Abstract
Würde man einem Verhaltenswissenschaftler von einem anderen Stern die Aufgabe geben zu beschreiben, was in den westlichen Industriegesellschaften unserer Zeit unter „Recht“ verstanden wird, so würde in seinem Bericht die Erwähnung von Organisationen nicht fehlen können: vermutlich würde er bei einer Auszählung von Gesetzen und anderen Rechtsnormen finden, daß sie sich in der Mehrzahl auf das Handeln von staatlichen Organisationen beziehen: Anweisungen, mit denen Verwaltungsbehörden, Gerichte und ihre Interaktion mit der jeweiligen Klientel geregelt werden. Und auch dort, wo Rechtsnormen sich an nicht-staatliche Adressaten richten, regeln sie weitgehend die Beziehungen zwischen Organisationen und Individuen. Der Verhaltenswissenschaftler würde allerdings auch Unterschiede zwischen den Industrieländern registrieren: etwa daß in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland eine Tradition dahingehend besteht, das Handeln von staatlichen Behörden möglichst weitgehend rechtlich zu regeln und ihre Entscheidungen weitgehend einer gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen. Würde er Recht ausgehend von dem zu definieren versuchen, was vor Gerichten abgehandelt wird, so würde er nicht nur vor den Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichten, die unmittelbar mit Entscheidungen von Behörden zu tun haben, sondern auch vor den Zivil- und Arbeitsgerichten feststellen, daß hier zumindest auf einer Seite in der überwiegenden Zahl der Prozesse eine Organisation steht. Und selbst vor den Strafgerichten würde er feststellen, daß zwar auf der einen Seite immer ein Individuum als Angeklagter steht, auf der Seite des Opfers aber häufig wiederum Organisationen auftauchen, zumindest aber daß das formale Anklagemonopol von einer staatlichen Organisation beansprucht worden ist. Wenn man als Recht das bezeichnet, was verhaltensmäßig in Erscheinung tritt, so wird es in Organisationen formuliert, es wird weitgehend von Organisationen überwacht und durchgeführt, und es richtet sich überwiegend an Organisationen als Adressaten seiner Normen.
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Anmerkungen
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Ebd., 68.
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Blankenburg, E., Lenk, K. (1980). Organisation und Recht — Einführung in das Thema. In: Blankenburg, E., Lenk, K. (eds) Organisation und Recht. Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, vol 7. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83669-4_1
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