FormalPara Zusammenfassung

Die Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz ist gekennzeichnet durch hohe Behandlungsintensität und häufige Wechsel zwischen den Leistungssektoren. Dies macht ein hohes Maß an Abstimmung und Kommunikation zwischen den Leistungserbringern der beteiligten Versorgungsebenen erforderlich. Dieser Beitrag geht der Frage nach, inwieweit das deutsche Gesundheitssystem Strukturen bereithält, die eine nahtlose Versorgung von Herzinsuffizienzpatienten unterstützen.

Als Ausgangspunkt der Betrachtungen diente eine Routinedatenanalyse auf der Grundlage bundesweiter Abrechnungsdaten von über 26 Mio. AOK-Versicherten aus den Jahren 2018–2019. Der Fokus lag auf zentralen Charakteristika der Herzinsuffizienz-Population und der Versorgungsprozesse sowie wichtigen Schnittstellen der Versorgung. Erwartungsgemäß fanden sich unter den Herzinsuffizienz-Patienten viele ältere und pflegebedürftige Menschen. Die Komorbiditätslast und Polypharmaziequote waren hoch. Dies spiegelte sich in einem hohen Betreuungsbedarf mit vielen Arztkontakten und Krankenhausaufenthalten wider.

Studiendaten weisen auf Versorgungsdefizite hinsichtlich einer frühen und validen Diagnosestellung sowie der Langzeitbehandlung hin. Ungenügend implementierte Regelungen der Kooperation, fehlende Kommunikationsformate sowie Vergütungsstrukturen, die wenig Anreize für kooperative Versorgungsformen bieten, tragen dazu bei, dass das Zusammenspiel von Hausarzt und Kardiologe noch nicht optimal funktioniert. Ein optimaler Übergang vom Krankenhaus in die ambulante Weiterversorgung ist personal- und ressourcenintensiv und trotz sinnvoller gesetzgeberischer Vorgaben häufig nicht umgesetzt. Brüche bestehen zudem in Bezug auf die Anbindung des Patienten an das professionelle System.

Die hier vorgestellten Case-Management-Strategien enthalten verschiedene Komponenten, die geeignet sind, Schwachstellen in der bestehenden Versorgung zu kompensieren. Neben der Erfassung von Körperwarnsignalen scheinen insbesondere verbindliche Regelungen zur Kooperation, die Einbindung nicht-ärztlicher Fachkräfte sowie die Etablierung sektorübergreifender Kommunikationsformen essentiell, um eine nahtlose Versorgung von Herzinsuffizienz-Patienten zu gewährleisten. Eine wichtige Rolle spielt zudem das Vergütungssystem, das mit seiner sektoralen Trennung und dem Bezug auf einzelne Leistungserbringer nicht ausreichend Anreize für eine kooperative Versorgung setzt.

The care of patients with heart failure is characterised by high treatment intensity and frequent changes between service sectors. This requires a high degree of coordination and communication between the service providers of the levels of care involved. This article examines the question of the extent to which the German health care system provides structures that support seamless care for heart failure patients.

The starting point was a routine data analysis based on nationwide billing data of more than 26 million AOK-insurees for 2018–2019. The focus was on central characteristics of the heart failure population and the care processes as well as important interfaces of care. As expected, the heart failure patients included many elderly people and people in need of care. The comorbidity burden and polypharmacy rate were high. This was reflected in a high need for care with many contacts with physicians and hospital stays.

Study data point to care deficits with regard to early and valid diagnosis and long-term treatment. Due to inadequately implemented regulations on cooperation, a lack of communication formats and remuneration structures that offer little incentive for cooperative forms of care, the interaction between GP and cardiologist does not yet work optimally. An optimal transition from inpatient to outpatient care is personnel- and resource-intensive and, despite sensible legislative requirements, often not implemented. Fractures also exist with regard to the patient’s connection to the professional system.

The case management strategies presented here contain various components that are suitable for compensating for weaknesses in existing care. In addition to a recording of body warning signals, binding regulations on cooperation, the integration of non-physician professionals, and the establishment of cross-sectoral forms of communication seem particularly essential to ensure seamless care for heart failure patients. Another important factor is the remuneration system, which with its sectoral separation and reference to individual service providers does not provide sufficient incentives for cooperative care.

1 Einleitung und Gliederung des Beitrags

Die Versorgung von Menschen mit Herzinsuffizienz entwickelt sich vor dem Hintergrund des wachsenden Anteils älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung zu einer gesellschaftlichen Herausforderung. Zunehmende Möglichkeiten, das Leben herzkranker Menschen zu verlängern, gehen einher mit einer hohen Behandlungsintensität und häufigen Wechseln zwischen den Versorgungssektoren. Die Anforderungen an die Gesundheitskompetenz der Patienten, aber auch an das Wissen und die kommunikativen Fähigkeiten der in die Behandlung involvierten Ärzte steigen. Die Notwendigkeit einer funktionierenden Kooperation zwischen den Leistungserbringern der verschiedenen Versorgungsebenen wächst.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das deutsche Gesundheitssystem Strukturen bereithält, die diesen Anforderungen standhalten.

Herzinsuffizienz kann aufgrund seiner multiplen krankheitsbedingten Facetten, seiner zahlenmäßigen Häufigkeit und der weitreichenden Durchdringung aller Versorgungssegmente als Modellerkrankung dienen, um a) typische Nahtstellen in der intersektoralen Versorgung zu beschreiben, b) damit verbundene Probleme zu adressieren und c) Leitkonzepte für Chronic-Care-Versorgung zu beschreiben bzw. abzuleiten.

Nach einer kurzen Einführung in das Thema (Abschn. 7.2) werden in Abschn. 7.3 Datengrundlage und Methoden einer Routinedatenanalyse beschrieben, die mit dem Ziel einer Veranschaulichung wesentlicher Merkmale der Herzinsuffizienz-Population sowie des Versorgungsprozesses auf der Datenbasis von annähernd 26 Mio. AOK-Versicherten durchgeführt wurde. In Abschn. 7.4 werden die Ergebnisse und ihre Einbettung in den internationalen Forschungskontext dargestellt. Abschn. 7.5 adressiert zentrale Nahtstellen und Brüche im Versorgungsprozess herzinsuffizienter Patienten. In Abschn. 7.6 werden ausgewählte Ansätze zur Verbesserung der Versorgung vorgestellt. Aufbauend darauf werden in Abschn. 7.7 Bausteine einer „idealen Versorgung“ skizziert.

