Zusammenfassung
In den politischen Kulturen Deutschlands und Israels spielt die Erinnerung an die jüngere Vergangenheit und insbesondere die Erinnerung an den Holocaust eine wichtige, mitunter sogar zentrale Rolle. Ob das »Gedenken an die Vergangenheit und die Schwierigkeit, mit ihr zurechtzukommen« jedoch gleichzeitig »das Gemeinsame des jüdischen und des deutschen Volkes« ist, wie Avi Primor es nennt, muss gerade in Bezug auf die Rezeption des Holocaust in Deutschland und Israel mit einem Fragezeichen versehen werden.1 Trotz zahlreicher Parallelen im Umgang mit der Erinnerung an den nationalsozialistischen Judenmord in beiden Ländern offenbart sich bei näherem Hinschauen schnell, dass von einem gemeinsamen Gedenken an den Holocaust in Deutschland und Israel kaum die Rede sein kann. Dies liegt nicht nur in der Tatsache begründet, dass das Gedenken im »Land der Täter« und das Gedenken im »Land der Opfer« bereits aufgrund der gegensätzlichen historischen Ausgangslage allenfalls komplementär sein kann. Gerade auch im Hinblick auf die »unterschiedlichen Bedeutungsfunktionen«, die der Holocaust in den politischen Kulturen Israels und Deutschlands erfüllt, liegt es nahe, wie Moshe Zuckermann, von »Zweierlei Holocaust« zu sprechen.2 Und so wie das Bild der Vergangenheit stets von der Gegenwart aus festgelegt wird, so sind die Unterschiede im Gedenken in Deutschland und Israel stets auch ein Spiegel der unterschiedlichen Gegenwart dieser beiden Staaten gewesen. Das lange Schweigen — freilich aus völlig unterschiedlichen Gründen — über das Geschehene sowohl in der israelischen als auch der deutschen Gesellschaft in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, das Brechen dieses Schweigens und die anschließende Integration der Erinnerung in die kulturelle Identität beider Länder, auch bis hin zur Instrumentalisierung der Geschichte durch die Politik in Israel und Deutschland, sind Entwicklungen, die zwar Momente der Parallelität aufweisen, letztlich jedoch mehr über die Unterschiede im deutschen und israelischen Gedenken an den Holocaust aussagen, als über deren Gemeinsamkeiten.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Similar content being viewed by others
Literatur
Avi Primor: Ein Samson, der zittert. In: Zeitschrift für Kultur-Austausch 49 (1999), H. 4, S. 36.
Moshe Zuckermann: Zweierlei Holocaust. Der Holocaust in den politischen Kulturen Israels und Deutschlands. Göttingen 1999, 2.Aufl., S. 170.
Tom Segev: Die siebte Million. Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung. Reinbek bei Hamburg 1995, S. 434.
Werner Renz: Auschwitz. Annotierte Bibliographie der deutschsprachigen Auschwitzliteratur. Frankfurt am Main 1994, S. 50.
Susanne Brandt: Holocaust — redaktionell bearbeitet. In: Zeitschrift für Kultur-Austausch 49 (1999), H. 4, S. 90.
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 2001 Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Doerk, S., Möller, U., Reibold, T. (2001). Einführung. In: Wittstock, A. (eds) Israel in Nahost — Deutschland in Europa: Nahtstellen. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83372-3_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-83372-3_2
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-13725-4
Online ISBN: 978-3-322-83372-3
eBook Packages: Springer Book Archive