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Es gibt juristische Evolutionstheorien

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Gerechtigkeit als Zufall
  • 468 Accesses

Auszug

Evolution ist blind, aber nicht unbeobachtet. „Evolution ist nicht nur eine Idee, eine Theorie oder eine Vorstellung, sondern der Name für einen natürlichen Vorgang“, merkt dazu Ernst Mayr an. Es ist klar was er meint: Evolutionstheoretiker phantasieren nicht, sie meinen es ernst. Uns interessieren hier zwei Stellen in dem programmatischen Satz, das „nicht nur“ und der „Name“. Die Evolutionstheorie ist also auch eine Idee, Vorstellung und Theorie. Und sie trägt einen Eigennamen, der zum symbolisch variablen Bestand der Wissenschaft gehört. Kein Wunder, dass es inzwischen programmatisch alternative Buchtitel gibt wie „Kulturgeschichte der Evolutionstheorie“ oder „Darwinism Evolving“, zwischen denen der Leser auswählen muss und die zur Variation, Selektion und Retention des Darwinismus im Wissenschaftsbetrieb und/oder zu seiner Tradition beitragen. Über diese Alternativen ist der Begriff der Evolution reflexiv geworden, d.h. er hat seine dialektische Initiation erfahren. Er wird auf sich selbst angewendet und mit dem Nichts konfrontiert; seine Reflexivität ist eine evolutionäre Errungenschaft, die die Evolution in Frage stellt. Der amerikanische Jurist Donald Elliot spricht etwa von der evolutionary Tradition und man kann als Leser gar nicht sagen, ob das tau-tologisch oder widersprüchlich ist

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Literatur

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  22. Für beide Zitate Luhmann (Fn. 63), 268.

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  24. Vgl. zu Mayr und Wieacker Fn. 28.

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  25. Wieacker (Fn. 28), 26 ff.

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  26. Lampe (Fn. 31), 29 hingegen meint die „im Bewusstsein lokalisierten neuronischen Informationen über das Sollen aller Individuen“. Die Systemtheorie würde wiederum Informationen nicht lokalisieren.

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  27. Vertiefungsempfehlung: Luhmann (Fn. 63), 239–296.

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  28. Vesting (Fn. 20), Rnd. 261.

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  29. Amstutz sieht den Fortschritt der Theorie präziser darin, dass schließlich das Recht nicht mehr allein als von rechts externen Kräften (Variation, Selektion) gesteuert angesehen wurde, sondern dass schließlich die interne Dynamik des Rechts (Retention) als Evolution eines juristischen Propriums angesehen wurde. Amstutz, Rechtsgeschichte als Evolutionstheorie, RG 1 (2002), 26–31.

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(2007). Es gibt juristische Evolutionstheorien. In: Gerechtigkeit als Zufall. TRACE Transmission in Rhetorics, Arts and Cultural Evolution. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-211-71689-2_4

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