2 Syndrom Herzinsuffizienz als medizinische Herausforderung

Herzinsuffizienz ist eine syndromale Erkrankung: In Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Ätiologie und dem Schweregrad kann die strukturelle Herzerkrankung zur Beeinträchtigung praktisch aller Organsysteme führen (Ponikowski et al. 2016). Während die Herzinsuffizienz als „oligosymptomatisch“ betrachtet wird – mit den charakteristischen, aber unspezifischen Leitsymptomen Dyspnoe, Leistungsminderung, Erschöpfung und ggf. Symptomen der Flüssigkeitsretention –, ist ihre klinische Ausprägung multidimensional. Präzise Diagnostik und Klassifizierung des Syndroms Herzinsuffizienz sowie der Komorbiditäten bilden die Grundlage einer Vielzahl unterschiedlicher Therapieoptionen. Sie umfassen kausale Therapieansätze (KHK, Vitien, Arrhythmien), nichtmedikamentöse (Schulungen, körperliches Training, Modifikation des Lebensstils), prognose- und symptomverbessernde medikamentöse Therapie sowie apparative und operative Maßnahmen.

Die aktuellen Leitlinien teilen die Herzinsuffizienz anhand der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) in drei Gruppen ein, die epidemiologisch auch etwa gleich groß bzw. bedeutsam sind. Der Gruppe mit LVEF < 40 % (Heart Failure with reduced Ejection Fraction = HFrEF) kommt eine zentrale Bedeutung zu, da hier die beste Evidenz für eine an den Schweregrad (NYHA-Stadium) angepasste Therapie besteht. Evidenzbasierte, jedoch komplexe Algorithmen regeln die sinnvoll kombinierte Zusammensetzung dieser Elemente. Im Fokus stehen hierbei Pharmakotherapie sowie Implantation sog. Devices (z. B. Defibrillator oder resynchronisierender Herzinsuffizienz-Schrittmacher). Neben einer einwandfreien Indikationsstellung sind multiple Kontraindikationen zu beachten, ebenso wie Aspekte der Polypharmazie sowie der Umstand, dass sowohl Pharmaka wie Devices einer iterativen Nachjustierung und Kontrolle bedürfen (Ponikowski et al. 2016). Die beiden anderen Gruppen beschreiben zum einen Patienten mit LVEF > 50 % (Heart Failure with preserved Ejection Fraction = HFpEF), für die bislang keine (isolierte) Pharmakotherapie Behandlungsvorteile zeigen konnte, sodass hier empfohlen wird, die jeweils im Vordergrund stehenden Begleiterkrankungen intensiv zu therapieren. Zum anderen existiert eine dritte Gruppe mit LVEF zwischen 40 und 50 % (Heart Failure with mid-range Ejection Fraction = HFmrEF), die noch unscharf charakterisiert ist und sowohl Patienten mit im Verlauf verbesserter wie auch verschlechterter Pumpfunktion umfasst. Aus Sicht der Leitlinien eindeutig und bereits langjährig mit der höchsten Evidenzklasse versehen ist jedoch die Auffassung, dass aufgrund des syndromalen Charakters des Krankheitsbildes alle Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz in ein strukturiertes Versorgungskonzept eingebunden werden sollten (Ponikowski et al. 2016; BÄK et al. 2019).

Damit ist die evidenz- und zugleich patientenorientierte Versorgung zum einen medizinisch komplex und aufwändig, da die detaillierten Empfehlungen der Leitlinien eine vertiefte differenzialdiagnostische und -therapeutische Auseinandersetzung mit dem Einzelfall, Umgang mit Ko- bzw. Multimorbidität, wiederholte Therapieanpassungen im mittelfristigen Verlauf und klinische, technische und laborchemische Kontrollen erfordern. Zum anderen sind bei der Wahl der Behandlung mit dem Patienten wiederholt die individuellen Therapieziele festzulegen, wobei idealerweise eine vorausschauende Kommunikation und Versorgungsplanung neben dem allgemeinen physischen Status auch psychosoziale Aspekte miteinbezieht.

3 Datengrundlage und Methoden

Zur Veranschaulichung wesentlicher Merkmale der Herzinsuffizienz-Population sowie des Versorgungsprozesses wurde eine Routinedatenanalyse auf Basis von rund 26 Mio. AOK-Versicherten (N = 26.503.928 im Jahr 2018) durchgeführt. Neben Versichertenstammdaten fanden hierbei ambulante Abrechnungsdaten nach § 295 SGB V, von den Apotheken übermittelte Arzneiverordnungsdaten gemäß § 300 SGB V sowie Daten zur Krankenhausbehandlung gemäß § 301 SGB V Verwendung. Für alle Analysen zu punktuellen Ereignissen (z. B. Charakteristika der Zielpopulation) wurden Daten aus dem Jahr 2018 zugrunde gelegt. Sofern zeitliche Zusammenhänge untersucht wurden (z. B. Arztkontakt nach Krankenhausaufenthalt) wurde – falls erforderlich – zusätzlich auf Daten aus dem Jahr 2019 zurückgegriffen. Die Zielpopulation (Versicherte mit Herzinsuffizienz) wurde über folgende Aufgreifkriterien selektiert:

  • mindestens 18 Jahre alt (Stichtag 31.12.2017)

  • im Jahr 2018 und 2019 durchgängig AOK-versichert (> 350 Tage je Jahr) und

  • mit für 2018 ambulant gesicherter (M2Q-Kriterium) oder stationärer Hauptdiagnose:

    I50

    Herzinsuffizienz

    I11.0

    Hypertensive Herzkrankheit mit (kongestiver) Herzinsuffizienz

    I13.0

    Hypertensive Herz- und Nierenkrankheit mit (kongestiver) Herzinsuffizienz

    I13.2

    Hypertensive Herz- und Nierenkrankheit mit (kongestiver) Herzinsuffizienz und Niereninsuffizienz.

Auf diese Weise wurden insgesamt N = 1.063.267 Versicherte mit einer Herzinsuffizienzdiagnose identifiziert. Die berichteten Ergebnisse beziehen sich überwiegend auf diese Zielpopulation. Bei der Bestimmung der Mortalitätsraten (Mortalität, Versterben nach Krankenhausentlassung) wurden zusätzlich Versicherte berücksichtigt, die bedingt durch ihr Versterben im Jahr 2018 oder 2019 nicht das Kriterium des durchgängigen Versichertenstatus erfüllten (N = 210.337 Patienten).

