Zusammenfassung
In einer Abhandlung von 1783 lässt Lichtenberg das 18.Jahrhundert — etwas voreilig — Inventur machen und all das historisch Bedeutsame zusammenstellen, was es dem folgenden Jahrhundert zu übergeben gedenkt. Es sagt: «Ich habe Peter den Ersten gesehen und Katharina und Friedrich und Joseph und Leibniz und Newton und Euler und Winckelmann und Mengs und Harrison und Cook und Garrick1.» Es mag verwundem, dass der Maler Mengs, der Uhrmacher Harrison und der Schauspieler Garrick für kulturgeschichtlich bemerkenswert gehalten werden, aber noch auffälliger ist, dass so bedeutende Philosophen wie Locke, Hume, Wolff und Kant, der allerdings noch kaum gewirkt hatte, ungenannt bleiben. Dadurch wird klar, dass hier die Philosophie ganz unberucksichtigt blieb und auch Leibniz, Newton und Euler nur als Wissenschaftler erwähnt wurden, obwohl man das 18.Jahrhundert auch das «philosophische» genannt hat2. Eulers überragende Stellung im 18.Jahrhundert kommt ihm jedenfalls nicht primär als Philosoph zu. Er war nur nebenbei philosophisch tätig, hielt sich auch selbst nicht für einen Philosophen, weil er die sogenannten Philosophen viel zu sehr verachtete, und er wurde auch von seinen Zeitgenossen kaum als Philosoph angesehen oder akzeptiert3. Mag vielleicht jede Philosophie in irgendeiner Weise Antwort und Reaktion auf vorangegangene Philosophie sein, Eulers Philosophieren ist in ganz besonderem Masse stets Auseinandersetzung mit der Philosophie anderer Denker. Es gibt keine eigene «Eulersche» Fragestellung in der Philosophie, kein Problem, das ihn unmittelbar umtreibt oder gar quält, sondern nur ein gleichsam extemes Motiv, sich mit den Philosophen und ihren Irrlehren zu befassen.
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Anmerkungen
Vermischte Gedanken aber die aerostatischen Maschinen, in: G. Chr. Lichtenberg, Gesammelte Werke, hrsg. v. W. Grenzmann, Bd.2, Baden-Baden o.J., p. 349.
Andreas Speiser, Leonhard Euler und die deutsche Philosophie, Zürich 1934, p.3.
Otto Spiess, Leonhard Euler, Frauenfeld, Leipzig 1929, p. 120.
Speiser,loc.cit. (Anm.2), p.9.
Günter Kröber (ed.), Leonhard Euler, Briefe an eine deutsche Prinzessin, Leipzig 1965, (Auswahl), p. 13 f.
O.IV A, 1, R.2820.
Cf. J. Chr. Schwab, Welches sind die wirklichen Fortschritte..., Preisschriften über die Frage: Welche Fortschritte hat die Metaphysik..., Berlin 1796, Nachdr. Darmstadt 1971, p.19f.
O. III, 2, p. XI.
Johann Heinrich Gottlob Justi, Nichtigkeit aller Einwarfe und unhOflichen Anfälle..., Frankfurt, Leipzig 1748, p.5.
Loc. cit. (Anm. 8), p.XI.
Schwab, loco cit. (Anm. 7), p.26.
E.92/O.III, 12, p.267ff.
Ibidem, §§40–42.
Spiess, loco cit. (Anm.3).
Ernst Mach, Die Mechanik, 9. Aufl., Leipzig 1933, Nachdr. Darmstadt 1963, p.433.
A. Speiser in O. III, 11, p. XXIV; A. P. Juškevič, Euler und Lagrange über die Grundlagen der Analysis (BV Sammelband Schroder, 1959, p.228); E.A. Fellmann, Leonhard Euler, Kindlers Enzyklopädie Die Grossen der Weltgeschichte, Zürich 1975, p.518.
Martin Knutzen, Systema causarum efficientium, Editio altera, Lipsiae 1745, p.72: «... cum Berckeleio ceteraque Idealistarum, Egoistarum et Pluralistarum cohorte... » Jean Deschamps, Cours abrégé de la philosophie Wolffienne, tome II, Amsterdam, Leipzig 1747, p. 22: «... le célèbre George Berkeley...»
Z. B. im 68. Brief an eine deutsche Prinzessin, O. III, 11, p. 147.
Z. B. Diderot, Beattie, Lenin.
Brief 97.
Man vgl. Z. B. Deschamps, loco cit. (Anm. 17), tome I, 1743, p. 274, 315–317.
Brief 83.
Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, Vorrede zur 2. Aufl., zit. nach der 8. Aufl., Halle 1741.
Brief 84.
A 558/B 586.
Brief 84.
Brief 85.
Brief 89.
Brief 91.
Briefe 80 und 97.
Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, Kap. 15.
Loc. cit. (Anm. 1), Bd. I, p.433f.
De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis (1770), §§ 27 und 30, Anm. — Während Edmund Hoppe (Die Philosophie Leonhard Eulers, Gotha 1904, p.166) noch behaupten konnte, Eulers Name finde sich nicht bei Kant, kennt man heute (vor aHem durch H.E. Timerding, Kant und Euler, Kant-Studien 23, 1919, p.18–64) Kants Verhältnis zu Euler besser und auch die Stellen in Kants Werken und Briefen, an denen er Euler (immer zustimmend) erwähnt oder sich indirekt auf ihn bezieht. Inzwischen steht sogar der Begleitbrief von Kant an Euler zur Verfügung, den jener der Sendung seiner Schrift über «die wahre Schätzung der lebendigen Krafte» beigefügt hat [in Kröbers Ausgabe der Briefe an eine deutsche Prinzessin (cf. Anm. 5) p.195f.]. Eine ältere recht ausführliche Darstellung der Philosophie Eulers findet sich in: Ernst Cassirer, Das Erkenntnisproblem, 3.AufL 1922, Nachdr. Darmstadt 1971, Bd.II, p.472–485, 501–505.
Als Beispiel dafür, dass solche Fragen tatsächlich diskutiert wurden: Albertus Magnus, Ausgewählte Texte, hrsg. v. A. Fries, Darmstadt 1981, p.36.
Euler behauptet, dass sich der «täusche» (tromperoit), der leugnet, dass wir Vorstellungen allein durch die «Refiexion» gewinnen können, und Kant sagt dementsprechend, der Leibnizsche Raumbegriff sei aus einer «Täuschung der transzendentalen Refiexion» entsprungen (Kritik der rein en Vernunft, A 275/B 331; cf. auch A 26/B 42).
Briefe 71 und 72.
Einen ähnlichen Gedanken trägt Berkeley in De motu, § 58, vor, urn die Relativität jeder Bewegung zu beweisen. Dabei nimmt er zwar auch die Existenz eines einzigen Körpers an, macht aber nicht gleichzeitig die Annahme, dass er ruhe.
Spiess, loco cit. (Anm. 3), p. 7 f.
Timerding, loco cit. (Anm.33), p.18f.
Fellmann, loco cit. (Anm. 16), p.519.
A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, Buch 2, § 25.
Fellmann, loco cit. (Anm. 16), p.519.
Spiess, loco cit. (Anm. 3), p. 120.
Kröber, loco cit. (Anm. 5), p. 22.
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Breidert, W. (1983). Leonhard Euler und die Philosophie. In: Leonhard Euler 1707–1783. Birkhäuser Basel. https://doi.org/10.1007/978-3-0348-9350-3_25
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-0348-9350-3_25
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