Zusammenfassung
Nationale und nationalistische Kontexte waren es, welche gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Etablierung der Vor- und Frühgeschichtlichen (Prähistorischen) Archäologie führten. Heuristisches Mittel war die sog. siedlungsarchäologische Methode der ethnischen Deutung — das wohl umstrittenste Konzept der Prähistorie. Hierbei wurden Formenkreise der materiellen Kultur, d.h. bestimmte Stilarten von Keramik, Waffen, Schmuck etc. statisch als Träger jeweils einer Ethnie interpretiert. Es ist paradox, dass dieses Paradigma in lediglich leicht modifizierter Form, d.h. unter Ablegung des Germanenmythos, noch heute dazu herangezogen wird, Historisierungen eines prähistorischen Europa zu begründen und einem breiten Publikum zu präsentieren. So widerspiegelt das Beispiel der Archäologie auch das Bild der gegenwärtigen Gesellschaft: Der Wille, den langen Weg nach Europa zu beschreiten, ist vorhanden; der hierfür erforderliche Mentalitätswechsel steht jedoch noch aus.
Für alle Förderung und Anregung durch das DFG-Kolleg „Europäische Gesellschaft“ an der Universität Essen bedanke ich mich herzlich.
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Literatur
Jürgen Kunow: Die Entwicklung von archäologischen Organisationen und Institutionen in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert und das „öffentliche Interesse Bedeutungsgewinne und Bedeutungsverluste und deren Folgen, in: Peter F. Biehl et al. (Hrsg.): Archaologien Europas. Geschichte, Methoden und Theorien, Münster u.a. 2002, S. 147–183.
An dieser Stelle sei auf eine detaillierte Monografie über Kossinna hingewiesen: Heinz Grünert: Gustaf Kossinna (1858–1931). Vorn Germanisten zum Prähistoriker. Ein Wissenschaftler im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Randen 2002.
Gustaf Kossinna: Über verzierte Eisenlanzenspitzen als Kennzeichen der Germanen, in: Zeitschrift fir Ethnologie 37 (1905), S. 369–407; ders.: Die Herkunft der Germanen. Zur Methode der Siedlungsarchäologie, Leipzig 1920; ders.: Ursprung und Verbreitung der Germanen in ur-und frühgeschichtlicher Zeit, Berlin 1926.
Kossinna, Eisenlanzenspitzen als Kennzeichen der Germanen.
Kossinna, Herkunft der Germanen, S. 22. (Hervorhebung G.M.)
Henning Hassmann: Archäologie und Jugend im „Dritten Reich“. Ur-und Frühgeschichte als Mittel der politisch-ideologischen Indoktrination von Kindern und Jugendlichen, in: Leube, Prähistorie und” Nationalsozialismus, S. 107–146.
Martin Schmidt: Die Rolle der musealen Vermittlung in der nationalsozialistischen Bildungspolitik. Die Freilichtmuseen deutscher Vorzeit am Beispiel Oerlingshausen, in: Leube, Prähistorie und Nationalsozialismus, S. 147–159.
Reinhard Bollmus: Das „Amt Rosenberg“, das „Ahnenerbe” und die Prähistoriker. Bemerkungen eines Historikers, in: Leube, Prähistorie und Nationalsozialismus, S. 21–48, hier S. 31 u. 35. Vgl. auch ders.: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im Nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Stuttgart 1970.
Hassmann, Archäologie und Jugend im „Dritten Reich“, S. 109.
Gustaf Kossinna: Anmerkungen zum heutigen Stand der Vorgeschichtsforschung, in: Mannus 3 (1911), S. 127–130, hier S. 128.
Hans. Reinerth (Hrsg.): Vorgeschichte der deutschen Stämme. Germanische Tat und Kultur auf deutschem Boden, Bd. I-III, Leipzig 1940.
Alfred Rosenberg: Geleitwort, in: Reinerth, Vorgeschichte der deutschen Stämme, Bd. I, S. Vf.
Reinerth, Vorgeschichte der deutschen Stämme, Bd. I, S. 1.
Gordon V. Chi1de: The Aryans. A Study of Indo-European Origins, London u.a. 1926; Herbert Kühn: Geschichte der Vorgeschichtsforschung, Berlin u.a. 1976, S. 332–357.
Helmut Kohl: Grußwort, in: Reiss-Museum Mannheim (Hrsg.): Die Franken — Wegbereiter Europas. Vor 1500 Jahren: König Chlodwig und seine Erben, Mainz 1996, S. X III.
