Zusammenfassung
„Was darf Biographie?“ fragt der Dichter Franz Fühmann in seinem großen Essay über Georg Trakl, seine Antwort legitimiert nicht nur die Zunft der Sekundärliteraten, sie stellt auch einen interessanten Katechismus für eine „Einblicknahme zu Forschungszwecken“ bereit und sei daher eingangs zitiert, auch wenn dieses Zitat (trotz erheblicher Kürzungen) etwas länger gerät: „Es gibt“ — führt Fühmann aus — „ eine auf den ersten Blick recht sympathisch anmutende These, die ein Eindringen in die Intimsphäre eines Dichters oder Künstlers als unzulässige Schnüffelei verwirft; sie habe recht, wenn dies Eindringen seinem Objekt nicht gewachsen, also tatsächlich Schnüffelei ist. Dieses Objekt ist nämlich nicht bloß ein Intimes, es ist ein Intimes in der Sphäre von Nachwelt, und deren Öffentlichkeit setzt eine andere Qualität: Intimes ist nicht mehr das Nur-Private eines Nur-Einzelnen, es ist das Auch-Öffentliche eines Besonderen [...] Die neue Qualität setzt einen anderen Schutz des Privatrechts: Jeder Schutz eines Schöpferlebens, dessen Werk die Lebzeit überdauert, ist nun ein Lebenszug dieses Werkes [...] Solange ein öffentlich Wirkender lebt, hat nur er das Ausmaß seiner Intimsphäre zu bestimmen, und er bestimme auch das Ausmaß an Zeugnis, das er davon zu überliefern gedenkt, und den Umfang des Werkes, das er als gültig betrachtet (er, nicht seine Familie) [...] Man soll nicht Alles überall edieren, aber Alles soll Jedem zugänglich sein: Wer vom Gedicht ergriffen wird, will — Analogon zum Verstehen — vom Dichter nichts oder alles wissen; was dazwischen liegt, ist immer nur das Halbe und das ist dem Dichter sowenig gemäß wie dem Leser [...] Aber wem sollte dies Begreifen, dies Auftauen des — wie Hanns Henny Jahn es formuliert hat — ‘Lügeneisblocks Mensch’ triftiger geschehen als am Leben derer, die durch die Existenz ihres Werkes in der Nachwelt selbst zu einer öffentlichen Sache, zur res publica, geworden und darum wie keine anderen geeignet sind, Menschentum exemplarisch zu bezeugen“1.
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© 1996 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
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Krätzer, J. (1996). Die Stasi als Literaturarchiv: Die Wandlung des Franz Fühmann vom „Salomon“ zum „Filou“. In: Hollitzer, T. (eds) Einblick in das Herrschaftswissen einer Diktatur — Chance oder Fluch?. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83263-4_13
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-12792-7
Online ISBN: 978-3-322-83263-4
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