Juden und die Ambivalenzen der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland von 1800 bis 1933

Zusammenfassung

Im Juni 1879 kündigte Theodor Fontane dem Redakteur der Zeitschrift „Die Gegenwart“einen „anti-adelig[en] und sehr judenfreundlich[en]“Essay über „Das Judenthum und die Berliner Gesellschaft“an (Fontane 1980: 27). Am Vorabend des Berliner Antisemitismusstreits kontrastierte er die Rolle des Adels im gesellschaftlichen Leben der Hauptstadt mit der des Judentums. Die,,Durchschnitts-Adelsgesellschaft“lasse „viel zu wünschen übrig“. Der preußische Adel habe zwar „Selbstbewußtsein und Haltung“, sei jedoch „zu arm, zu binnenländisch beschränkt, zu unkosmopolitisch und zu unvertraut mit dem[,] was allein eine feinere Form schafft: mit Wissenschaft und Kunst“. Der Aufstieg des jüdischen Bürgertums sei dagegen ein „Fortschritt“. Zwar finde man auch unter den reichsten Berliner Juden „das Gefühl einer kaum losgewordenen Pariaschaft“, aber in der jetzt „dominierenden Gesellschaft“entfalte „sich eine Ueberlegenheit[,] und das Enge, das Provinziale ist abgestreift. Große Interessen werden verhandelt, der Blick hat sich erweitet, er geht über die Welt. Die Sitten sind verfeinert, geläutert, gebessert. Vor allem der Geschmack. Der Courszettel verträgt sich besser mit der Weltbildung als der Rennbahn oder Wochen Markt-Bericht“. Im jüdischen Bürgertum Berlins finde man „alles, das Beste was wir haben… Der Staat mag dadurch verloren haben, die Welt hat gewonnen.“(Fontane 1986: 37–38)