Zusammenfassung
Herkunft und Entwicklungsgeschichte beider Begriffe sind unterschiedlich. Sie haben sich jedoch im Zuge ihrer sozialwissenschaftlichen Verwendung einander angenähert und weisen heute zentrale gemeinsame Dimensionen auf, so daß es gerechtfertigt erscheint, sie im Rahmen eines Stichworts gemeinsam zu behandeln. Grob gesagt bezieht sich der Begriff Anomie (A.) auf Zustände gesellschaftlicher Normenlosigkeit und mangelnder sozialer Ordnung, wie auch auf die — als problematisch vorausgesetzte — subjektive Befindlichkeit von Individuen unter solchen Bedingungen. Der Begriff Entfremdung (E.) zielt demgegenüber auf Diskrepanzen zwischen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und individuellen Wünschen, Werten, Bedürfnissen, oder Erwartungen, sowie auf hiermit zusammenhängende subjektive Befindlichkeitsfolgen. Die Überschneidungszone der beiden Begriffe ist dementsprechend in der Beschreibung negativer subjektiver Erlebnis- und Erfahrungssachverhalte, wie auch pathogener psychischer Problemlagen zu suchen, deren Kausalität in gesellschaftlichen Verursachungsfeldern verortbar ist. Innerhalb dieser Überschneidungszone erscheint eine Trennung der beiden Begriffe wenig sinnvoll, da die Phänomene, um die es geht (Angst, Isolation, Deprivation, Streß, Depression, Gefühle der Ohnmacht und Sinnlosigkeit, Orientierungslosigkeit, Frustration, Aggressivität, abweichendes Verhalten, Kriminalität) in der Literatur der beteiligten Disziplinen (Soziologie, Politische Wissenschaft, Sozialpsychologie) meist ohne deutlich erkennbare Schwerpunktbildung wahlweise den beiden Begriffen zugeordnet werden.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Basler, Heinz-Dieter 1977: Untersuchungen zur Validität der Anomie-Skala von Srole, in: KZfSS 29, S. 335–342.
Claessens, Dieter 1980: Das Konkrete und das Abstrakte, Frankfurt a.M.
Feuer, Lewis 1963: What is Alienation?, in: Stein, Maurice/Vidich, Arthur J. (Hrsg.): Sociology on Trial, Englewood Cliffs, S. 127–147.
Johnson, Frank 1973: Alienation, New York.
Klages, Helmut 1969: Geschichte der Soziologie, München.
Klages, Helmut 1975: Die unruhige Gesellschaft, München.
Ludz, Peter C. 1975: „Alienation“als Konzept der Sozialwissenschaften, in: KZfSS 27, S. 1–32.
Merton, Robert K. 1964: Social Structure and Anomie, in: Merton, Robert K. (Hrsg.): Social Theory and Social Structure, London, 4. Aufl., S. 132–160.
Mitchell Jr., Richard G. 1983: Mountain Experience. The Psychology and Sociology of Adventure, Chicago.
Scott, Marvin B. 1965: The Social Sources of Alienation, in: Horowitz, Irving L. (Hrsg.): The New Sociology, New York, S. 239–252.
Seeman, Melvin 1959: On the Meaning of Alienation, in: American Sociological Review 24, S. 783–791.
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2002 Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Klages, H. (2002). Anomie/Entfremdung. In: Greiffenhagen, M., Greiffenhagen, S., Neller, K. (eds) Handwörterbuch zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80358-0_1
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-80358-0_1
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-322-80359-7
Online ISBN: 978-3-322-80358-0
eBook Packages: Springer Book Archive