Zusammenfassung
Die Welt, die uns umgibt, besteht für uns vor allem aus der Welt, die wir sehen. Diese erscheint uns so real, daß uns gar nicht bewußt ist, wie sehr sie in Wirklichkeit das Ergebnis einer sehr komplexen Leistung unseres Gehirns darstellt — eines so vielschichtigen Vorgangs, der sogar modernen Forschern wie ein Wunder vorkommt. Gewiß, Sehen beginnt im Auge, auf die Netzhaut fallen Bilder, klein und auf den Kopf gestellt, ganz wie in einem Fotoapparat. Doch dies ist nur der Anfang einer ganzen Kette von Ereignissen, die einen Großteil unseres Gehirns mit einbeziehen und an deren Ende wunderbarerweise die Bilder stehen, die wir sehen. Schon Plinius war in seiner Naturalis Historia der Meinung, daß wir nicht wirklich mit den Augen sehen, sondern mit dem Geist. Sehen ist das Ergebnis einer Übertragung der äußeren, physisch existenten Welt in unsere eigene Welt der Wahrnehmung, in der unser bisheriges Wissen, unsere Erfahrungen und sogar unsere Gemütsverfassung wichtige Rollen spielen. Einerseits trägt also die bereits in unserem Gedächtnis gespeicherte Information aktiv zum Sehen bei, andererseits ist Sehen natürlich auch ein Mittel zur Erkenntnis, zur Bereicherung unserer Gedankenwelt. Es ist vielleicht kein Zufall, daß das griechische Wort óida eine Vergangenheitsform des Verbs eidéin (sehen), bedeutet „ich weiß“, und daß in dem Wort Idee (éidos) die Wurzel -id- des Verbs eidéin (sehen) steckt.
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Literatur
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Maffei, L., Fiorentini, A. (1997). Das Wunder des Sehens. In: Das Bild im Kopf. Birkhäuser, Basel. https://doi.org/10.1007/978-3-0348-6098-7_1
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