Neben der Deskription der Zielpopulation (Alter, Geschlecht, Prävalenz der Herzinsuffizienz, Komorbidität) lag der Fokus der Analysen darauf, einen Eindruck der ambulanten und stationären Versorgungsintensität zu vermitteln, insbesondere durch Quantifizierung der Kontakte zu Haus- und anderen Vertragsärzten und der Krankenhausaufenthalte. Anzahl und Zeitpunkt der Kontakte zu Haus- und anderen Vertragsärzten wurden über Behandlungstage innerhalb eines Behandlungsfalls bzw. über das Behandlungsdatum ermittelt.

Ergänzt wurden diese Analysen um Berechnungen, die erste Rückschlüsse auf die Versorgungsqualität von Herzinsuffizienzpatienten ermöglichen, insbesondere für die Phase nach einem Krankenhausaufenthalt. Als Grundlage dienten Indikatoren des QISA-Systems (Qualitätsindikatorensystem für die ambulante Versorgung) sowie Indikatoren des QSR-Verfahrens (Qualitätssicherung mit Routinedaten). Zudem wurden Empfehlungen der aktuell gültigen Nationalen Versorgungsleitlinie Chronische Herzinsuffizienz für die Zeit nach der Krankenhausentlassung berücksichtigt (BÄK et al. 2019). Die verwendeten Indikatoren bzw. Empfehlungen sind in Tab. 7.1 zusammengefasst.

Tab. 7.1 Übersicht über die verwendeten Indikatoren und Leitlinienempfehlungen

Die Operationalisierung der QISA-Indikatoren beruht auf Vorarbeiten aus QuATRo (Qualität in Arztnetzen – Transparenz mit Routinedaten), einem bundesweiten Qualitätsprojekt der AOK, in dem die entsprechenden Indikatoren seit dem Jahr 2013 jährlich berechnet werden.

Die vorgeschlagene Operationalisierung der QSR-Indikatoren zur poststationären Pharmakotherapie (ID 2017, 2018) wurde dahingehend modifiziert, dass statt 90 DDD (definierte Tagesdosen) eine einmalige Verordnung des entsprechenden Arzneimittels als ausreichend betrachtet wurde. Bei der Berechnung des ID 2000 wurde anstelle des Aufnahmedatums das Entlassdatum verwendet.

Darüber hinaus wurden die Indikatoren zum Versterben bzw. zur Wiederaufnahme nach Krankenhausaufenthalt sowie zur Polypharmazie mit weiteren Bezugsgrößen (Zeiträume bzw. Anzahl Wirkstoffe) berechnet.

Folgende Kataloge fanden bei der Operationalisierung Verwendung: Diagnosen: ICD-10-Klassifikation (DIMDI 2018), Arzneimittel: Amtliche Fassung des ATC-Index mit DDD-Angaben für Deutschland im Jahre 2018 (WIdO 2018), Arztgruppenschlüssel: Schlüsseltabelle der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV 2019).Footnote 1

4 Ausgewählte Charakteristika der Herzinsuffizienzpopulation und des Versorgungsprozesses

Nachstehend werden die Ergebnisse im Kontext ausgewählter nationaler Berichte exemplarisch besprochen. In einer aktuellen Auswertung eines Datensatzes des Health Risk Institute, der ca. 10 % aller deutschen gesetzlich Versicherten umfasste, wurde die Prävalenz der Herzinsuffizienz in Deutschland mit 3,9 % beziffert (Störk et al. 2017). Im hier untersuchten Kollektiv volljähriger AOK-Versicherter lag die Prävalenz demzufolge etwas höher, nämlich bei 5,3 % (1.063.267/19.988.224). Diese Daten sind konsistent mit den in den letzten Jahren berichteten Prävalenzwerten für Deutschland (BÄK et al. 2019; Störk et al. 2017; Holstiege et al. 2018; Riens und Bätzing-Feigenbaum 2014; Christ et al. 2016), liegen jedoch deutlich über den Angaben anderer Länder (Ponikowski et al. 2016; Seferovic et al. 2013).

Das Kodierungsverhalten unterschied sich im stationären Sektor deutlich von dem des ambulanten (Tab. 7.2): Stationär wurde häufiger I50.1 (67 % vs. 43 %) und I50.01 (34 % vs. 7 %) kodiert, es fanden sich aber wesentlich seltener ICD-Codes, die für eine Herzinsuffizienz mit nicht eingeschränkter Pumpfunktion kodieren, also I11.0, I13.0, I13.2 (4 % vs. 23 %). Ambulant wurden zudem deutlich häufiger unspezifische I50-Codes vergeben (50,6 % vs. 0,5 %). Unterschiede können in den spezifischen Rollen der Leistungserbringer im Versorgungsprozess (Routine vs. Akutversorgung), aber auch in fehlenden verbindlichen Regelungen zur Vergabe von Diagnoseschlüsseln im vertragsärztlichen Bereich begründet sein.

Tab. 7.2 Verteilung der ICD-Codierung in der Zielpopulationa (N = 1.063.267)

Exakte Aussagen zum Anteil der Patienten mit eingeschränkter Pumpfunktion erlauben die Daten jedoch nicht, da die ICD-Klassifikation lediglich eine Kodierung der Linksherzinsuffizienz ohne Differenzierung zwischen HFrEF und HFpEF vorsieht.

Herzinsuffizienz ist in Deutschland – nach der „Diagnose Geburt“ – die häufigste Krankenhaus-Entlassdiagnose. Mehr als zwei Drittel (69 %) dieser Hospitalisierungen betreffen Menschen, die mindestens 75 Jahre alt sind (Christ et al. 2016; Störk et al. 2017). Im aktuellen Datensatz lag demnach das mittlere Alter, wie erwartet, bei 75 Jahren (Median 78 Jahre), 56 % waren Frauen (Tab. 7.3). Die Altersabhängigkeit des Syndroms Herzinsuffizienz war ebenso gut nachzuvollziehen wie die hohe Komorbiditätslast mit wichtigen, ebenfalls mehrheitlich mit Therapieleitlinien abgesicherten Erkrankungen. Hier ist insbesondere die hohe Prävalenz an komorbidem Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz und Depression hervorzuheben (ebd.). Dies ist konsistent mit früheren Berichten, die ähnliche Häufigkeiten multipler Komorbiditäten berichteten, die einerseits die Behandlung komplizieren und andererseits wichtige Treiber für Rehospitalisierungen darstellen (Ponikowski et al. 2016; Holstiege et al. 2018; Braunstein et al. 2003; Störk et al. 2008). Es wird vermutet, dass im Langzeitverlauf „bei optimalem Management“ ein wesentlicher Prozentsatz, nämlich etwa die Hälfte dieser herzinsuffizienz- bzw. komorbiditätsassoziierten Hospitalisierungen vermeidbar wäre (Braunstein et al. 2003).

