was zu einer Zeiteinteilung in Oktaden statt Dekaden und Intervallen von 8 Oktaden — oder 64 Jahren — statt Jahrhunderten geführt hätte. Das auf die zehn Finger zurückgehende Dezimalsystem und die aus ihm folgende Einordnung der Jahre in Jahrzehnte*, Jahrhunderte und Jahrtausende, die wir mit Etiketten versehen — wir sprechen von den „Roaring Twenties“, den „Goldenen Fünfzigern“ oder den turbulenten Sechzigern -, ist so bequem als Organisationsprinzip, daß wir die Beliebigkeit der Einteilung aus dem Auge verlieren. (Die Kultur der „Sechziger“, sofern es eine solche überhaupt gab, umfaßte eigentlich eher die acht Jahre von 1964 bis 1972.) So fürchten sich die Leute davor, vierzig (dreißig oder fünfzig) zu werden, weil sie einer speziellen Zahl eine Bedeutung zumessen, nur weil sie ein Vielfaches von zehn ist*.
Was für Leute sind bloss die Dichter, die den Jupiter besingen können, solange er wie ein mensch ist, aber verstummen müssen, wenn er eine gewaltige, sich drehende Kugel aus Methan und Ammoniak ist.
—Richard Feynman
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Literatur
„Einordnung der Jahre in Jahrzehnte“: Siehe den Aufsatz „Decades“ von Nancy K. Miller in Changing Subjects, herausgegeben von Gayle Greene und Coppélia Kahn, Routledge, New York, 1993, S. 31–47.
„nur weil sie ein Vielfaches von zehn ist“: Eine unwahrscheinliche Übereinstimmung der Politik, der Geodäsie und des Dezimalsystems liefert eine der seltsameren Fußnoten der Geschichte, wie wir zu unseren heutigen Maßeinheiten kamen. Das Meter wurde als ein Zehnmillionstel des Abstandes des Nordpols vom Äquator definiert. Mit anderen Worten: Der über die Pole genommene Erdumfang wurde als 40 Millionen Meter definiert. 1791 wurde eine Landvermessung zur Bestimmung der exakten Länge des Meridians durch Paris vom Kanal bis zum Mittelmeer gestartet. Das dürfte das erste Beispiel für staatlich finanzierte „Big Science“ gewesen sein. Die Ergebnisse wurden benützt, um — wie bei al-Khwarizmi fast tausend Jahre zuvor — mit Hilfe astronomischer Messungen die Länge eines Breitengrads zu bestimmen. Da es vom Äquator zum Pol 90 Breitengrade sind, würde die sich ergebende Zahl die Länge des Meters bestimmen — ein Zehnmillionstel der Gesamtentfernung. Eine eingehendere Abhandlung über die Überlegungen und Machenschaften, die zu den heute weltweit verwendeten Maßeinheiten geführt haben, ist „The Politics of the Meter Stick“ von John Heilbron, American Journal of Physics, Band 57 (1989), S. 988–92.
„im Jahr 1800“: Ob das 19. Jahrhundert am 1. Januar 1800 oder 1801 begann, ist — man wird es nicht für möglich halten — Gegenstand einer andauernden Debatte. Wegen neuer Analysen siehe das Buch Century’s End von Hillel Schwartz, Doubleday, 1990 und den Artikel von Stephen Jay Gould, „Dousing Diminutive Dennis’ Debate“ in Natural History, April 1994, S. 4–12.
„großes Geschütz“: Die Bedeutung von Maxwells Entdeckung wuchs erst im Lauf der Zeit. 1938 schrieben Einstein und Infeld in ihrem Buch The Evolution of Physics: „Die theoretische Entdeckung einer elektromagnetischen Welle, die sich mit der Geschwindigkeit des Lichts ausbreitet, ist eine der größten Leistungen in der Wissenschaftsgeschichte.“ Mehr zu Maxwell bringen L. Campbell und W. Garnett, The Life of James Clerk Maxwell, London, 1882;
eine kurze Biographie mit einem ausgezeichneten Bericht seiner wissenschaftlichen Beiträge ist C. W F. Everitt, James Clerk Maxwell, Physicist and Natural Philosopher, Scribners, New York, 1975.
„eine neue Ära der Astronomie“: Karl Jansky identifizierte als erster die Radiowellen aus dem Weltraum, und zwar bei der Suche nach der Quelle des Rauschens im Radiotelefonverkehr. In den frühen Dreißiger Jahren versuchte Jansky, den Ursprung der Störung zu lokalisieren, und er schloß, daß sie weitgehend aus der Milchstraße stamme. Allerdings verfolgten weder er noch sonst jemand diese Befunde weiter, bis Reber — eigenhändig und mit eigenem Geld -die erste lenkbare Radio-Schüsselantenne (Durchmesser 31 Fuß) baute und eine systematische Himmelsdurchmusterung im Radiofrequenzbereich unternahm.
„Wheaton, Illinois“: Wheaton ist ein Vorort von Chicago, wo Reber als Radioingenieur beschäftigt war. Das vollständige Zitat seines Artikels „Cosmic Static“ ist: Astrophysical Journal, Band 100, 1944, S. 279–87. Die daran anschließende Geschichte der Radioastronomie wird in The Invisible Universe Revealed: The Story of Radio Astronomy von Gerrit L. Verschur, Springer, New York, 1987 beschrieben.
Ein ausgezeichneter Überblick über die Werkzeuge der modernen Astronomie und was sie uns mitteilen, findet sich in The Astronomer’s Universe: Stars, Galaxies and Cosmos von Herbert Friedman, Ballantine Books, New York, 1990.
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© 1997 Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig/Wiesbaden
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Osserman, R. (1997). Das unsichtbare Universum. In: Geometrie des Universums. Facetten. Vieweg+Teubner Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-85025-6_7
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-85025-6_7
Publisher Name: Vieweg+Teubner Verlag
Print ISBN: 978-3-322-85026-3
Online ISBN: 978-3-322-85025-6
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