Karin v. Welck: Vorwort, in: Reiss-Museum Mannheim, Die Franken — Wegbereiter Europas, S. X V.
Lothar Mark: Eine Geschichte — zwei Geschichten, in: Reiss-Museum Mannheim, Die Franken — Wegbereiter Europas, S. 3–9, hier S. 3.
Die in Frankreich prominente Stellung Chlodwigs äußerte sich u.a. auch darin, dass Napoleon I. anlässlich seiner Kaiserkrönung im Jahr 1804 auf seinem Krönungsmantel die bienenähnlichen Goldbesätze, ähnlich denjenigen aus dem Grab des Vaters von Chlodwig, König Childerich I. von Tournai, anbringen ließ.
Franz Staab: Die Franken — Wegbereiter Europas, in: Reiss-Museum Mannheim, Die Franken — Wegbereiter Europas, S. 10–22, hier S. 21.
Mix Hänsel und Bernhard Hänsel: Gaben an die Götter: Schätze der Bronzezeit Europas, Berlin 1997; Bernhard Hänsel (Hrsg.): Mensch und Umwelt in der Bronzezeit Europas. Abschlußtagung der Kampagne des Europarates: Die Bronzezeit: Das erste goldene Zeitalter Europas an der Freien Universität Berlin, 17.-19. März 1997, Kiel 1998.
Eggert, Prähistorische Archäologie, S. 372.
Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg (Hrsg.): Goldene Jahrhunderte — Die Bronzezeit in Südwestdeutschland (= ALManach, Bd. 2), Stuttgart 1997.
Dieter Planck: Vorwort des Herausgebers, in: Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Goldene Jahrhunderte, S. Vf.
Eggert, Prähistorische Archäologie, S. 373.
Ullrich Veit: Kulturanthropologische Perspektiven in der Urgeschichtsforschung. Einige forschungsgeschichtliche und wissenschaftstheoretische Vorüberlegungen, in: Saeculum 41 (1990), S. 182–214, hier S. 205.
Nach eigener und Anderer Erfahrung bietet ein Aufenthalt in einem Land eines anderen Kontinents die beste Garantie dafür, den Begriff Europa im Sinne eines durch bestimmte Werte gekennzeichneten Europäischen Kulturkreises verstehen zu lernen.
Hassmann, Archäologie und Jugend im „Dritten Reich“, S. 138–140.
Patrick Geary: Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen, Frankfurt a. M. 2002.
Matthias Springer: Geschichtsbilder, Urteile und Vorurteile. Franken und Sachsen in den Vorstellungen unserer Zeit und in der Vergangenheit, in: Christoph Stiegemann/Matthias Wemhoff (Hrsg.): 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn (Beiträge zum Katalog der Ausstellung Paderborn 1999), Mainz 1999, S. 224–232, hier S. 224–226.
Geary, Europäische Völker im frühen Mittelalter.
Stellvertretend für viele Kritiken seien genannt: Ernst Wahle: Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen. Grenzen der frühgeschichtlichen Erkenntnis I (= Sitzungsberichte Heidelberger Akad. Wiss. Phil. hist. KI. 2), Heidelberg 1941; Hans-Peter Wotzka: Zum traditionellen Kulturbegriff in der prähistorischen Archäologie, in: Paideuma 39 (1993), S. 25–44; Sebastian Brather: Ethnische Identitäten als Konstrukte der frühgeschichtlichen Archäologie, in: Germania 78 (2000), S. 139–177.
Heiko Steuer: Frühgeschichtliche Sozialstrukturen in Mitteleuropa. Eine Analyse der Auswertungsmethoden des archäologischen Quellenmaterials, Göttingen 1982, S. 18.
Günther Smolla: Neolithische Kulturerscheinungen. Studien zur Frage ihrer Herausbildungen, Bonn 1960.
Constanze Witt (Hrsg.): Worlds Collide: Multiculturalism in the Archaeological Record, Oxford 2002.
Dies geschieht z.B. noch heute in Frankreich zeremoniell zum Nationalfeiertag mit Rückgriff auf Vercingetorix. Vgl. Jean-Paule Demoule: Archäologische Kulturen und moderne Nationen, in: Biehl et al., Archäologien Europas, S. 133–146.
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Mante, G. (2005). Jenseits des Nationalen? Historisierungen und Europa-Bilder in der archäologischen Öffentlichkeitsarbeit gestern und heute. In: Loth, W. (eds) Europäische Gesellschaft. Forschung Politik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80788-5_3
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