Zusammenfassung
Die Kirche und der Souverän – beide dominierten die geistlichen und weltlichen Belange des Mittelalters. Beide waren spürbar in sämtlichen strukturellen Dimensionen und politischen Sphären. Beide entschieden, wie die Welt der Dinge sich (an) zu ordnen habe und damit über das Leben vieler Menschen. Ausgehend von dieser institutionellen Macht werden im einleitenden Kapitel spielerisch-assoziativ die Grundzüge des Verhältnisses von institutionellen Räumen und Sozialer Arbeit entwickelt. Inspiriert ist dieses Kapitel durch den Roman „Das Memorial“ des portugiesischen Literaturnobelpreisträgers José Saramago, in dem er den Bau des Palácio Nacional de Mafra und die unmenschlichen Bedingungen aus der Sicht des kleinen Mannes beschreibt. Die gebaute Welt schafft ungleiche soziale Beziehungen und hält sie auch aufrecht – auch durch und dank sozialarbeiterischer Praxis. Aufbauend auf diesem Grundzusammenhang wird herausgearbeitet, wie institutionelle Bezüge entstehen, wie sich Einrichtungen institutionalisieren und sich in gesellschaftlichen Verhältnissen ‚einrichten‘. Diese räumlich-assoziative Annäherung an das Thema des Sammelbandes wird schliesslich fortgesetzt in für Soziale Arbeit zentrale Prozesse des Errichtens, Ausrichtens und Anrichtens.
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Der Soldat Baltasar Matheus, genannt Sieben-Sonnen, wurde „aus der Armee entlassen, weil für sie nicht mehr tauglich, nachdem man ihm die linke Hand amputiert, die eine Kugel ihm vor Jerez de los Caballeros zerschmettert hatte, bei dem großen Einfall der elftausend Mann“ (Saramago 1988, S. 40). Baltasar Sieben-Sonnen sucht als Kriegsversehrter seinen Platz in der damaligen Gesellschaft und wird zu einem der Helden in Saramagos Roman.
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Aus einer sozialwissenschaftlichen Raumperspektive interessieren genau die Beziehungen zwischen den Menschen untereinander und den Dingen, die sie umgeben und die die sozialräumlichen Konstellationen mitprägen und dadurch die professionelle sozialarbeiterisch-sozialpädagogische Praxis mitbestimmen. Deshalb wird eine Behälterraumvorstellung als unzureichend zurückgewiesen. „Gegen die Vorstellung, es gäbe einen absoluten Raum, in dem sich Menschen anordnen und Dinge angeordnet werden, richten sich Argumente von Gottfried W. Leibnitz, oder Ernst Mach, z. T. auch von Albert Einstein. Ihnen zufolge entsteht ein Raum durch die Relationen zwischen Körpern. Raum ist demnach bewegt und nicht von den Objekten und Menschen trennbar“ (Löw 2007, S. 15).
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Während man den ersten Aspekt, das Platzieren und Arrangieren von Gegenständen und Körpern innerhalb eines vorgegebenen (baulichen) Rahmens, durchaus mit der Vorstellung eines sogenannten ‚Behälterraumes‘ bzw. absoluten Raumes beschreiben könnte, greift ein solches für den zweiten Aspekt, der komplexen Beziehungen zwischen Menschen und Objekten, zu kurz.
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Maurice Halbwachs beschrieb in seinem Werk „Soziale Morphologie“ die materiellen Manifestationen der Religion, der Politik, Ökonomie oder der Stadt und der Familie. Diese gesellschaftlichen Bereiche würden sich immer auch räumlich manifestieren. Ihre Bedeutung ergebe sich jedoch erst durch die Analyse der jeweiligen materiellen Ausdrucksformen. „Institutionen sind nicht einfach nur Gedankengebilde; sie müssen auf die Erde gebracht werden, ganz mit Stofflichem beschwert, menschlichem Stoff und unbelebtem Stoff, mit Lebewesen aus Fleisch und Blut, mit Bauwerken, Häusern, Plätzen, dem Gewicht des Raums“ (Halbwachs 2002, S. 17).
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Diebäcker, M., Reutlinger, C. (2018). Einrichtungen Sozialer Arbeit reflektieren – einleitende räumlich-assoziative Bezüge. In: Diebäcker, M., Reutlinger, C. (eds) Soziale Arbeit und institutionelle Räume. Sozialraumforschung und Sozialraumarbeit, vol 18. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19500-7_1
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