Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird die Frage diskutiert, ob und welche diagnostischen Konzepte in einem inklusiven Schulsystem umgesetzt werden können und sollten und welche Konsequenzen sich daraus für die Erforschung inklusiver Modelle und Praktiken ergeben. Einem historischen Abriss über die Entwicklung unterschiedlicher diagnostischer Perspektiven hinsichtlich der Feststellung sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs folgt eine kritische Diskussion unter den Stichworten Statusdiagnostik versus Prozessdiagnostik. Vor diesem Hintergrund werden Einsatzbereiche, Vorzüge und Nachteile von formellen und informellen Verfahren aus inklusions- und sonderpädagogischer Perspektive betrachtet. Anschließend erfolgt eine Systematisierung unterschiedlicher Zielsetzungen (sonder-)pädagogischer Diagnostik unter besonderer Berücksichtigung ihrer Einsatzbereiche und Umsetzungsformen. Deren möglicher Informationsgehalt sowie die jeweiligen Konsequenzen für empirische Studien in der Bildungsforschung werden zum Abschluss diskutiert.
Abstract
The article discusses the question of whether and which diagnostic concepts can and should be implemented in an inclusive school system and what consequences emerge for research on inclusive models and practices. A historical outline of the development of different diagnostic perspectives with regard to the assessment of special educational needs is followed by a critical discussion under the headings status diagnostics versus process-oriented diagnostics. Against this background, the applications, advantages and disadvantages of formal and informal procedures are examined from inclusive and special educational perspectives. Subsequently, different objectives of (special) pedagogical diagnostics are systematized with special consideration of their areas of application and forms of implementation. Finally, possible values of their resulting information and possible consequences for empirical studies in educational research will be discussed.
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Notes
- 1.
- 2.
In den auf die KMK-Empfehlungen von 1994 folgenden Schulgesetzen wurde in den einzelnen Bundesländern ein Vorrang der gemeinsamen Unterrichtung vor der Sonderbeschulung von Schüler*innen mit einem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) postuliert. De facto sanken die Anteile der in Förderschulen unterrichteten Schüler*innen allerdings trotzdem nicht wesentlich, was sich bis heute in den meisten Bundesländern noch immer so darstellt (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018). Die zunehmende inklusive Beschulung von Kindern mit SPF ist vielmehr auf eine Ausweitung der Zuweisung sonderpädagogischer Förderbedarfe zurückzuführen, wie sie an den insgesamt kontinuierlich steigenden Förderquoten in den letzten 15 Jahren von bundesweit 5,3 % im Jahr 2000/2001 auf 7,1 % im Jahr 2016/17 ablesbar sind. Ausnahmen sind vor allem die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin sowie als Flächenland Schleswig-Holstein, die ihre Förderbeschulungsquoten tatsächlich substanziell zugunsten inklusiver Beschulung absenkten (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018).
- 3.
Der hier verwendete Begriff der Normalisierung bezieht sich auf das Normalisierungsprinzip von Bank-Mikkelsen aus den 1970er Jahren und den damit verbundenen Anspruch auf ein Leben „so normal wie möglich“ auch unter der Bedingung von Behinderung, wie es in die skandinavische Sozialgesetzgebung eingegangen ist. Im Sinne von Links (2006) Unterscheidung transnormalistischer, flexibel-normalistischer und protonormalistischer Normalitätskonstruktionen (Lingenauber 2008, zsf. Lütje-Klose 2018) wird hier auf eine flexibel-normalistische Position rekurriert.
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Neumann, P., Lütje-Klose, B. (2020). Diagnostik in inklusiven Schulen – zwischen Stigmatisierung, Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma und förderorientierter Handlungsplanung. In: Gresch, C., Kuhl, P., Grosche, M., Sälzer, C., Stanat, P. (eds) Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Schulleistungserhebungen . Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-27608-9_1
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