Bonner Vorarbeiten zur indischen Epik

Zusammenfassung

Bei einem Symposion, das dem Thema „Formen und Funktionen mündlicher Tradition“ gewidmet ist, kann dem Altertumswissenschaftler bloß eine Nebenrolle zufallen. Zwar gehen die beiden großen — in Sanskrit abgefaßten — indischen Epen, das Mahābhārata und das Rāmāyana, in ihrem Kern auf Heldenlieder zurück, die von Barden (sūta) aus dem Stegreif gedichtet und in der Kaste vererbt sowie von fahrenden Sängern (kusśīlava) auswendig gelernt und im Volke verbreitet wurden; doch hat in hohem Maße auch das mehr religiös ausgerichtete narrative oder Itihāsa-Schrifttum in dieselben Eingang gefunden, und durch die Einfügung umfänglicher religiös-didaktischer Stücke hat vor allem das Mahābhārata seine Eigenschaft als Epos vielfach verloren. Außerdem ist ihre literarische Ausgestaltung wohl schon in der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends erfolgt, obgleich selbst beim Textbestand der kritischen Ausgaben von Poona bzw. Baroda mit redaktionellen Änderungen und Interpolationen bis wenigstens ins fünfte nachchristliche Jahrhundert gerechnet werden muß.