Tab. 7.3 Basischarakteristika der Zielpopulation (N = 1.063.267, Versicherte mit Herzinsuffizienz: I50, I11.0, I13.0, I13.2) im Jahre 2018

Die hohe Belastung mit Begleiterkrankungen spiegelte sich in weiteren Charakteristika wider. So fand sich ein sehr hoher Anteil älterer Patienten, die mehr als 5 bzw. mehr als 10 verschiedene Medikamente einnahmen, nämlich 61 % bzw. 20 % (Tab. 7.3). Ebenfalls hoch war der Anteil an Patienten (ca. 30 %), die in Pflegegrad 2 oder höher versorgt waren (ebd.). Dieser Prozentsatz war fast 5-mal höher als im Gesamtkollektiv der AOK-Versicherten (6,4 %). Erwartungsgemäß übersetzten sich all diese Faktoren in eine hohe Mortalitätsrate von 8 % bzw. 9 % im ersten resp. zweiten Jahr des Untersuchungszeitraums (Zahlen nicht dargestellt).

Die ambulante Versorgung herzinsuffizienter Patienten ist geprägt von multiplen Kontakten zu Haus- und Fachärzten. Praktisch alle Patienten sahen mindestens einmal im Jahr 2018 ihren Hausarzt. Die mittlere Kontaktfrequenz lag bei 19 Besuchen im Jahr. Im Verhältnis dazu sah mit 37 % ein deutlich geringerer Anteil aller Patienten einen Kardiologen. Durchschnittlich waren in die Behandlung von Patienten mit Herzinsuffizienz fünf verschiedene Fachärzte involviert (Tab. 7.3). Die Datenquellen erlaubten jedoch keine Bewertung der jeweils beim Kontakt (mit Hausarzt bzw. Facharzt) betriebenen Aufwände.

Die gesundheitspolitische und -ökonomische Bedeutung dieses klinischen Syndroms ist in den vergangenen 15 Jahren permanent gestiegen (um 65 % von ca. 240.000 im Jahre 2000 auf ca. 400.000 Hospitalisierungen im Jahre 2016) (Christ et al. 2016). Gesundheitsökonomische Analysen zeigten konsistent, dass in diesem Kontext iterative Hospitalisierungen den führenden kostentreibenden Faktor darstellen (Nuckols et al. 2017). Im vorliegenden Datensatz war die Hospitalisierungsquote wie erwartet hoch: 41 % der Zielpatienten hatten im Jahr 2018 mindestens einen Krankenhausaufenthalt jedweder Ursache und knapp 10 % mindestens einen Krankenhausaufenthalt wegen Herzinsuffizienz (Tab. 7.3).

7.4 gibt die Versorgungssituation und Prognose der Subgruppe von Patienten wieder, die mindestens einmal wegen Herzinsuffizienz hospitalisiert waren. Ein hoher Anteil (83 %) hatte in den ersten zehn Tagen nach Entlassung aus dem Krankenhaus erneut Kontakt mit einem Arzt, vorwiegend dem Hausarzt. Allerdings wurden in den ersten 90 Tagen nach Entlassung nur knapp 21 % der Patienten einem Kardiologen vorgestellt. Mit Blick auf die beiden wichtigsten Säulen der Herzinsuffizienz-Pharmakotherapie, ACE-Hemmer/AT1-Blocker bzw. Betablocker, sieht man eine recht gute Durchdringung mit diesen Substanzklassen, die z. B. höher liegt als vor 15 Jahren (Störk et al. 2008). Dennoch gilt weiterhin, dass „Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz“ als schwerwiegendes Warnsignal gelten muss, das u. a. eine intensivierte poststationäre Versorgung nach sich ziehen sollte: In der Subgruppe von Patienten mit Herzinsuffizienz-verursachter Hospitalisierung lag im ersten Vierteljahr nach Entlassung aus dem Krankenhaus die Rehospitalisierungsrate bei fast 17 %, die korrespondierende Mortalität lag nach einem Monat bei knapp 6 % und nach drei Monaten bei fast 12 % (Tab. 7.4). Dies ist konsistent mit Beobachtungen europäischer Register (Lund et al. 2012; Crespo-Leiro et al. 2016; Tromp et al. 2020). Im Vergleich mit der hier beschriebenen Zielpopulation wiesen diese durchweg etwas günstigere Morbiditäts- und Mortalitätswerte auf – vermutlich, weil sie näher an der stärker kontrollierten Studienwelt als der klinischen Realität angesiedelt waren.

Tab. 7.4 Poststationärer Verlauf und Versorgung von Patienten nach einem Krankenhausaufenthalt wegen Herzinsuffizienz im Jahre 2018 (N = 94.209a)

5 Schnittstellen und Brüche in der Versorgung

Die vorgestellten Daten verdeutlichen die Vulnerabilität einer großen Anzahl von Patienten mit Herzinsuffizienz. Sie skizzieren ein Bild der Versorgung, das durch eine hohe Behandlungsintensität, die Involvierung verschiedener Facharztgruppen und Kontakt zu verschiedenen Leistungssektoren gekennzeichnet ist. Dies setzt ein hohes Maß an Abstimmung und Kommunikation zwischen den Leistungserbringern der beteiligten Versorgungsebenen voraus. Im Folgenden werden wichtige Schnittstellen der Versorgung beleuchtet und exemplarisch Probleme und Bruchstellen skizziert.

