Zusammenfassung
Bäume können viele tausend Jahre alt und 120–130 m hoch werden. Sie können fast hundertmal so alt und groß werden wie der Mensch. Wälder sind offene Systeme und beispielsweise dem Klima ausgesetzt. Und weil die Bäume festgewachsen und so langlebig sind, können sie bei Klimaänderungen nicht wie Kulturen von Mais, Tabak oder Wein kurzerhand durch besser angepasste Sorten ersetzt werden. Vielmehr sind sie beispielsweise dem CO2-Anstieg oder Trockenstress bei Klimaänderungen oder den Schwefel- oder Stickstoffeinträgen durch Luftverunreinigungen sehr langfristig ausgesetzt. Eine ganz besondere Eigenschaft von Bäumen und Wäldern besteht darin, dass sie zugleich Produkt und Produktionsmittel sind. Eine Trennung von Produkt und Produktionsmittel ist z. B. bei Buch und Druckmaschine, Honig und Biene, Apfel und Apfelbaum möglich. Holz wächst aber an Holz, sodass das Produkt nicht geerntet werden kann, ohne zugleich das Produktionsmittel anzugreifen. Wäldern werden Kohlenstoffsenkung, Holzproduktion, Trinkwasserspende, Luftreinigung, Erholung, Biodiversität und viele andere Wirkungen und Leistungen abverlangt. Wälder sind aufgrund ihrer zahlreichen Komponenten, die auf verschiedene Weise miteinander interagieren können, komplexer als die meisten anderen biologischen Systeme und bisher nicht annähernd verstanden.
Die lange Lebenszeit, große Höhe und alle weiteren genannten Systemeigenschaften prägen die wissenschaftliche Untersuchung und die praktische Bewirtschaftung von Wäldern grundlegend. Sie bestimmen Forstwissenschaft und Forstwirtschaft von der Messung, über die Modellierung bis hin zum Schutz oder zur waldbaulichen Regelung. Dieses Buch beginnt deshalb mit einer eher theoretischen Einführung in die grundlegenden und ziemlich einzigartigen Systemeigenschaften von Wäldern. Die eingeführten Systemeigenschaften und deren praktische Konsequenzen werden sich dann durch alle folgenden Kapitel ziehen.
Das Studium der Forstwissenschaft vermittelt Waldwissen. Im Mittelpunkt stehen insbesondere die vielfältigen Strukturen und Prozesse, die Eigenschaften des Waldes und seiner Funktionen und Leistungen für den Menschen und alle anderen Lebewesen. Das Studium bildet aber auch zur Anwaltschaft, zur Bewirtschaftung, zur Interessenvermittlung für die Sache des Waldes aus. Nach der Einführung in die Systemeigenschaften und deren Konsequenzen für das Verstehen, Erforschen und Bewirtschaften von Wäldern wird im letzten Abschnitt des Kapitels auf die skalenübergreifende Forschung zur Auflösung des Gegensatzes zwischen Reduktionismus und Holismus hingewiesen.
Der Wissensfortschritt und das Verstehen erfordern eine immer tiefere Analyse und einen reduktionistischen Ansatz. Damit gemeint ist, dass Strukturen und Prozesse auf höherer Auflösungsebene, z. B. Gen- oder Zellebene untersucht werden, unter Konstanthaltung der Randbedingungen wie Klima oder Bewirtschaftung. Die Bewirtschaftung erfordert dagegen eine holistische Sicht, also das Verstehen von übergeordneten Strukturen, Prozessen und die Verfügbarkeit von grobskaligen Charakteristika und Variablen.
Über interdisziplinäre und skalenübergreifende Untersuchungen kann es gelingen, Evidenz auf höchster Auflösungsebene zu finden, ohne die Relevanz von Erkenntnissen für den Wald als Ganzes aus den Augen zu verlieren. Es wird ausgeführt, wie die Forschung bei aller notwendigen wissenschaftlichen Tiefe die Relevanz ihrer Ergebnisse für die Lebenswelt und den Wissenstransfer im Blick behalten kann.
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Pretzsch, H. (2019). Der Wald und sein Wachstum. Einführung. In: Grundlagen der Waldwachstumsforschung. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-58155-1_1
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