Zusammenfassung
Eine Thematisierung des Fragehorizonts „Integration durch Verfassung?“ sollte mit einer Klärung der verwendeten Integrations- und Verfassungsbegriffe beginnen und den raumzeitlichen Kontext ihrer jeweiligen Wirklichkeitsbezüge benennen: Im folgenden geht es kontextuell ausschließlich um den Geltungsbereich jener Weimarer Reichsverfassung (WRV), die am 31. Juli 1919 in dritter Lesung von der am 19. Januar gewählten Konstituierenden Nationalversammlung beschlossen und am 11. August durch Unterschrift des Reichspräsidenten Ebert in Kraft gesetzt wurde. Damit sollen aber nicht Verfassungsverständnisse außer Betracht bleiben, die sich von einer Auslegung der Staatsrechtsnormen gemäß rekonstruierbaren Ursprungsintentionen des beschlussfassenden Kreationsorgans mehr oder minder weit entfernt haben. Bezogen auf die einschlägig heranzuziehende Weimarer Staatsrechtsdebatte (im weiteren Sinne) wird vielmehr eine jeweils dreigliedrige Typologie der Verfassungs- und Integrationsbegriffe vorgeschlagen, um das Problemfeld abzustecken und die eingehender behandelten Autoren im Gesamtspektrum zu verorten (vgl. Tabelle 1).
Der ursprüngliche Vortragstext ist unter dem Veranstaltungstitel „Wie desintegrativ war die Weimarer Reichsverfassung?“ bereits erschienen (Lehnert 1999). Dortigem Befund folgend, dass nicht primär die Verfassungsnormen selbst desintegrativ angelegt waren, vielmehr sich deren staatsrechtliche Ausdeutung und insbesondere die machtpolitische Praxis desintegrativ (auch gegen Normintentionen) entwickelt haben, wird in diesem insofern neu konzipierten Beitrag mit umgekehrter Blickrichtung gefragt: Wer hat (neben Carl Schmitts bekannter These von den mangels Entscheidungsprofils unhaltbaren „dilatorischen Formelkompromissen“, die aber den weniger integrationstheoretisch angelegt Freund-Feind-Begriff des Politischen zur Grundlage hatten) interpretierend die Weimarer Verfassung zum Desintegrationsfaktor erklärt - und wer ist unter den Weimarer Staatsrechtsautoren für die spezifische Fragestellung „Integration durch Verfassung?“ am relativ einschlägigsten heranzuziehen?
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Bauer, Wolfram (1968): Wertrelativismus und Wertbestimmtheit im Kampf um die Weimarer Demokratie. Zur Politologie des Methodenstreits der Staatsreehtslehrer. Berlin: Duncker & Humblot
Castrucci, Emanuele (1984): Tra Organicismo e „Rechtsidee“: II pensiero giuridico di Erich Kaufmann. Mailand: Giuffrè
Friedrich, Manfred (1987): Erich Kaufmann. In: Der Staat 26. 231–249
Häberle, Peter (1962): Die Wesensgehaltgarantie des Artikel 19 Abs. 2 Grundgesetz. Zugleich ein Beitrag zum institutioneilen Verständnis der Grundrechte und zur Lehre vom Gesetzesvorbehalt. Karlsruhe: Müller
Hauriou, Maurice (1965): Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze. Hrsgg. von R. Schnur. Berlin: Duncker & Humblot
Heller, Hermann (1927): Die Souveränität. Ein Beitrag zur Theorie des Staats- und Völkerrechts. Berlin: de Gruyter
Jellinek, Walter (1920): Revolution und Reichsverfassung. Bericht über die Zeit vom 9. November 1918 bis 31. Dezember 1919. In: Jahrbuch des öffentlichen Rechtes der Gegenwart 9. 1–128
Kaufmann, Erich (1911): Das Wesen des Völkerrechts und die Clausula rebus sic stantibus. Eine rechtsphilosophische Studie zum Rechts-, Staats- und Vertragsbegriff. Tübingen: Siebeck
Kaufmann, Erich (1951): Grundtatsachen und Grundbegriffe der Demokratie. München: Isar-Verlag
Kaufmann, Erich (1960/ I): Gesammelte Schriften, Bd. 1: Autorität und Freiheit. Von der konstitutionellen Monarchie bis zur Bonner parlamentarischen Demokratie. Göttingen: Schwartz