5.1 Schnittstelle Hausarzt – Kardiologe

Besteht der Verdacht auf eine Herzschwäche, empfehlen die Leitlinien die Durchführung einer Basisdiagnostik durch den Hausarzt, der im Versorgungsprozess die „Lotsenfunktion“ übernimmt (BÄK et al. 2019). Erhärtet sich der Verdacht, soll zeitnah die Überweisung zum Kardiologen erfolgen (Ponikowski et al. 2016; BÄK et al. 2019). Ziel dieser initialen diagnostischen Kaskade ist die valide Diagnosestellung, Identifizierung von behandelbaren Ursachen und die frühzeitige Einleitung einer leitliniengerechten Therapie. Jeder Monat früher, mit dem eine zielgerichtete Herzinsuffizienztherapie begonnen werden kann, ist assoziiert mit einer 1-prozentigen Mortalitätsreduktion im Vergleich zu nicht therapierten Patienten (Zaman et al. 2017). Einer Studie auf der Basis bundesweiter Routinedaten aus den Jahren 2008 bis 2013 zufolge wird die Neudiagnose einer Herzinsuffizienz in ca. 60 % aller Fälle im niedergelassenen Bereich gestellt und davon zu 61 % im hausärztlichen Bereich, aber nur zu ca. 15 % durch einen Kardiologen (Störk et al. 2017). Weil die Treffsicherheit dieser Diagnose mit einem hohen Unsicherheitsfaktor behaftet ist und nur bei 40 bis 60 % liegt, ist die Verdachtsdiagnose möglichst immer echokardiographisch durch einen Kardiologen zu verifizieren (vgl. BÄK et al. 2019). Das Alter des Patienten und Zugänglichkeit (insbesondere in ländlichen Regionen) sind für diesen essentiellen Schritt limitierende Faktoren (Riens und Bätzing-Feigenbaum 2014; Holstiege et al. 2019).

Auch in der ambulanten Langzeitbetreuung weist die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) dem Hausarzt die zentrale Rolle in der Koordination diagnostischer, therapeutischer und rehabilitativer Maßnahmen zu – in Kooperation mit Kardiologen und anderen Fachdisziplinen (BÄK et al. 2019). Studiendaten legen jedoch den Schluss nahe, dass Kardiologen nicht regelhaft in die entscheidende Phase der ersten Behandlungsjahre einbezogen sind, die jedoch anerkanntermaßen entscheidend sind, um die Therapie optimal angepasst auf die individuelle Situation des Patienten und den Schweregrad der Erkrankung anzupassen (Ponikowski et al. 2016; Zaman et al. 2017). So werden ca. 84 % der Patienten mit Herzinsuffizienz in den beiden Folgejahren nach Erstdiagnose vorwiegend oder ausschließlich vom Hausarzt betreut (Riens und Bätzing-Feigenbaum 2014). Hinsichtlich der Qualität der Langzeitbehandlung legt eine Studie aus dem hausärztlichen Kontext insbesondere Defizite in der Auftitration der Herzinsuffizienz-Medikation offen. So war zwar der Prozentsatz der Patienten, die mit ACE-Hemmern/AT1-Blockern bzw. Betablockern oder beiden Substanzklassen versorgt wurden, relativ hoch (80 %, 75 % und 62 %). Die Zieldosis wurde aber, auch unter Berücksichtigung von potenziellen Kontraindikationen, lediglich bei 49 % (ACE-Hemmer/AT1-Blocker) bzw. 46 % (Betablocker) der Patienten erreicht (Peters-Klimm et al. 2008).

Verschiedene Faktoren erschweren das Gelingen der Kooperation zwischen Hausarzt und Kardiologe. So ist in der Praxis die Aufgabenverteilung zwischen den Fachgruppen, insbesondere in der Langzeitbetreuung, nicht klar definiert – bei gleichzeitiger Überschneidung in der fachlichen Kompetenz. Das betrifft beispielsweise die Frage, welche Fachgruppe sich um die Auftitration der Medikation und das damit verbundenen Monitoring kümmert. Eine effektive Arbeitsteilung erfordert regelmäßige Absprachen zwischen den Fachdisziplinen. Einfache Formate der bilateralen Kommunikation über das Telefon hinaus, wie z. B. eine gemeinsam geführte elektronische Patientenakte, sind jedoch in der Praxis bislang nicht etabliert. Da niedergelassene Ärzte grundsätzlich ein Wirtschaftsunternehmen führen, müssen sie ihr Handeln auch an der Vergütungslogik ausrichten. Diese honoriert aber die Leistungserbringung getrennt je Fachgruppe; Anreize für eine kooperative Versorgung und den damit verbundenen interprofessionellen Austausch fehlen.

5.2 Schnittstelle Krankenhaus – ambulanter Sektor

Eine weitere sensible Nahtstelle findet sich am Übergang zwischen stationärer und ambulanter Betreuung. Ein unzureichendes Überleitungsmanagement kann zu zeitnahen erneuten Hospitalisierungen führen, beispielsweise, weil die häusliche Versorgung des Patienten nicht sichergestellt ist, Behandlungslücken entstehen oder ein klares Konzept für die Weiterbehandlung im ambulanten Sektor fehlt (BÄK et al. 2019). Bereits mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz 2015 wurde das Entlassmanagement dahingehend reformiert, dass Nachbehandlungen und Leistungen verordnet werden dürfen, sodass Krankenhausärzte nunmehr z. B. Arzneimittel für einen Übergangszeitraum von bis zu sieben Tagen verordnen dürfen. Seit Inkrafttreten des Rahmenvertrags Entlassmanagement im Oktober 2017 sind Krankenhäuser nach § 39 Absatz 1a des SGB V verpflichtet, ein effektives Entlassmanagement zur Unterstützung des Übergangs in die Anschlussversorgung zu gewährleisten. Im Fokus steht die frühzeitige Erhebung des patientenindividuellen Bedarfs für die Anschlussversorgung sowie das Erstellen eines Entlassplans (vgl. Rahmenvertrag Entlassmanagement 2018).

