Zusammenfassung
Alle wünschen es sich sehnlichst herbei, nur wie soll dieses ominöse, vielbeschworene ‘andere Fernsehen’, das auch mit Adjektiven wie ‘radikal, subversiv oder alternativ’ gekennzeichnet wird, denn nun aussehen? Ein ‘anderes’ Fernsehen ist längst vorhanden. Nur präsentiert es sich nicht gerade in der Form, wie es sich viele irgendwie erträumt hätten. Mit der Kommerzialisierung des Fernsehens und der Vervielfachung der Programmangebote haben sich die Fernsehprogramme in Deutschland seit Mitte der achtziger Jahre sukzessive verändert und dabei eine Eigendynamik entwickelt, die die gewohnte kommunikative Struktur des Mediums ins Wanken gebracht hat. Die Merkmale des fundamentalen Gestaltwandels in den Programmen sind vielfältig und bedingen einander:
Fernsehen ist zu einer komplexen und zunehmend durch Fernbedienung und Videorecorder2 individualisierten Programmabfolge geworden. Die Zuschauer stellen sich zunehmend ihre eigene Programmabfolge zusammen, die eher aus Bruchstücken und Partikeln des Gesamtangebots besteht, denn aus geschlossenen Werkeinheiten.3 Dies kommt nicht von ungefähr — es ist in den Programmen und deren additivem Konstruktionsprinzip verankert: Die Durchsetzung der Sendungsabfolgen durch (Unterbrecher-)Werbung, Trailer oder Sender-Logos hat zu einer offensichtlichen Vermischung und Entgrenzung der Erzählmodi geführt. Dies schlägt sich in den Programmen als Beschleunigung und Verdichtung der Programmabfolge, in der Miniaturisierung (Zerstörung großer Programmeinheiten) und in der Serialisierung (Schaffung von größeren Programmverbänden) nieder. Im permanenten Fluß der Programme verlieren sich die einzelnen Sendungen, während das Gesamtprogramm an Bedeutung gewinnt. Das Einzelprodukt zählt für die Sender zunehmend weniger; Ziel ist die Schaffung einer ‘Channel Identity’ als Vertrauensbasis für die Zuschauer durch ein ausgefeiltes ‘Corporate Design’.4 Zur Ästhetisierung der ‘Programmgewänder’ wurden technische und künstlerische Innovationen, die mit den herkömmlichen Inszenierungstechniken in Konkurrenz treten, für das Programm-Design funktionalisiert. Alles kann zum Spielmaterial innerhalb des unerbittlichen, ausgeklügelten, hochgezüchteten Programmflusses werden. Auf diese Programm-Tendenzen reagieren viele Zuschauer durch das Speichern von Sendungen auf Videocassetten oder mit dem Finger auf der Fernbedienung: Gegenstrategien, welche die Promotionstaktiken aushebeln können und somit die Fernsehsender wiederum zum Handeln zwingen.
Im folgenden Text werden Tonbandinterviews auszugsweise zitiert. Diese Gespräche werden jeweils mit Hinweis auf Vor- und Zunamen der entsprechenden Person vermerkt: Dieter Czaja (Redakteur und Jugendschutzbeauftrager bei RTL; zuständig für Kanal 4), Interview vom 8.6.1993; Lisa Heymann (zuständig für die Programmplanung und -koordination bei Kanal 4), Interview vom 25.3.1993; Dr. Eberhard Heyse (seit Ende 1992 neuer Geschäftsführer von Kanal 4), Interview vom 25.3.1993; Joachim Ortmanns (Gesellschafter von Kanal 4, Produzent: LichtBlick Film- und Videoproduktion, Köln. Beteiligt an der Sendung Donnerstag durch Konzeption und Produktion), Interview vom 25.3.1993.
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Adolph, J. (1997). Kanal 4 — Konturen eines anderen Fernsehens. In: Bleicher, J.K. (eds) Programmprofile kommerzieller Anbieter. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83276-4_11
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