Zusammenfassung
Der erste Eindruck von einem Menschen ist, wie sich später zeigen wird, aufs Engste mit dem ersten Blick verbunden. Natürlich können wir auch einen Eindruck von jemandem gewinnen, den wir gar nicht sehen, von einem Helden in der Literatur oder vermittels einer fremden Stimme am Telefon; Eindrücke aus „zweiter Hand“ also, deren Bedingungen und Gesetze zu erforschen sicherlich auch sehr interessant wäre. Nun ist aber gerade. das Unmittelbare an einer Begegnung das, was uns immer wieder in Staunen versetzt. Warum sprechen wir auf einen bestimmten Menschen so spontan und heftig an, warum versetzt uns der Anblick dieses einen Menschen in eine so starke Bereitschaft, unsere Hemmungen zu überwinden und auf ihn zuzugehen, und warum läßt uns ein anderer, möglicherweise viel attraktiverer Mensch, unbeteiligt und uninteressiert? Weiß der menschliche Körper mehr als man ihm zutraut, haben sich gar im Laufe der Evolution Faktoren ausgebildet, die die Entscheidungen bei der Partnerwahl vorwegnehmen, so daß wir uns lediglich vortäuschen, wir hätten uns bewußt für den einen oder anderen Menschen entschieden? Könnte es nicht sein, daß wir schon nach einem „ersten Blick“ auf einen anderen Menschen tatsächlich eine ausreichende Menge von wichtigen Informationen über ihn gesammelt haben, um uns innerlich ein für unser weiteres Verhalten verbindliches Urteil über diesen Menschen zu bilden, bevor wir uns überhaupt bewußt Rechenschaft darüber ablegen? Gibt es demnach die berühmte „Liebe auf den ersten Blick“ wirklich, wie oft gleichermaßen bezweifelt und bejaht wird? Sind solche Verhaltensweisen bei Menschen möglicherweise ähnlich erforschbar wie im Tierreich? Sind sie vielleicht sogar in bislang unentdeckten genetischen Programmen gespeichert und nur deshalb unentdeckt geblieben, weil der forschende Mensch, gewohnt, sich von den Tieren mit dem Hinweis auf seine vielgerühmte Intelligenz abzugrenzen, auf jenem Auge blind war, das seine Unzulänglichkeit wissenschaftlich-exakt hätte erforschen müssen? Kann der Mensch überhaupt so unvoreingenommen sein, daß er sich selbst gegenüber eine so schonungslos offene Verhaltensforschung betreibt, wie er sie im Tierreich praktiziert, ohne dem platten Darwinismus zu verfallen und ohne permanent trügerische Sozialutopien zu entwerfen, die er in der Realität doch nie verwirklichen kann?
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Doermer, P. (1990). Vorwort. In: ... auf den ersten Blick. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83244-3_1
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-83244-3_1
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Print ISBN: 978-3-531-12121-5
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