Dieser Ansatz birgt viel Potenzial und ist vermutlich sehr wirksam, beinhaltet allerdings für Personengruppen mit komplexen Versorgungsbedarfen eine aufwändige Vorarbeit und Einbeziehung zahlreicher Komponenten: differenzierte Assessments zur Erhebung des poststationären Bedarfs, Prüfung der Erforderlichkeit von Anschlussmedikation, fortdauernder Arbeitsunfähigkeit und anderer verordnungs- bzw. veranlassungsfähiger Leistungen, Sicherung der Versorgung im Bereich Pflege (häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege, Kurzzeitpflege, Haushaltshilfe, Rehabilitation, Hilfsmittelversorgung). Das Krankenhaus soll rechtzeitig vor der Entlassung die für die Umsetzung dieses Entlassplans erforderliche Versorgung organisieren. Dies erfordert die Kontaktaufnahme und häufig intensivierte organisatorische Planung mit weiterbehandelnden Ärzten (Hausarzt, andere Vertragsärzte, Reha-Einrichtung, ambulanter Pflegedienst, stationäre Pflegeeinrichtung). Die gesetzlichen Vorgaben führen berechtigterweise zur Erwartung der weiterbehandelnden Ärzte, nach Entlassung des Patienten aus dem Krankenhaus einen gut ausgearbeiteten und implementierbaren Entlassplan mit u. a. spezifischen Empfehlungen zur Behandlung der Herzinsuffizienz zu erhalten. Gegenwärtig jedoch scheitert die Umsetzung dieses sinnvollen Konzepts zumeist an den in der Regel nicht zur Verfügung stehenden Personalressourcen. Als weitere Gründe für eine mangelnde Umsetzung in die Praxis werden fehlende Regelungen von Zuständigkeiten sowie der Vergütung für die zusätzlichen zeitlichen und personellen Aufwände diskutiert (BÄK et al. 2019).

5.3 Schnittstelle Patient – professionelles System

Eine zentrale Schnittstelle, deren Qualität sich auf die gesamte Versorgungskette auswirkt, besteht zudem zwischen Patient und professionellem System. Zeitnahe Vorstellung beim weiterbehandelnden Arzt nach einem Krankenhausaufenthalt, regelmäßige und korrekte Einnahme verordneter Medikamente sowie rechtzeitige Inanspruchnahme professioneller Hilfe bei einer Verschlechterung der Symptomatik sind Schritte im Versorgungsprozess, die die Mitwirkung und Initiative des Patienten erfordern. Sie setzen körperliche und geistige Fähigkeiten, Wissen um die Erkrankung, Motivation und Willen voraus. Dies ist vor dem Hintergrund der in Abschn. 7.3 gezeigten Patientencharakteristika mit einem hohen Anteil an älteren, multimorbiden, in der Selbständigkeit eingeschränkten Patienten relevant. Wird die individuelle und soziale Situation des Patienten in der Behandlung nicht ausreichend berücksichtigt, drohen Brüche in der Versorgung. Beispielsweise können kognitive Einschränkungen die korrekte Einnahme der Medikation erschweren. Studien zufolge verringerte sich die Adhärenz im hohen Lebensalter jenseits der achten Lebensdekade. Zudem war sie negativ assoziiert mit einer steigenden Anzahl täglicher Tabletten, insbesondere, wenn mehr als vier Medikamente gleichzeitig eingenommen werden sollten (Gorenoi et al. 2007).

Die Evaluation der individuellen Ressourcen des Patienten und des möglichen Unterstützungsbedarfs gehört zu den originären Aufgaben des Hausarztes. Der Hausarzt findet sich hierbei allerdings in dem Dilemma, wie er in einem sehr knappen Zeitsegment diesem Anspruch gerecht werden soll. Bei bestimmten Patientengruppen mit hohem Unterstützungsbedarf kann es notwendig sein, eine enge Verbindung zum Patienten aufrechtzuerhalten, z. B. per Telefon oder Hausbesuch. Hausbesuche gelten derzeit aber als unattraktiv vergütet (z. B. DÄ 2019). Modelle der Delegation, beispielsweise durch den Einsatz speziell ausgebildeter, nicht-ärztlicher Fachkräfte („VERAH“, „EVA“, „AGNES“) könnten Lücken schließen und Ressourcen einsparen helfen, sind aber noch nicht in allen Regionen flächendeckend etabliert. Auch hier wird eine auskömmliche Finanzierung in Frage gestellt (z. B. DÄ 2018).

6 Konzepte zur Verbesserung der Versorgung: Selektivverträge, DMP, Case-Management

Die Diskontinuitäten in der Versorgungskette von chronisch kranken Menschen im Allgemeinen und mit Herzinsuffizienz im Speziellen haben gesetzgeberische Aktivitäten veranlasst, die auf eine stärkere Integration und Kooperation im Versorgungsprozess abzielen. Zu nennen sind hier die Integrierte Versorgung nach § 140a SGB V, die hausarztzentrierte Versorgung nach § 73b SGB V oder Programme für die Versorgung chronisch Kranker nach § 137f SGB V („DMP“). Tatsächlich wurden die eröffneten Möglichkeiten von den an der Versorgung beteiligten Akteuren auf regionaler und überregionaler Ebene durchaus gestaltend aufgegriffen. So wurden in den vergangenen zwei Dekaden verschiedene Versorgungsmodelle für herzkranke und herzinsuffiziente Menschen entwickelt und in die Praxis implementiert.

Beispielhaft erwähnt sei hier der Facharztvertrag Kardiologie in Baden-Württemberg nach § 73c SGB V. Vertragspartner sind neben Kostenträgern (AOK, BKK) mehrere Verbände der beteiligten Leistungserbringer (vgl. Tab. 7.5). Wesentlicher Bestandteil des Facharztprogramms ist ein zwischen Hausarzt und Kardiologe gemeinsam erarbeitetes und vertraglich festgelegtes Schnittstellen-Management, das in verbindlicher Form das Zusammenwirken regelt. Die Basis bilden indikationsspezifisch definierte Versorgungsziele und daraus abgeleitete und vertraglich fixierte Diagnose- und Therapiepfade anhand der gültigen Leitlinienempfehlungen. Die ganzheitliche Beratung mit rascher und verlässlicher Befundübermittlung und Kommunikation sind weitere Bausteine der interdisziplinären Schnittstellenbeschreibung. Die Vergütung erfolgt morbiditätsadaptiert. So kann der Kardiologe Herzinsuffizienz-Patienten je nach Schwere der Erkrankung mehrmals im Quartal sehen und sich diese Kontakte angemessen vergüten lassen. Auch hinsichtlich der Kommunikation setzt das Facharztprogramm an. Der Hausarzt verpflichtet sich zu vollständigen Begleitbriefen, der Facharzt zu einem zeitnahen und ausführlichen Facharztbrief. Der Kardiologe soll regelmäßig eine Auflistung von bestehenden Diagnosen, Vorbefunden, eingenommenen Medikamenten, Laborwerten erhalten, ergänzt durch die aktuelle Fragestellung vom Hausarzt. Umgekehrt benötigt der Hausarzt eine zügige und ausführliche Information vom Facharzt (vgl. AOK BaWü et al. 2020). Die über den Innovationsfond geförderte Evaluation des Facharztvertrages Kardiologie (Förderkennzeichen: 01VSF16003) zeigte Hinweise auf eine positive Beeinflussung patientenrelevanter Endpunkte wie Klinikaufenthalte und Mortalität (AOK BaWü 2020). Allerdings profitieren von diesem oder anderen regional begrenzten und nur von einzelnen Krankenkassen unterstützten Versorgungsmodellen im Verhältnis zur Regelversorgung nur Bruchteile aller Patienten mit Herzinsuffizienz.

