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Die Scham wohnt in den Augen: Analyse der Kultur der sozialen Medien aus der Sicht des Aristoteles

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Scham 4.0
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Zusammenfassung

Soziale Medien sind ein Medium, um zu sehen, zu zeigen und gesehen zu werden. Scham ist ein Gefühl, das jemand unter den Augen einer anderen Person empfindet. 4IR-Technologien erleichtern diese Emotion und vervielfachen die Auswirkungen von Scham, da Nutzer*innen sozialer Medien potenziell mit Millionen von Zeug*innen in Kontakt stehen können. Wie Aristoteles sagt, „wohnt die Scham in den Augen“ (Rhet 1384a 18). Die Autorin untersucht, wie Aristoteles die Scham in der Rhetorik und der Nikomachischen Ethik konzeptualisiert und welche Bedeutung er den Augen beimisst. Sie analysiert seinen Gebrauch der Wörter aiskhyne und aidos und zeigt wie sie sich auf die Scham in den sozialen Medien beziehen. Obwohl die griechischen Wörter nicht genau mit dem englischen Wort shame [oder dem deutschen Wort Scham] übereinstimmen, sind sie in soziale Bindungen eingebettet und weisen eine oppositionelle Struktur auf, die nützliche Koordinaten für die Untersuchung der verschiedenen Merkmale von Scham in sozialen Medien liefert. Aristoteles’ aiskhyne oszilliert zwischen schmerzhaften, auf sich selbst bezogenen Gefühlen, die mit öffentlicher Demütigung einhergehen, und der Möglichkeit, über das eigene Handeln nachzudenken. Aidos bezeichnet die Angst vor Schande bei gleichzeitiger Anpassung unseres Verhaltens an soziale Normen. Das semiotische Quadrat dient dazu, Aristoteles’ Theorie der Scham entsprechend den semantischen Beziehungen der Opposition und der Implikation abzubilden. Das Quadrat zeigt, wie die verschiedenen Bedeutungen von Scham miteinander verknüpft sind. Es wird argumentiert, dass die griechischen Begriffe ein Paradigma bieten, das für die Analyse von Schamsituationen in der Kultur der sozialen Medien genutzt werden kann. Es werden Fälle von Scham in den sozialen Medien erörtert, die zeigen, wie Scham durch die Augen – unsere eigenen und die der anderen – in unser soziales Selbst eindringt und wie sie sich auf unser Wohlbefinden auswirkt.

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Notes

  1. 1.

    Siehe Cairns (1993, S. 14), der sagt, dass aidos keine Scham ist. Im Gegensatz dazu führen Liddell und Scott (2007) Scham als Referent für aidos und aideomai (Gefühl der Scham) auf.

  2. 2.

    Platon (Gesetze, 1.646e4–647b7) bringt die Scham mit zwei Arten von Furcht in Verbindung: (1) Respekt oder Ehrfurcht (aidos) und (2) Furcht vor Schande oder Verachtung (aiskhyne). Euripides (Hyppolitus, 383–7) unterscheidet zwischen zwei Arten von aidos: Bescheidenheit oder ein inneres Gefühl der Scham und Respekt vor der gesellschaftlichen Anerkennung. Aristoteles definiert aidos als „eine Art Furcht vor Schande“ (Nic. Eth. 4.9.1128b12).

  3. 3.

    Cairns (1993, S. 2, 13, 14), Liddell und Scott (2007).

  4. 4.

    Aristoteles analysiert die Emotionen „unter drei Gesichtspunkten. […] wenn wir zum Beispiel vom Zorn sprechen, untersuchen wir (1) den Geisteszustand der zornigen Menschen, (2) auf wen sie zornig sind und (3) aus welchen Gründen sie zornig werden“ (Rhet 1378a 25–26). Wurmser (2015, S. 96) hat Aristoteles’ Unterteilung der Scham in psychoanalytische Begriffe umgewandelt: einen objektiven Pol (wofür wir uns schämen), einen subjektiven Pol (vor wem wir uns schämen) und den Schamaffekt (unseren Geisteszustand).

  5. 5.

    Eine ähnliche Unterscheidung findet sich in der bulgarischen Konzeptualisierung von Scham: svyan (Bescheidenheit, Schamhaftigkeit), sram (ein schmerzhaftes, auf das Selbst gerichtetes Gefühl) und pozor (Schande). Pozor ist eine Kombination aus Scham und Anblick, abgeleitet vom slawischen Wort zrak (Blick, Ansicht, Anblick, Vision).

  6. 6.

    Cairns (1993, S. 2) definiert aidos als „eine hemmende Emotion, die auf der Sensibilität und dem Schutz des eigenen Selbstbildes beruht“. Von Erffa (1937) unterscheidet zwischen einem positiven und einem negativen Gefühl von aidos.

  7. 7.

    Wurmser (2019, S. 157) untersucht die psychologische Beziehung zwischen Scham und dem bösen Blick und dem archaischen Bedürfnis, sich vor ihm zu schützen. Wenn ein Subjekt den bösen Blick verinnerlicht, wird es sich selbst verurteilen und bestrafen. Doch das Auge hat auch eine ehrfurchtgebietende göttliche Kraft, die in Segnungen eingesetzt wird.

  8. 8.

    Siehe Kasabova (2017).

  9. 9.

    Siehe von Erffa (1937, S. 9, 131, 156).

  10. 10.

    Burnyeat (1980, S. 73) nennt Aristoteles’ aidos bekanntlich „eine Halb-Tugend des Lernenden“.

  11. 11.

    In der Eudämonischen Ethik definiert Aristoteles aidos als die goldene Mitte zwischen Frechheit und Schüchternheit (Eud. Eth. 3.7.28).

  12. 12.

    Siehe Coakley (2014).

  13. 13.

    Siehe Kasabova (2017).

  14. 14.

    https://etudiant.lefigaro.fr/article/victime-de-harcelement-scolaire-une-eleve-de-sixieme-se-suicide-dans-sa-chambre_d52f12e2-9724-11e9-bf4f-065c3bd6e928/.

  15. 15.

    https://www.bbc.co.uk/news/world-africa-49661658.

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Kasabova, A. (2024). Die Scham wohnt in den Augen: Analyse der Kultur der sozialen Medien aus der Sicht des Aristoteles. In: Mayer, CH., Vanderheiden, E., Wong (emeritiert), P.T.P. (eds) Scham 4.0. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-031-52011-2_17

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-031-52011-2_17

  • Published:

  • Publisher Name: Springer, Cham

  • Print ISBN: 978-3-031-52010-5

  • Online ISBN: 978-3-031-52011-2

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