Kaufmann, Erich (1960/ II): Gesammelte Schriften, Bd. 2: Der Staat in der Rechtsgemeinschaft der Völker. Vom ersten Weltkriege bis zum Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkriege. Göttingen: Schwartz
Kaufmann, Erich (1960/ III): Gesammelte Schriften, Bd. 3: Rechtsidee und Recht. Rechtsphilosophische und ideengeschichtliche Bemühungen aus fünf Jahrhunderten. Göttingen: Schwartz
Kelsen, Hans (1925): Allgemeine Staatslehre. Berlin: Springer
Kelsen, Hans (1930): Der Staat als Integration. Eine prinzipielle Auseinandersetzung. Wien: Springer
Lehnert, Detlef (1998): Verfassungsdemokratie als Bürgergenossenschaft. Politisches Denken, Öffentliches Recht und Geschichtsdeutungen bei Hugo Preuß. Baden-Baden: Nomos
Lehnert, Detlef (1999): Wie desintegrativ war die Weimarer Reichsverfassung? In: Kritische Justiz 32. 398–409
Lepsius, Oliver (1994): Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung. Methodenentwicklungen in der Weimarer Republik und ihr Verhältnis zur Ideologisierung der Rechtswissenschaft unter dem Nationalsozialismus. München: Beck
Lhotta, Roland (2000): Rudolf Smend und die Weimarer Demokratiediskussion. Integration als Philosophie des „Als-ob“. In: Gusy, Christoph (Hrsg.) (2000): Demokratisches Denken in der Weimarer Republik. Baden-Baden: Nomos. 286–325
Preuß, Hugo (1912): Anschütz’ Kommentar zur preußischen Verfassung. In: Preußische Jahrbücher 150. 473–483
Rennert, Klaus (1987): Die „geisteswissenschaftliche Richtung“ in der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik. Untersuchungen zu Erich Kaufmann, Günther Holstein und Rudolf Smend. Berlin: Duncker & Humblot
Schefold, Dian (1998): Geisteswissenschaften und Staatsrechtslehre zwischen Weimar und Bonn. In: Acham, K. u.a. (Hrsg.) (1998): Erkenntnisgewinne, Erkenntnisverluste. Kontinuitäten und Diskontinuitäten in den Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften zwischen den 20er und 50er Jahren. Stuttgart: Steiner. 567–599
Schmitt, Carl (1928): Verfassungslehre. München: Duncker & Humblot
Schmitt, Carl (1936): Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist. In: Deutsche Juristen-Zeitung 41, Heft 20. 1196ff.
Sinzheimer, Hugo (1938): Jüdische Klassiker der deutschen Rechtswissenschaft. Amsterdam: Hertzberger
Smend, Rudolf (1928): Verfassung und Verfassungsrecht. München: Duncker & Humblot
Smend, Rudolf (1950): Zu Erich Kaufmanns wissenschaftlichem Werk. In: Um Recht und Gerechtigkeit. Festgabe für Erich Kaufmann zu seinem 70. Geburtstage. Stuttgart: Kohlhammer. 391–400
Smend, Rudolf (19682): Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze. Berlin: Duncker & Humblot
Vollrath, Ernst (1990): Deutschland als Verfassungsdemokratie. In: Liberal 32. 68–77
Wendenburg, Helge (1984): Die Debatte um die Verfassungsgerichtsbarkeit und den Methodenstreit der Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik. Göttingen: Schwartz
Wiegandt, Manfred H. (1995): Norm und Wirklichkeit. Gerhard Leibholz (1901–1982). Baden-Baden: Nomos
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2002 Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Lehnert, D. (2002). Desintegration durch Verfassung?. In: Vorländer, H. (eds) Integration durch Verfassung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80409-9_9
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-80409-9_9
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-13741-4
Online ISBN: 978-3-322-80409-9
eBook Packages: Springer Book Archive