Auszug
Kritik ist mehr als Technik und Handwerk und auch mehr als Wissenschaft. Diese Intuition bewegt die Programmformel von der »Ästhetik der Kritik«. Es gibt nicht nur einen lack of moral sense, sondern auch einen schlichten lack of sense wie einen lack of sensibility im >Geschäft der Kritik<. Denn wäre Kritik nur Technik und Wissenschaft, ließe sie sich — im imaginären Grenzfall — auch am Fließband betreiben oder an Maschinen delegieren. Wäre das nicht der von manchem Wissenschaftspolitiker erträumte Idealfall, die Professionalisierung der Kritik als ihre Technisierung, am besten computergesteuert? Das würde die Erwartungssicherheit gewiss drastisch erhöhen; die Ästhetik der Kritik hingegen bliebe auf der Strecke. Im wissenschaftlichen Kontext mag >Kritik< bereits so betrieben werden, wenn entsprechende Schulphilosophien das Handwerkszeug dazu bereitstellen. Als wären mit der (verschult verkürzten Rezeption der) Kantischen Kritik, mit der >kritischen< Sprachanalyse und mit den Methoden der historischen Kritik die ewigen Regeln gefunden, mit denen man für alle Zeit recht gerüstet wäre für alle Aufgaben der Kritik. Im Sinne Kants erschienen solche Erwartungen wohl als unkritischer Überschwang im Namen der Kritik.
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Literatur
— Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik (1838), hg. von Manfred Frank, Frankfurt am Main 1977, S. 285 f. (zit. als HuK).
— Ludwig Wittgenstein, »Vermischte Bemerkungen«, in: ders., Über Gewissheit, Frank furt am Main 1984 (= Werkausgabe 8), S. 445–573, hier: S. 563.
— Vermischte Bemerkungen«, in: ders., Über Gewissheit, 1984 Ebd.,S. 485.
— Hans Blumenberg, »Nachdenklichkeit», in: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Jahrbuch 1980, S. 57–61; vgl. Vf., Metapher und Lebenswelt: Hans Blumenbergs Metaphorologie als Lebenswelthermeneutik und ihr religionsphänomenologischer Horizont, Tübingen 2000, S. 325 ff.
— Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Brouillon zur Ethik (1805/06), hg. von H.-J. Birkner, Hamburg 1981, S. 108.
— »Seinesgleichen geschieht« lautet Robert Musils Formel für die merkwürdige Entdifferenzierung von Personen, Handlungen, Daten und Dingen in der modernen Gesellschaft (vgl. Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Reinbek bei Hamburg, 1. Buch, 2. Teil).
— Ludwig Wittgenstein, »Philosophische Untersuchungen« (1945–1949), in: ders., Tractatus logico-philosophicus, Frankfurt am Main 1984 (= Werkausgabe 1), S. 225–580, hier: S. 277.
— Vgl. Italo Calvino, Der Baron auf den Bäumen (1957), München 1984.
— Jacques Derrida, Die Wahrheit in der Malerei (1978), Wien 1992, S. 23.
— Ebd., S. 301 ff. (gegen Heidegger).
— Wittgenstein (wie Anm. 09), S. 561.
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Stoellger, P. (2007). »Vorübungen zur kritischen Virtuosität« im Anschluss an F.D.E. Schleiermachers Kritik. In: Huber, J., Stoellger, P., Ziemer, G., Zumsteg, S. (eds) Ästhetik der Kritik oder Verdeckte Ermittlung. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-211-70899-6_13
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