Parallel zur Entwicklung regionaler Lösungsansätze wird auf Ebene des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) im gesetzlich vorgegebenen Rahmen über konkrete Ausgestaltungen der allgemeinen Versorgung von Herzinsuffizienz-Patienten verhandelt. 2018 wurde das Disease-Management-Programm für Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz (DMP HI) beschlossen (G-BA 2018). Das neue DMP HI richtet sich an den Empfehlungen der bestehenden Leitlinie aus und ist auf die Subgruppe der Patienten mit HFrEF (≤ 40 %) beschränkt. Die Einschreibung soll vorwiegend durch den Hausarzt erfolgen, aber auch durch den Facharzt (Kardiologe) möglich sein. Zu den Kernelementen der Behandlung gehören neben einer leitliniengerechten Pharmakotherapie und der Stärkung der Selbstsorge des Patienten auch Vorgaben zur Kooperation der Leistungserbringer. Um dem variablen Krankheitsbild mit zeitweise instabilen Phasen besser Rechnung zu tragen, wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Patienten über die vierteljährlichen Kontakte hinaus zusätzlich eine intensivierte Fallbetreuung („Besonderes Unterstützungsangebot“) erhalten. Diese kann unter Berücksichtigung der Schwere der Erkrankung sowie der individuellen Konstellation hausärztlich oder fachärztlich geführt werden. Nichtärztliche Fachkräfte sollen dabei Arzt und Patienten bei der Erfassung und Beurteilung von Körperwarnsignalen, Schulung und Motivationsförderung unterstützen und bei ggf. auftretenden Problemen Hilfestellung leisten (ebd.).

Neben den Aktivitäten auf Ebene der Kostenträger und der gemeinsamen Selbstverwaltung werden seitens der universitären Kardiologie und Allgemeinmedizin seit einigen Jahren große Anstrengungen unternommen, die bestehenden Versorgungsbrüche über Case-Management-Strategien zu kompensieren. Zu diesem Zweck wurden – zum Teil in Kooperation mit Industrieunternehmen – komplexe Interventionen entwickelt und im Rahmen wissenschaftlicher Studien erprobt. Einige dieser Ansätze zeigten in randomisierten kontrollierten Studien positive Effekte auf patientenrelevante Endpunkte wie Mortalität oder Re-Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz, sind aber in der Regelversorgung bislang nicht wirksam geworden.

Einen Überblick über ausgewählte Case-Management-Ansätze mit Relevanz für den deutschen Versorgungskontext gibt Tab. 7.5.

Tab. 7.5 Charakteristika von ausgewählten Case-Management-Ansätzen

Alle Case-Management-Ansätze – ob von Kassen oder Leistungserbringern entwickelt – verfolgen im Grundsatz das Ziel, über eine Erfassung von Körperwarnsignalen Zeichen einer drohenden Dekompensation frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, um beispielsweise Krankenhausaufenthalte zu vermeiden. Alle Programme bestehen aus komplexen Interventionen, die sich aus mehreren Komponenten zusammensetzen. In Teilaspekten jedoch weisen die Programme deutliche Unterschiede auf. So variieren Zielpopulation und Startpunkt der Intervention (z. B. direkt im Anschluss an Hospitalisierung vs. unabhängig vom Krankenhausaufenthalt), das Ausmaß des Technikeinsatzes bei der Erfassung von Körperwarnsignalen (z. B. Telefon vs. kardiale Devices), die Rolle nicht-ärztlicher Fachkräfte (z. B. aktive Einbindung in Betreuung vs. Beschränkung auf Datenauswertung/Assistenz) oder die Verortung der primären Verantwortung für die Behandlung (z. B. Hausarzt vs. Kardiologe).

Die Thematik ist facettenreich. Vor dem Hintergrund der in Abschn. 7.3 beschriebenen Charakteristika der Herzinsuffizienz-Population soll hier nur ein Aspekt hervorgehoben werden: die Passgenauigkeit der Intervention mit den individuellen Ressourcen des Patienten. So können Multimorbidität, hohes Alter und Gebrechlichkeit bezüglich der Erfordernisse an die Mitwirkung des Patienten zu einer Barriere werden (z. B. täglich auf die Waage stellen, Geräte bedienen, Werte dokumentieren etc.). Durch Überforderung, körperliches Unvermögen und schließlich mangelnde Motivation können Feedback-Schleifen gestört und Effekte der Intervention gemindert werden.

Nicht jedes Case-Management mag also zu allen Patienten gleichermaßen „passen“. Diesen Schluss legt auch eine Subgruppenanalyse der TIM-HF-Studie nahe, der zufolge Patienten mit Herzinsuffizienz, die gleichzeitig an einer Depression litten, nicht von der Intervention profitierten (Koehler et al. 2012). Das „Profiling“, d. h. die Fokussierung der Intervention auf Herzinsuffizienz-Patienten, die von den Maßnahmen am wahrscheinlichsten profitieren, spielt demnach eine wichtige Rolle.

Eine „vermittelnde Rolle“ zwischen Patient, Technik und den involvierten Leistungserbringern innerhalb von Case-Management-Ansätzen können nicht-ärztliche Fachkräfte einnehmen. Durch regelmäßige direkte, persönliche Kommunikation – per Telefon oder Hausbesuch – können Patienten geschult, mögliche Barrieren identifiziert und auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnittene Unterstützung geleistet werden. Die Evidenz positiver Versorgungseffekte durch die Einbindung spezialisierter nicht-ärztlicher Fachkräfte im Rahmen strukturierter Versorgungansätze ist mehrfach überzeugend erbracht worden (vgl. BÄK et al. 2019, Abschn. 12.3.1). Insbesondere in Case-Management-Strategien mit vergleichsweise hohem Anspruch an die Mitwirkungsfähigkeit des Patienten ist eine kontinuierliche Betreuung durch spezialisierte nichtärztliche Pflegekräfte ein „integraler Bestandteil der Intervention“ (vgl. Koehler et al. 2018).

