Zusammenfassung
Die geometrischen Gegenstände waren für die Ägypter, Babylonier und auch für die Griechen in vorpythagoräischer Zeit die gezeichneten geraden Linien und Kreise, ihre Schnittpunkte und die von den gezeichneten Linien einge-schlossenen Flächen. In der Astronomie betrachtete man auch Punkte, Linien und Flächen, die man sich in das Himmelsgewölbe eingezeichnet dachte. Von den gezeichneten und den gedachten Linien beachtete man nicht die Breite; man ging aber nicht soweit anzunehmen, daß sie überhaupt keine Breite hätten. Auch von den Punkten nahm man nicht an, daß sie ausdehnungslos wären – sie wären andernfalls auch gar nicht wahrnehmbar gewesen.
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Notes
- 1.
Aristoteles schrieb im 5. Buch seiner ‚Metaphysik‘ (1014a37-1014b3), daß die Beweise, die als Bestandteile in anderen Beweisen wiederkehren, „Elemente der Beweise“ genannt wurden. Das mag den Titel von Euklids Buch erklären.
- 2.
Im griechischen Text wird das Wort ἐκβαλεῖν (verlängern, herauswerfen, in die Ferne werfen) verwendet. Es ist bemerkenswert, daß in manchen frühen lateinischen Übersetzungen das zweite Postulat mit dem Zusatz „quantumlibet protrahere“ (so in der Übersetzung, Version 2, die Adelhard von Bath um 1120 aus dem Arabischen anfertigte), oder „quantumlibet protrahatur“ (so in der auf Boethius zurückgehenden Lüneburger Handschrift aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts) formuliert wird – vergl. dazu M. Folkerts , op. cit. Dieser Zusatz findet sich jedoch nicht im Kommentar von Proklos (op. cit., S. 296) und auch nicht in der lateinischen Übersetzung, die um 1160 in Palermo direkt aus einer griechischen Handschrift aus Byzanz gemacht wurde – vergl. dazu H.L.L. Busard, op. cit., S. 28.
- 3.
Profari heißt im Lateinischen „herausreden, vorhersagen, weissagen“ und proloqui „aussprechen, verkünden, weissagend verkünden“. Pronunciare heißt „verkünden, proklamieren, ausrufen, ansagen, ankündigen“.
- 4.
Die von Clemens Thaer in seiner Edition der ‚Elemente‘ Euklids (Wissenschaftl. Buchges., Darmstadt 1962) vorgeschlagenen Übersetzungen des zweiten und des dritten Postulats sind etwas ungenau. Euklid will im 2. Postulat nicht fordern, daß man vorgegebene Strecken „irgendwie“ ein wenig verlängern kann, sondern daß man sie über jedes Maß hinaus (also „indefinit“) verlängern kann. Im 3. Postulat soll nicht gefordert werden, daß man um jeden Punkt A mit jeder Strecke BC als Radius den Kreis schlagen kann, sondern nur um jeden Punkt A mit allen Strecken AB. Die Übersetzung von diastêma (διάστημα) mit „Abstand“ ist ungeschickt.
Literatur
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Felgner, U. (2020). Die Euklid’sche Axiomatik. In: Philosophie der Mathematik in der Antike und in der Neuzeit. Birkhäuser, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-030-35934-8_4
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Publisher Name: Birkhäuser, Cham
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