Zusammenfassung
Innerhalb der im Dienste der Psychiatrie stehenden pathologischen Anatomie gibt es zwei Forschungsrichtungen. Die eine verfolgt Sitz und Ausbreitung, die andere die Art der krankhaften Veränderungen. Den verschiedenen Zielen dienen zum Teil auch verschiedene Methoden. Die „lokalisatorische“ Forschungsrichtung erstrebt mittels der Methoden der Faseranatomie, der Cyto- und Myeloarchitektonik an großen Übersichtspräparaten eine möglichst genaue Festlegung der Ausbreitung des Prozesses um die klinischen Symptome damit in Beziehung zu setzen. Die „histopathologische“ Forschungsrichtung sucht durch Anwendung zahlreicher Elektivmethoden an verschieden fixierten kleinen Hirnstückchen einen Einblick zu erhalten in das eigentliche Wesen der Krankheit, um durch eine Analyse sämtlicher im Zentralorgan vorkommender Strukturbestandteile die charakteristischen Merkmale zu finden, durch welche sich verschiedene Krankheitsprozesse vom anatomischen Standpunkt aus voneinander abgrenzen lassen und um durch die Aneinanderreihung verschiedener Stadien die jeweilige Entstehung der gestaltlichen Abänderungen, ihre Pathogenese, zu ergründen. Einst standen diese beiden Forschungsrichtungen in einem gewissen Gegensatz zueinander. Auf dem Boden der klinischen Schule Kraepelins hatte Nissl die „histopathologische” Richtung begründet. Die lokalisatorische Richtung fand dagegen ihre bedeutendsten Vertreter im Lager Wernickes. Heute wird wohl niemand eine der beiden Richtungen für die allein richtige ansehen wollen. Das Auseinandergehen war aus taktischen Gründen, aus Gründen der Arbeitsteilung, in einer früheren Phase der Entwicklung unseres Spezialfaches berechtigt, heute führen die beiden Wege wieder aufeinander zu. In der Wirklichkeit sind ja Art und Ausbreitung eines Krankheitsprozesses aufs engste miteinander verknüpft und voneinander abhängig. Wenn wir uns grundsätzlich auf die Betrachtung der Ausbreitung oder der Art allein beschränken wollen, sehen wir nur eine Seite — und auch diese nicht richtig. Einerseits ist nämlich auch zur Erkennung des Wesens eines Krankheitsprozesses und zu seiner Abgrenzung gegenüber anderen Vorgängen die Erforschung der mit der besonderen Art oft gesetzmäßig verknüpften Ausbreitung zu berücksichtigen1), andererseits ist eine Erklärung der Symptome letzten Endes nicht möglich ohne Einblick in die Pathogenese, welche uns über Dauer und Tempo des Prozesses Auskunft gibt. Daß bei den diffusen Hirnerkrankungen Art und Ausbreitung der Veränderungen offenbar für das Erscheinungsbild bestimmend sind, wird wohl allgemein angenommen; Kraepelin hat diese Ansicht schon lange vertreten. Bei den herdförmigen Veränderungen ist dies, wie wir glauben, nicht anders. Wohl hört man öfters die Meinung, es sei ganz gleichgültig, ob eine Blutung, eine Erweichung, ein Tumor oder eine Atrophie Herderscheinungen hervorrufe, der Sitz allein sei maßgebend für die Art der Symptome und die Bestimmung der Qualität sei hier nebensächlich. Diese Meinung ist sicher irrig; zahlreiche Erfahrungen lassen sich dagegen anführen. Auch an unserem Beispiel, der umschriebenen Großhirnrindenatrophie Picks, läßt sich zeigen, daß bei einer herdförmigen oder vorwiegend herdförmigen Erkrankung sehr wohl neben der lokalisatorischen auch die histopathologische Forschungsrichtung uns weiter führt; sie ist auch für die Beurteilung der Symptome sicher nicht gleichgültig.
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Onari, K., Spatz, H. (1926). Anatomische Beiträge zur Lehre von der Pickschen umschriebenen Großhirnrinden-Atrophie („Picksche Krankheit“). In: Arbeiten aus der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München (Kaiser-Wilhelm-Institut). Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-49740-7_24
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