Angesichts der möglichen Einführung einer Leistung „Telemonitoring bei Herzinsuffizienz“ in die vertragsärztliche Versorgung (IQWIG 2019) bleibt zu hoffen, dass bei der Indikationsstellung und im weiteren Behandlungsverlauf sorgfältig geprüft wird, ob Patienten vor dem Hintergrund ihrer individuellen Ressourcen tatsächlich von der Maßnahme profitieren.

7 Probleme und Lösungsansätze: Grundelemente einer funktionierenden Versorgung (Fazit)

Wie in Abschn. 7.2 dargestellt, zeichnet sich das Krankheitsbild der Herzinsuffizienz durch einen variablen Verlauf mit stabilen und instabilen Phasen aus. Die Datenauswertung lässt auf einen hohen Anteil an älteren, pflegebedürftigen und multimorbiden Menschen unter den Patienten mit Herzinsuffizienz schließen. Dementsprechend ist auch der Betreuungsaufwand von Patient zu Patient und auch bei ein und demselben Patienten über den Krankheitsverlauf hinweg variabel. Eine sinnvolle Konzeption der Versorgung, die aus dieser „Vorgabe“ folgt, ist ein gestuftes Versorgungskonzept im Sinne einer Basisversorgung für alle Patienten in Kombination mit zusätzlichen Unterstützungsangeboten im Bedarfsfall. Dieses Konzept wird im neuen DMP HI bereits ansatzweise sichtbar. Sinnvoll ist zudem ein regelmäßiges Assessment zur Evaluation eines ggf. erhöhten Unterstützungsbedarfs. Hier kann auf Vorarbeiten aus wissenschaftlich erprobten Case-Management-Ansätzen zurückgegriffen werden.

Menschen mit Herzinsuffizienz befinden sich im deutschen Gesundheitssystem in einem komplexen Beziehungsgeflecht von Zuständigkeiten, die häufig weder inhaltlich noch personell eindeutig zuzuordnen sind. Eine verbindliche sektorübergreifende Aufgabenverteilung ist somit eine weitere Grundvoraussetzung für eine funktionierende sektorenübergreifende Versorgung. Viele der vorgestellten Case-Management-Ansätze enthalten bereits Vorgaben und Empfehlungen zur Kooperation. Gut zu funktionieren scheint die detaillierte Festlegung von Aufgaben über explizite vertragliche Regelungen, wie im Facharztvertrag Kardiologie in Baden-Württemberg. Dieser beinhaltet auch als einer der wenigen Ansätze eine Vergütungskomponente für den erhöhten Betreuungsaufwand. Die Versorgung chronisch kranker Menschen setzt die Kooperation von Leistungserbringern verschiedener Versorgungsebenen voraus. Die nach Sektoren getrennte Vergütungssystematik, die i. d. R. die Leistungserbringung des einzelnen Arztes als Grundlage der Zuwendung zugrunde legt, ist hier ungeeignet. Sie birgt die Gefahr einer Verengung des Blicks auf das eigene wirtschaftliche Ergebnis. Es bedarf hier einer „kooperativen Ökonomie, die den Blick aller Akteure in regionalen Versorgungslösungen für das Ganze fördert und nicht nur den Interessen des Einzelnen dient“ (Deutscher Bundestag 2020). Denkbar wären beispielsweise diagnosebezogene Pauschalen, die für die Behandlung von definierten chronischen Krankheiten an ein Team von Leistungserbringern ausgezahlt werden. Vergleichbare Vergütungsmodelle, die die integrierte Versorgung im Team honorieren, finden sich beispielsweise in den Niederlanden (bundled payments) (KOMV 2019).

Der Anteil hochbetagter Menschen unter den Patienten mit Herzinsuffizienz ist groß. Damit verbunden sind körperliche und geistige Einschränkungen, die im Behandlungsprozess berücksichtigt werden müssen. Um daraus resultierende Probleme, die den Behandlungserfolg gefährden könnten, rechtzeitig zu erkennen, ist eine stetige Verbindung zwischen diesen Patienten und professionellem System notwendig. Für die Aufrechterhaltung dieses Kontakts und die Rückkopplung etwaiger Probleme an die involvierten Leistungserbringer eignen sich nicht-ärztliche Fachkräfte. In verschiedenen Case-Management-Strategien übernehmen nicht-ärztliche Fachkräfte bereits eine tragende Funktion im Behandlungsprozess. Es geht hier um mehr als die Abfrage von Körperwarnsignalen. Persönliche Besuche vor Ort, Anleitung zur Selbstsorge, Unterstützung bei der korrekten Medikamenteneinnahme etc. sind Leistungen, die nicht von kardialen Devices übernommen werden können. Die Frage der Verortung nicht-ärztlicher Fachkräfte (beim Hausarzt oder Kardiologen) ist bei einer gemeinsamen Vergütung sekundär.

Über diese Funktion hinaus können nicht-ärztliche Fachkräfte die Kommunikation der involvierten Leistungserbringer und Versorgungsebenen unterstützen. Eine Arbeitsgruppe aus Kardiologen hat modellhaft dargelegt, wie spezialisierte Pflegekräfte zur Vernetzung der verschiedenen Versorgungseinheiten beitragen könnten (Ertl et al. 2016). Gerade instabile Phasen im Krankheitsverlauf und Übergänge zwischen den Sektoren erfordern Formate der gemeinsamen Kommunikation, die einen zeitnahen Austausch von Arztbriefen, Befunden etc. ermöglichen. Die elektronische Patientenakte (ePA) eröffnet hier neue Perspektiven. Es bleibt abzuwarten, ob und wann diese potenzielle Funktionalität tatsächlich im Sinne einer sektorenübergreifenden Kommunikation in der Versorgung wirksam wird (vgl. Krüger-Brand 2020). Auch sektorenübergreifende Fallkonferenzen oder Qualitätszirkel könnten zu einer verbesserten Abstimmung zwischen den Fachgruppen beitragen. Neben dem fachlichen Austausch können persönliche Treffen hilfreich sein, um Sichtweise und Positionen der jeweils anderen Fachgruppe zu verstehen und Vertrauen zu schaffen – eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche Zusammenarbeit.