Zusammenfassung
Im Rahmen einer wissenschaftlichen Theorie trifft, etwas überspitzt formuliert, Phantasie auf Wirklichkeit. Anders ausgedrückt: Im Erkenntnisprozeß verbindet sich die Innenwelt des Menschen mit seiner Außenwelt. Wissenschaft stellt den Versuch des Menschen dar, die ihn umgebende Welt einer kausalen Erklärung zu unterwerfen. Das wissenschaftliche Ideal, das nach sogenannt objektiver Erkenntnis strebt, müßte davon ausgehen, daß bei der Bildung wissenschaftlicher Theorien allein von den Daten der Außenwelt ausgegangen würde, die der Mensch durch seine Sinnesorgane zu gewinnen in der Lage wäre. Untersucht man die Struktur wissenschaftlicher Theorien etwas genauer, so ergibt sich, daß das Wesen der Theorie darin liegt, Wahrnehmungsdaten der Außenwelt mittels einer Gedankenkonstruktion, einer Idee, in einen kausalen Zusammenhang zu stellen. Der Wahrnehmung der Außenwelt allein liegt eine chaotische Vielfalt von Sinneseindrücken zugrunde. Ordnung und Sinn ergeben sich erst durch den Akt menschlicher Unterscheidung dieser Sinneseindrücke und deren denkerischer Integration. Menschliches Denken, menschliche Ideen greifen in die Bilder der Außenwelt ein, ordnen diese und bringen sie so in einen sinnvollen Zusammenhang. Eine wissenschaftliche Theorie ergibt sich nicht alleine durch die Anschauung der «Welt außen», sondern vielmehr aus einer Verschränkung der «Welt innen» des Menschen mit dessen Außenwelt. Die Verschränkung des Innen und Außen führt zur Erkenntnis, die über die simple Kenntnis von Daten und Fakten der Außenwelt hinausgeht. Demzufolge kann aber Erkenntnis nie objektiv sein im Sinne einer idealen Wissenschaft, sondern sie ist stets ein Stück weit subjektiv, gefärbt durch die Determinanten der «Welt innen». Die wissenschaftliche Theorie spiegelt nicht nur Aspekte der «Welt außen», in ihr spiegelt sich auch der Mensch selbst. Aufgrund dieser Sicht der Dinge läßt sich der Rahmen der Wissenschaft erheblich erweitern, denn diese bezieht sich damit nicht mehr nur auf die «Welt außen», sondern sie wird zugleich zu einem Wege der Selbsterkenntnis. Dieser Sachverhalt soll an einem Beispiel aufgezeigt werden, und zwar am Beispiel wissenschaftlicher Theorien über den Ursprung der Schlangen.
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Rieppel, O. (1984). Die Struktur wissenschaftlicher Theorien — der Ursprung der Schlangen. In: Auf Grenzpfaden der Biologie. Offene Wissenschaft. Birkhäuser, Basel. https://doi.org/10.1007/978-3-0348-6739-9_4
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